II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 229

8.
Freiwild

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auch leider etwas anderes damit. Karinski kommt eben von einer
Niederlage, die er erlitten, zurück; die schöne kleine Schau¬
spielerin hatte seine Einladung zum Souper keiner Antwort ge¬
würdigt; als er sich dieselbe persönlich holen gewollt, waren die
Thüren von innen versperrt. Nun findet er im Freundeskreise,
wo er um Champagner gewettet, daß er siegen werde, seinen
vermeintlichen und eigentlich auch thatsächlichen Nebenbuhler. Als
er seine Niederlage erzählt, lächelt Rönning, und lächelt weiter,
als er auch sieht, daß Karinski auf ihn aufmerksam wird; sehr
aufmerksam. Indem dann der Lieutenant um den Grund des
Lachens frägt, und, als ihm eine ausweichende Antwort zu Theil den
wird, die keinen Halt gibt „Ich pflege hie und da zu lächeln"
starke Saiten aufzieht und Dinge über das Mädchen sagt, die
er ja selbst wohl nicht glaubt — hat er provocirt, gut, aber
was war dann Rönning's Lächeln, was die Antwort „Ich pflege
so hie und da zu lächeln?" Was war denn das
Und weiter. Rönning schlägt Karinski in's Antlitz, Rönning
will aber dann nicht Genugthuung geben, „er hat sich wie ein
Bube benommen, ich habe ihn wie einen Buben gezüchtigt",
„er ist mir über den Weg gelaufen — weiter nichts, sein ferneres
Schicksal geht mich nichts an.
Oho, Herr Rönning, Sie begehen da einen gewaltigen
Irrthum. Gut, er hat sich wie ein Bübe benommen; aber dem
Mädchen gegenüber, ihnen gegenüber nicht!
Sie haben ihn aber wie einen Buben behandelt, ihn in's
Gesicht geschlagen! — Wer gab ihnen das Recht, so zu handeln?
Ihre Liebe zu dem Mädchen! Zugegeben; dann haben sie aber
ein Amt übernommen, das nicht ganz so leicht ist, das nicht nur
heißt handeln, sondern auch für seine Handlungen einstehen.
Strafen ist leicht, man muß aber ein Recht zum strafen haben,
eine Autorität muß hinter dem Bestrafer stehen. Wenn es ihnen
nur darum zu thun gewesen wäre, Herr Rönning, daß Karinski
seine Strafe erhält, so gibt es ja Gerichtsbehörden, gibt einen
militärischen Ehrenrath. Sie wollten aber den kürzesten Weg
gehen, sie wollten strafen, sie wollten sogar gleich strafen, und
wer gibt ihnen das Recht hiezu, der mittelalterliche Glaube des
Gottesgerichtes, der Zweikampf, der hierauf folgen muß, der
Glaube, ich stehe für meine gerechte That mit meinem Leben ein,
und Gott hilft der gerechten Sache. Wie durften sie nun Genug¬
thuung verweigern? — Erst so heiß und dann so alt? — Wären
sie von allem Anbeginne an lau gewesen, es würde ihnen jetzt
besser stehen.
Wo bleibt aber dann die Logik ihres Benehmens? Sie
erfahren, daß Karinski verloren ist durch ihre Weigerung, daß
Karinski den Weg gehen wird, der ihm nothwendig vorgezeichnet
ist, daß er sie mit der Waffe in der Hand angreifen wird, wo
immer er sie findet — daß ihnen kein anderes Mittel bleibt, um
consequent zu sein, als abreisen, schleunigst abreisen, fliehen. Jetzt
werden sie wieder heiß, und bleiben. Stecken einen Revolver zu
sich in der Erwartung ihres Gegners. Werfen sie da nicht ihre
eigene Theorie über den Haufen? — Statt eines festgesetzten
Duells haben sie jetzt ein permanentes, eines, das nicht mehr
auf gesellschaft gesetzlichem Boden steht, aber trotzdem noch immer
ein Duell ist. Also schlagen sie sich ja doch. Warum also dann
die überflüssige Weigerung? — Warum, wozu — Es frägt
sich also jetzt nur, wer zuerst schießen wird. Karinski ist es, und
er hat seinem Charakter gemäß richtig gehandelt, logisch richtig
und nach der Naturnothwendigkeit, da er nicht anders konnte.
Wieso ist also Rönning das Freiwild? — Weil er so „frei¬
war, „wild“ zu sein, um dann zu erklären, „ich spiele nicht mit“.
Weil Karinski Officier ist und Rönning Civilist und der
Soldat auf den Nichtsoldaten schießt, deshalb ist letzterer das
Freiwild? Wenn dieser Karinski Civilist gewesen wäre, hätte er
nicht ebenso gehandelt?
Karinski ist ein mittelalterlicher Charakter, ein Mensch, der
auf Leben und Tod kämpfen muß mit dem Anderen, der ihn in's
Gesicht geschlagen. Schnitzler's großer Fehler liegt eben
darin, daß er Karinski als Vertreter eines ganzen Standes
zeichnet. Das Stück als solches wäre viel besser, wenn Karinski
nicht Lieutenant, sondern nur irgend ein Mensch wäre, und wenn
das Stück nicht „Freiwild“ hieße und keine Tendenz haben
wollte. Denn als Schauspiel allein ist es interessant und geistreich.
Die Darstellung war auf der Seite der Herren eine recht
gute. Herr Reusch als Karinski in Ton, Haltung und Geberde
was und wie er sein sollte und mußte, Herr Klein als Rönning
sympathisch, sogar zu sympathisch. Man verzieh dem Schauspieler
Vieles, was man dem Autor allein eben nicht vergeben hätte.
Herr Korff in einer Gigerlepisodenfigur war von der köstlichsten
Fadheit. Tewele als Director eines Sommertheaters sorgte für
einige Lachintermezzi. Die Herren Meyer=Eigen (Rittmeister
Rohnstedt), Martin (Doctor Albert Wellner), Blum (Lieute¬
nant Vogel, boten Durchschnittsleistungen. Frl. Sangora
Anna Riedel, Nawe) war