8. Freiwil
.....
box 14/3
Nr. 351.
5. Februar 1898.
Terzerol in der Tasche auf den Zusammenstoß vorbereiteten
Maler und schießt ihn in dem Augenblicke nieder, als
dieser abermals jede Genugthuung verweigert und eben
das Terzerol zu seinem Schutze zieht.
Aus dieser Inhaltsangabe ist wohl schon zu er¬
kennen, daß Schnitzler dem Problem zu Liebe zwei erasse
Helden gewählt hat: den über jedes Maß der Erfahrung
rempelnden Officier und den allzu philosophisch angelegten
Nächer einer Frauenehre, der zwar selbst schlägt, aber ein
Feind des Sichschlagens ist und der, aus Liebe zum Leben
einem Zweikampfe ausweichend, die Chance verliert,
möglicherweise seinen Feind todtzuschießen, indem
dieser die Sache nun ohne alle Förmlichkeiten ein
seitig besorgt und danach mit den Worten enteilt:
„Der Lieutenant Karinsky weiß, was er nun zu thun
1. Wenn Arthur Schnitzler eine dramatische Streit¬
schrift wider das Duell verfassen wollte, so ist ihr just
das Gegentheil gelungen, nämlich zu zeigen, daß eine
thätliche Beleidigung unter Männern nach den An¬
schauungen gewisser Stände nur durch Blut geführt
werden kann, und zwar durch Mord, wenn der Zweikampf
verweigert wird, so daß der letztere eigentlich als das
geringere Uebel erscheint. Unbequem für die Tendenz
des Autors ist es auch, daß der Zuhörer nicht im
Stande ist, sich in Gemüthe vollständig wider
den Officier zu erklären und die Partei des Anderen
zu nehmer, weil eben trotz der Provocation die
Ohrfeige ein furchtbares Züchtigungsmittel ist, das mit
Rücksicht auf den Stand des Betroffenen dessen verzweifelte
That einigermaßen erklärlich scheinen läßt.
So sind wir denn am Schlusse so klug wie zuvor.
„Freiwild wird der Welt nicht einen Zweikampf ersparen,
im Gegentheil, es kann Rencontres kleinerer Art sogar
herbeiführen. Die Leidenschaftlichkeit, mit der gestern
einzelne Stellen wider das Duell beklatscht wurden,
hinderte nicht, daß ebenso laut wieder andere Stellen
acclamirt wurden, die von der Pflicht handelten, eine thätliche
Mißhandlung auch persönlich zu vertreten. Es saßen also zwei
Parteien im Theater, die Einen für die Anderen gegen
das Duell, ganz wie im Leben und ganz wie auf der
Bühne oben. Dem Dichter gebührt jedenfalls die Aner¬
kennung, daß er diesen Zwiespalt richtig personificirt und
namentlich in der Schilderung des Provinzkomödianten¬
thums ein meisterliches Milieu geschaffen hat. Der erste
Act, in dem sich dieses entwickelt, hatte denn auch den
größten Erfolg. Nach dem zweiten und dritten Acte er¬
schien Herr Schnitzler einigemale, um für den Beifall zu
danken.
Die Darstellung von modernen Stücken wird im
Carl-Theater immer klarer und runder. Es sind da einige
Schauspieler von hervorragender Begabung, wie der
liebenswürdige, heitere Korff, der schneidig=charakteri¬
stische Reusch, der zum Herzen sprechende Meyer¬
Eigen, der stets glaubhaft sich selbst gebende Klein,
gar nicht zu sprechen von Tewele und den Herren
Natzler und Czasta. Auch die Frauen fügen sich gut
in den erfreulich höheren Ton, der im Ganzen angeschlagen
wird. Es ist ein gutes Schauspieltheater mehr jetzt
in Wien.
Theater in der Josephstadt. Die Leute, welche
trotz der Darlegungen der Dramaturgen und der Pro¬
grammreden der Directoren noch immer glauben, daß die
Kunst des Schauspielers keine schöpferische, sondern blos
eine reproducirende sei, wurden gestern im Josephstädter
Theater eines Besseren belehrt. Das Künstlerpaar Maran
und Pohl=Meiser schuf ein prächtiges Carnevals¬
no
stück und creirte — wie oft wird dieses arme
den
andelt wurde,
Wort nicht mißbraucht! — köstliche Gestalten. Daß
N.
einer Arbeiten
dies im Rahmen eines recht geschickt von Hans
Weise bei Er¬
Carl-Theater. Arthur Schnitzler's Schaubie¬
Fischer und Joseph Jarno zusammengestellten
immungen der
„Freiwild", in Berlin schon vor Jahresfrist auf¬
nenz zu er
Schwankes „Aschermittwoch“ geschah, sei billigerweise
geführt, hat nun auch auf heimatlichem Boden Einlaß
Abg. Freiherrn
mitconstatirt. Der Lebemann, der vor Anbruch seines
wurde mit erhalten und einen freundlichen Empfang gefunden. Hier
40. Geburtstages, welcher zufällig auf den Aschermittwoch
und Freiherr
wie dort erschienen die dem Stücke nothwendigen Officere
fällt, nochmals tollen will und durch den improvisirten
enum bestellt
in merkwürdigen Phantasie=Uniformen, nur mit dem
Besuch eines halbwüchsigen Töchterchens und seiner
Unterschiede, daß diese sich in Berlin mehr den er¬
gegenwärtigen
reichischen, in Wien mehr dem preußischen Zuschitt mittel erlichen Cousine in eine Serie peinlichster Ver¬
auch nach
legenheiten geräth — wer kennt ihn nicht? Im vorliegenden
Landtages
näherten. Die veränderte Uniform genügte indeß nicht,
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Nr. 351.
5. Februar 1898.
Terzerol in der Tasche auf den Zusammenstoß vorbereiteten
Maler und schießt ihn in dem Augenblicke nieder, als
dieser abermals jede Genugthuung verweigert und eben
das Terzerol zu seinem Schutze zieht.
Aus dieser Inhaltsangabe ist wohl schon zu er¬
kennen, daß Schnitzler dem Problem zu Liebe zwei erasse
Helden gewählt hat: den über jedes Maß der Erfahrung
rempelnden Officier und den allzu philosophisch angelegten
Nächer einer Frauenehre, der zwar selbst schlägt, aber ein
Feind des Sichschlagens ist und der, aus Liebe zum Leben
einem Zweikampfe ausweichend, die Chance verliert,
möglicherweise seinen Feind todtzuschießen, indem
dieser die Sache nun ohne alle Förmlichkeiten ein
seitig besorgt und danach mit den Worten enteilt:
„Der Lieutenant Karinsky weiß, was er nun zu thun
1. Wenn Arthur Schnitzler eine dramatische Streit¬
schrift wider das Duell verfassen wollte, so ist ihr just
das Gegentheil gelungen, nämlich zu zeigen, daß eine
thätliche Beleidigung unter Männern nach den An¬
schauungen gewisser Stände nur durch Blut geführt
werden kann, und zwar durch Mord, wenn der Zweikampf
verweigert wird, so daß der letztere eigentlich als das
geringere Uebel erscheint. Unbequem für die Tendenz
des Autors ist es auch, daß der Zuhörer nicht im
Stande ist, sich in Gemüthe vollständig wider
den Officier zu erklären und die Partei des Anderen
zu nehmer, weil eben trotz der Provocation die
Ohrfeige ein furchtbares Züchtigungsmittel ist, das mit
Rücksicht auf den Stand des Betroffenen dessen verzweifelte
That einigermaßen erklärlich scheinen läßt.
So sind wir denn am Schlusse so klug wie zuvor.
„Freiwild wird der Welt nicht einen Zweikampf ersparen,
im Gegentheil, es kann Rencontres kleinerer Art sogar
herbeiführen. Die Leidenschaftlichkeit, mit der gestern
einzelne Stellen wider das Duell beklatscht wurden,
hinderte nicht, daß ebenso laut wieder andere Stellen
acclamirt wurden, die von der Pflicht handelten, eine thätliche
Mißhandlung auch persönlich zu vertreten. Es saßen also zwei
Parteien im Theater, die Einen für die Anderen gegen
das Duell, ganz wie im Leben und ganz wie auf der
Bühne oben. Dem Dichter gebührt jedenfalls die Aner¬
kennung, daß er diesen Zwiespalt richtig personificirt und
namentlich in der Schilderung des Provinzkomödianten¬
thums ein meisterliches Milieu geschaffen hat. Der erste
Act, in dem sich dieses entwickelt, hatte denn auch den
größten Erfolg. Nach dem zweiten und dritten Acte er¬
schien Herr Schnitzler einigemale, um für den Beifall zu
danken.
Die Darstellung von modernen Stücken wird im
Carl-Theater immer klarer und runder. Es sind da einige
Schauspieler von hervorragender Begabung, wie der
liebenswürdige, heitere Korff, der schneidig=charakteri¬
stische Reusch, der zum Herzen sprechende Meyer¬
Eigen, der stets glaubhaft sich selbst gebende Klein,
gar nicht zu sprechen von Tewele und den Herren
Natzler und Czasta. Auch die Frauen fügen sich gut
in den erfreulich höheren Ton, der im Ganzen angeschlagen
wird. Es ist ein gutes Schauspieltheater mehr jetzt
in Wien.
Theater in der Josephstadt. Die Leute, welche
trotz der Darlegungen der Dramaturgen und der Pro¬
grammreden der Directoren noch immer glauben, daß die
Kunst des Schauspielers keine schöpferische, sondern blos
eine reproducirende sei, wurden gestern im Josephstädter
Theater eines Besseren belehrt. Das Künstlerpaar Maran
und Pohl=Meiser schuf ein prächtiges Carnevals¬
no
stück und creirte — wie oft wird dieses arme
den
andelt wurde,
Wort nicht mißbraucht! — köstliche Gestalten. Daß
N.
einer Arbeiten
dies im Rahmen eines recht geschickt von Hans
Weise bei Er¬
Carl-Theater. Arthur Schnitzler's Schaubie¬
Fischer und Joseph Jarno zusammengestellten
immungen der
„Freiwild", in Berlin schon vor Jahresfrist auf¬
nenz zu er
Schwankes „Aschermittwoch“ geschah, sei billigerweise
geführt, hat nun auch auf heimatlichem Boden Einlaß
Abg. Freiherrn
mitconstatirt. Der Lebemann, der vor Anbruch seines
wurde mit erhalten und einen freundlichen Empfang gefunden. Hier
40. Geburtstages, welcher zufällig auf den Aschermittwoch
und Freiherr
wie dort erschienen die dem Stücke nothwendigen Officere
fällt, nochmals tollen will und durch den improvisirten
enum bestellt
in merkwürdigen Phantasie=Uniformen, nur mit dem
Besuch eines halbwüchsigen Töchterchens und seiner
Unterschiede, daß diese sich in Berlin mehr den er¬
gegenwärtigen
reichischen, in Wien mehr dem preußischen Zuschitt mittel erlichen Cousine in eine Serie peinlichster Ver¬
auch nach
legenheiten geräth — wer kennt ihn nicht? Im vorliegenden
Landtages
näherten. Die veränderte Uniform genügte indeß nicht,