II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 265

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THEATER.
IM CARLTHEATER gibt man jetzt wieder ein
hochmodernes Stück, das Freiwilde, von Arthur
Schnitzler. In der guten alten Zeit pflegte man dem
Helden eines Stückes alle nur möglichen guten Eigen¬
schaften anzudichten, vor Allem natürlich die schönste
männliche Zierde, den persönlichen Muth; je tollkühner,
desto besser. Inzwischen ist ein anderes Geschlecht von
Dichtern herangewachsen, Leute, die den Muth, den sie
offenbar selber nicht besitzen, auch nicht zu schätzen
wissen, denen die Feigheit sympathischer ist, und welche
dieser bisher verächtlichsten Eigenschaft nicht nur das
Wort reden, sondern sie auch noch zu glorificiren suchen!
Man musste das erleben, um es wirklich für möglich zu
halten. — Der Held des Stückes Freiwilde ist also ein
ganz elender Kerl, eine wahre Jammerfigur, die jeder
anständige Mensch am liebsten gleich — entmann sehen
würde, ein Feigling allererster Classe oder, um uns sport¬
lich auszudrücken, ein wahrer Champion feiger Erbarm¬
lichkeit. Dabei ist aber das Stück eine grosse Lüge und
Fälschung von Anfang bis zu Ende. Der Feigling gibt
nämlich in dem Stücke einem Officier eine Ohrfeige,
dann erst kneift er aus. Ist das nicht zu läppisch. Wer
fähig ist, sich dazu zu versteigen, einen Officier zu schlagen,
der schlägt sich auch. In dem Machwerk des Herrn
Schnitzler ist das aber nicht so. Sein Held gibt zwar
zuerst die Ohrfeige, dann aber ist er plötzlich ein —
erbärmlicher Feigling, eine im Leben ganz unmögliche
Figur, die Ausgeburt einer total verkrüppelten Phan¬
tasie und Moral. Bekanntlich verkörpern die Dichter
in ihrem Helden gerne ein bischen sich selber, mindestens
legen sie demselben alle ihre Anschauungen in den Mund.
Wenn das bei dem Schnitzler’schen Stücke auch der Fall
ist — und es liegt kein Grund vor, das nicht anzu¬
nehmen — dann hat die Welt wohl das Recht, sich über
diesen Herrn Dichter ein vernichtendes Urtheil zu bilden
aber nicht blos in seiner Eigenschaft als Verfasser des
Freiwild, sondern auch als — Menschen. Man sollte
meinen, dass man selber weder besonders muthig, noch
ritterlich zu sein braucht, um wenigstens Respect vor dem
Muthe und der Ritterlichkeit Anderer zu haben. Die
neue Richtung will es anders. Was wir nicht haben, soll
auch für Andere nicht mehr gelten. Nieder also mit dem
Muthe, nieder mit der Ritterlichkeit, es lebe — die Feig¬
heit! Und gehört denn nicht auch ein gewisser, allerdings
höchst trauriger Muth dazu, mit seiner Feigheit offen auf
den Markt hinaus zu treten und zu sagen: Seht her, so
bin ich, ich kann eben nicht anders sein, ich will auch
gar nicht anders sein, und deshalb will ich — dass Ihr
Anderen auch alle so werdet!? — Der Held des Stückes
oder vielmehr die erstunkene Ohrfeige dieses erbärmlichen
Feiglings ist aber noch lange nicht das Aergste. Der
officiersfeindliche Autor hat die Keckheit, auch noch
einen Rittmeister zu zeichnen, der dem Feigling nach¬
läuft und ihm ein — Scheinduell vorschlägt! Das
wären wirklich saubere Officiere. Wo hat man je solche
gesehen? Vielleicht würde es einmal solche geben, wenn
es dazu käme, dass man Gesinnungsgenossen Schnitzlers
in das Officierscorps zuliesse — wovor der liebe Herrgott
jede Armee bewahren möge Ueberhaupt weht ein Geist
läppischer Unmännlichkeit, ein Parfum von Niedrigkeit,
ein Gestank von Erbärmlichkeit und Feigheit aus dem
Stücke, dass jedem Manne von Muth, von Selbstachtung
und Würde dabei einfach übel werden muss. Das Mach¬
werk ist eine plumpe Speculation auf die verächtlichste
Menschengattung, auf die Memmen und Auskneifer. Die
Leute, denen das gefällt, und welche die Ohrfeige be¬
klatschen, die darin der Officier erhält, sind Diejenigen,
die im wirklichen Leben — gewiss niemals Ohrfeigen zu
geben, sondern blos solche zu empfangen pflegen. Das
Alles wird nicht hindern, dass das Freiwilde ebensoviel
Zulauf finden wird wie das Neue Ghetto von Herzl.
Welches Vergnügen für so Viele, einen Officier geohrfeigt
zu sehen! Welches Gaudium für Alle, die längst gerne
einmal diesen oder jenen Officier geschlagen — gesehen
hätten, dies nun allabendlich in der Leopoldstadt um 3 fl.
in allergrösster persönlicher Sicherheit vom Parquet aus
haben zu können. Für diese Gattung Publicum ist wohl
das Freiwild wie geschaffen, und Arthur Schnitzler hat
das unbestrittene Recht, sich als der berufenste literari¬
sche Repräsentant dieser — — Gattung Zeitgenossen zu
Victor Silberer.
betrachten.

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