8. Freiwild
box 14/4
Io. Das Schiller=Theate, darf wieder einen Erfolg
verzeichnen. Schnitzlers Schauspiel „Freiwild, das vor
Jahren am Deutschen Theater seine Erstaufführung erlebte,
zog am Montag Abend in das Schiller=Theater ein und übte
auf das naivere und ungleich empfänglichere Publikum dieser
Bühne eine nachhaltige Wirkung aus. Wiederholt wurden
die Darsteller vor die Rampe gefordert. Und der stürmische
Beifall war echt, er kam von Herzen, er war allgemein und
was mehr werth ist, war auch verdient. Wenn auch einzelne
Leistungen nicht auf der Höhe standen, stellenweise der Souffleur
ur
eine zu gewichtige Rolle spielte, das Milieu in Folge
des gemischten, vorwiegend norddeutschen Idioms etwas
merkwürdig anmuthete, so lag über dem Ganzen doch Stim¬
„ 10 mung und ein großer Zug, der mit manchen Mängeln im
Einzelnen vollständig aussöhnte. Der liebenswürdige Leichtsinn
des Wienerthums und die in ihm wohnende Lebensfreudigkeit,
Abonne die ihm anhaftende Oberflächlichkeit einerseits und seine sich in
er den Momenten äußernde Gemüthstiefe kamen im Allge¬
Die einzelnen Fi¬
meinen trefflich zur Geltung.
Inhalts guren hoben sich scharf von einander ab und traten in
burt plastischer, lebenswahrer Anschaulichkeit heraus.
wodurch die Fähigkeit des Verfassers spricht dies umsomehr
des In da nur zum geringsten Theile dem spezifisch Oesterreichischen
werder Rechnung getragen werden konnte. Wenn auch dieses vom
Verfasser gezeichnet werden sollte, so zeigte es sich, das seine
Menschen aus, auf anderen Boden versetzt noch immer glaub¬
würdig sind und seine schorfe Beobachtungsgabe auch hier,
wenn auch nicht im gleichen Maße, zur Geltung gelangt.
Sehr lehrreich und in Anbetracht der Verhältnisse richtiger
wäre es gewesen, wenn alle Darsteller sich des Hochdeutschen
bedient hätten. Dadurch wäre mehr Einheitlichkeit in die Vor¬
stellung gekommen und es wäre um so angebrachter gewesen, als
nur zwei Darsteller, Hr. Pategg und Frl. Ernst, des österreichischen
Dialektes sich als mächtig erwiesen. Hr. Patry, der sehr charakte¬
ristisch den gutmüthigen, liebenswürdigen Husarenleutnant Vogel
gab und dem für die Regie ein warmes Wort der Anerkennung
gebührt, sprach ungarisch-norddeutsch. Sein Bemühen hätte
Lob verdient, wenn er unter seinen Kameraden und der Mehr¬
zahl der Darstellenden unterstützt worden wäre. Da deren
Bemühen aber sicher fruchtlos geblieben wäre, so ist es ver¬
nünftig, daß sie den Versuch dazu überhaupt nicht gemacht
haben. Das Stück behandelt, die bekannt, die Frage, ob man
den bestehenden Ehrenkoder und das in gewissen Fällen noth¬
Besonders geschickt
wendige Duell ignoriren darf.
ist diese brennende Frage nicht behandelt. Der Zu¬
schauer wird sogar gezwungen, das ursprüngliche Interesse
für Paul Rönning, der sich schließlich als Gegner des Duells
erweist, dem Anfangs höchst unsympathischen Oberleutnant
Karinsky zuzuwenden, der das Duell provozirt hatte. Herr
Paeschke, der die undankbare Rolle des Rönning dar¬
stellte, gab sich alle Mühe, der Figur so liebenswürdige Züge
wie möglich zu verleihen, aber nicht seine Schuld war es,
wenn es ihm nicht gelang, tieferes Interesse einzuflößen. Herr
Gregori als Karinsky gab seinem Oberleutnant gar zu
düstere Farben. Er spielte ihn wie einen Intriguanten
daß seine
schlimmster Sorte. Aber abgesehen davon
Darstellung wohl kaum den Absichten des Dichters
entsprechen dürfte, verdient er, falls man davon ab¬
sieht, für die konsequente Durchführung immerhin
Lob. Ueber Auffassungen läßt sich ja streiten. Vor¬
züglich war Herr Kaiser als Oberleutnant Rohnstedt.
Sehr diskret und wirkungsvoll spielte er besonders die
Szene, in der er Rönning bittet, das Duell anzunehmen. In
der schwierigen Rolle des Dr. Wellner zeigte sich Herr Holt¬
haus als erstklassiger Künstler, und elegant und die humo¬
ristischen Spitzen in seiner Weise heraushebend gab Herr
Köstlin den Poldi Grehlinger, Lebenswahr, mit wunder¬
bar charakteristischer Färbung stellte Herr Pategg den
Schmierendirektor Schneider dar, und rührende, ungemein
sympathische Züge verlieh Fräulein Wulf der Anna Riedel.
Mit besonderer Anerkennung seien auch genannt die Herren
Schmasow als eifersüchtiger Komiker, Herr Zollin als
Heldendarsteller Balduin, Herr Bendey als Regisseur und
Fräulein Carl Ernst als schneidige Wiener Soubrette,
Von 16
Kleines Feuilleton
Das Schiller-Theater bot seinen Besuchern gestern
zum ersten Mal ein Werk aus der Feder Arthur
Schnitzlers, das dreiaktige Schauspiel „Freiwil,
bekannt aus den Aufführungen des „Deutschen Theaters.
Das Motiv, das alle Arbeiten des österreichischen Autors
mehr oder weniger mit einander gemein haben, das Ver¬
hältniß des jungen, lebensheiteren Wieners zu dem kleinen
süßen" Mädel, liegt auch Schnitzlers „Freiwild“ zu Grunde,
nur daß die Zeichnung des Liebeslebens, der Seelen¬
stimmungen, auf Kosten einer derberen Handlung
Für
viel weniger zart und fesselnd in die Erscheinung tritt, wie in usive
20 der Filigranarbeit von Schnitzlers „Liebelei. In „Freiwild" rto.
50 versucht der Autor eine Schilderung der gesellschaftlich De¬ ba¬
„ 100 klassirten, der kleinen Komödiantinnen, die als Freiwild gelten, praus.
die jeder Kavalier glaubt rücksichtslos in das Gehege seiner
Jagd einbeziehen zu dürfen, und er versucht, ein Pen¬ st das
Abonner dant zu schaffen in den Männern, die sich in gesellschaftlicher es den
Abonner Stellung über den traditionellen Ehrenkoder hinwegzusetzen
wagen und es ablehnen, mit der Wasse in der Hand die letzte
D Konsequenz ihres Thuns zu ziehen. Die Fabel des Stückes und die
Inhalts ist nicht neu, sie ist so alt wie der Begriff der Mannesehre, ge¬
blatt und auch Schnitzler war es nicht vergönnt, mit starken Wort itung")
wodurch eine Lösung zu geben. Bezeichnend hierfür mag der Leben
des In- Umstand gelten, daß ein besonders starkes Aufgebot ungen
werden von Episodenfiguren nöthig schien, um die Wirkung des
Theaterabends herauszuholen. So blieb nicht allzu viel
Raum, um das Problem an sich zu vertiefen, eine Rechnung,
die der Dichter wohl nicht unabsichtlich aufstellte. Die Dar¬
stellung des Stückes, das besonders in den beiden letzten
Akten spannende Szenen enthält, war gestern eine recht gute,
Ferdinand Gregori, zuerst als Reichtsinniger
Oberleumant etwas zu herb im Ton, wußte im
Schlußakt als Entehrter, der sich vor seiner Welt
eigenmächtig die Ehre wieder giebt, zu packen, Mari¬
anne Wulf, wenn auch nicht sensitiv genug für die
Schnitzlersche Mädchengestalt, brachte, dank ihrer reichen
Kunst, stimmungsvolle Wirkungen zu Wege, und auch Georg
Parschke, der sich nur die Angewohnheit der steifen
Nackenhaltung abgewöhnen müßte, verstand es, als junger, reicher
Maler, der sein Leben nicht der Duc der zum Opfer bringen
will und deshalb vom Gegner als Freiwild niedergeschossen wird,
Sympathien zu erringen. Max Pategg als siebenfach
gesottener Theaterdirektor, Alfred Schmasow als welt¬
schmerzlicher Komiker der Schmiere, Friedrich Holz¬
haus als ehrlicher Freund des Malers, mit dem offenen
Blick des Lebenspraktikers, gaben zusammen mit den übrigen
Darstellern und Darstellerinnen der Aufführung lebhaftes
Kolorit. Das Publikum applaudirte stark und rief die
R. H.
Künstlerschaar häufig vor die Rampen.
box 14/4
Io. Das Schiller=Theate, darf wieder einen Erfolg
verzeichnen. Schnitzlers Schauspiel „Freiwild, das vor
Jahren am Deutschen Theater seine Erstaufführung erlebte,
zog am Montag Abend in das Schiller=Theater ein und übte
auf das naivere und ungleich empfänglichere Publikum dieser
Bühne eine nachhaltige Wirkung aus. Wiederholt wurden
die Darsteller vor die Rampe gefordert. Und der stürmische
Beifall war echt, er kam von Herzen, er war allgemein und
was mehr werth ist, war auch verdient. Wenn auch einzelne
Leistungen nicht auf der Höhe standen, stellenweise der Souffleur
ur
eine zu gewichtige Rolle spielte, das Milieu in Folge
des gemischten, vorwiegend norddeutschen Idioms etwas
merkwürdig anmuthete, so lag über dem Ganzen doch Stim¬
„ 10 mung und ein großer Zug, der mit manchen Mängeln im
Einzelnen vollständig aussöhnte. Der liebenswürdige Leichtsinn
des Wienerthums und die in ihm wohnende Lebensfreudigkeit,
Abonne die ihm anhaftende Oberflächlichkeit einerseits und seine sich in
er den Momenten äußernde Gemüthstiefe kamen im Allge¬
Die einzelnen Fi¬
meinen trefflich zur Geltung.
Inhalts guren hoben sich scharf von einander ab und traten in
burt plastischer, lebenswahrer Anschaulichkeit heraus.
wodurch die Fähigkeit des Verfassers spricht dies umsomehr
des In da nur zum geringsten Theile dem spezifisch Oesterreichischen
werder Rechnung getragen werden konnte. Wenn auch dieses vom
Verfasser gezeichnet werden sollte, so zeigte es sich, das seine
Menschen aus, auf anderen Boden versetzt noch immer glaub¬
würdig sind und seine schorfe Beobachtungsgabe auch hier,
wenn auch nicht im gleichen Maße, zur Geltung gelangt.
Sehr lehrreich und in Anbetracht der Verhältnisse richtiger
wäre es gewesen, wenn alle Darsteller sich des Hochdeutschen
bedient hätten. Dadurch wäre mehr Einheitlichkeit in die Vor¬
stellung gekommen und es wäre um so angebrachter gewesen, als
nur zwei Darsteller, Hr. Pategg und Frl. Ernst, des österreichischen
Dialektes sich als mächtig erwiesen. Hr. Patry, der sehr charakte¬
ristisch den gutmüthigen, liebenswürdigen Husarenleutnant Vogel
gab und dem für die Regie ein warmes Wort der Anerkennung
gebührt, sprach ungarisch-norddeutsch. Sein Bemühen hätte
Lob verdient, wenn er unter seinen Kameraden und der Mehr¬
zahl der Darstellenden unterstützt worden wäre. Da deren
Bemühen aber sicher fruchtlos geblieben wäre, so ist es ver¬
nünftig, daß sie den Versuch dazu überhaupt nicht gemacht
haben. Das Stück behandelt, die bekannt, die Frage, ob man
den bestehenden Ehrenkoder und das in gewissen Fällen noth¬
Besonders geschickt
wendige Duell ignoriren darf.
ist diese brennende Frage nicht behandelt. Der Zu¬
schauer wird sogar gezwungen, das ursprüngliche Interesse
für Paul Rönning, der sich schließlich als Gegner des Duells
erweist, dem Anfangs höchst unsympathischen Oberleutnant
Karinsky zuzuwenden, der das Duell provozirt hatte. Herr
Paeschke, der die undankbare Rolle des Rönning dar¬
stellte, gab sich alle Mühe, der Figur so liebenswürdige Züge
wie möglich zu verleihen, aber nicht seine Schuld war es,
wenn es ihm nicht gelang, tieferes Interesse einzuflößen. Herr
Gregori als Karinsky gab seinem Oberleutnant gar zu
düstere Farben. Er spielte ihn wie einen Intriguanten
daß seine
schlimmster Sorte. Aber abgesehen davon
Darstellung wohl kaum den Absichten des Dichters
entsprechen dürfte, verdient er, falls man davon ab¬
sieht, für die konsequente Durchführung immerhin
Lob. Ueber Auffassungen läßt sich ja streiten. Vor¬
züglich war Herr Kaiser als Oberleutnant Rohnstedt.
Sehr diskret und wirkungsvoll spielte er besonders die
Szene, in der er Rönning bittet, das Duell anzunehmen. In
der schwierigen Rolle des Dr. Wellner zeigte sich Herr Holt¬
haus als erstklassiger Künstler, und elegant und die humo¬
ristischen Spitzen in seiner Weise heraushebend gab Herr
Köstlin den Poldi Grehlinger, Lebenswahr, mit wunder¬
bar charakteristischer Färbung stellte Herr Pategg den
Schmierendirektor Schneider dar, und rührende, ungemein
sympathische Züge verlieh Fräulein Wulf der Anna Riedel.
Mit besonderer Anerkennung seien auch genannt die Herren
Schmasow als eifersüchtiger Komiker, Herr Zollin als
Heldendarsteller Balduin, Herr Bendey als Regisseur und
Fräulein Carl Ernst als schneidige Wiener Soubrette,
Von 16
Kleines Feuilleton
Das Schiller-Theater bot seinen Besuchern gestern
zum ersten Mal ein Werk aus der Feder Arthur
Schnitzlers, das dreiaktige Schauspiel „Freiwil,
bekannt aus den Aufführungen des „Deutschen Theaters.
Das Motiv, das alle Arbeiten des österreichischen Autors
mehr oder weniger mit einander gemein haben, das Ver¬
hältniß des jungen, lebensheiteren Wieners zu dem kleinen
süßen" Mädel, liegt auch Schnitzlers „Freiwild“ zu Grunde,
nur daß die Zeichnung des Liebeslebens, der Seelen¬
stimmungen, auf Kosten einer derberen Handlung
Für
viel weniger zart und fesselnd in die Erscheinung tritt, wie in usive
20 der Filigranarbeit von Schnitzlers „Liebelei. In „Freiwild" rto.
50 versucht der Autor eine Schilderung der gesellschaftlich De¬ ba¬
„ 100 klassirten, der kleinen Komödiantinnen, die als Freiwild gelten, praus.
die jeder Kavalier glaubt rücksichtslos in das Gehege seiner
Jagd einbeziehen zu dürfen, und er versucht, ein Pen¬ st das
Abonner dant zu schaffen in den Männern, die sich in gesellschaftlicher es den
Abonner Stellung über den traditionellen Ehrenkoder hinwegzusetzen
wagen und es ablehnen, mit der Wasse in der Hand die letzte
D Konsequenz ihres Thuns zu ziehen. Die Fabel des Stückes und die
Inhalts ist nicht neu, sie ist so alt wie der Begriff der Mannesehre, ge¬
blatt und auch Schnitzler war es nicht vergönnt, mit starken Wort itung")
wodurch eine Lösung zu geben. Bezeichnend hierfür mag der Leben
des In- Umstand gelten, daß ein besonders starkes Aufgebot ungen
werden von Episodenfiguren nöthig schien, um die Wirkung des
Theaterabends herauszuholen. So blieb nicht allzu viel
Raum, um das Problem an sich zu vertiefen, eine Rechnung,
die der Dichter wohl nicht unabsichtlich aufstellte. Die Dar¬
stellung des Stückes, das besonders in den beiden letzten
Akten spannende Szenen enthält, war gestern eine recht gute,
Ferdinand Gregori, zuerst als Reichtsinniger
Oberleumant etwas zu herb im Ton, wußte im
Schlußakt als Entehrter, der sich vor seiner Welt
eigenmächtig die Ehre wieder giebt, zu packen, Mari¬
anne Wulf, wenn auch nicht sensitiv genug für die
Schnitzlersche Mädchengestalt, brachte, dank ihrer reichen
Kunst, stimmungsvolle Wirkungen zu Wege, und auch Georg
Parschke, der sich nur die Angewohnheit der steifen
Nackenhaltung abgewöhnen müßte, verstand es, als junger, reicher
Maler, der sein Leben nicht der Duc der zum Opfer bringen
will und deshalb vom Gegner als Freiwild niedergeschossen wird,
Sympathien zu erringen. Max Pategg als siebenfach
gesottener Theaterdirektor, Alfred Schmasow als welt¬
schmerzlicher Komiker der Schmiere, Friedrich Holz¬
haus als ehrlicher Freund des Malers, mit dem offenen
Blick des Lebenspraktikers, gaben zusammen mit den übrigen
Darstellern und Darstellerinnen der Aufführung lebhaftes
Kolorit. Das Publikum applaudirte stark und rief die
R. H.
Künstlerschaar häufig vor die Rampen.