II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 297

8. Freiwild
box 14/4
alle
Ausschnitt ausrer Volksblatt
vom
9 1904
Wunsche: „Aufsehen.
* Stadttheater. Schnitzler, der interessanteste Dra¬
matiker der von uns schon mehrmals gekennzeichneten Wiener
Richtung, hat gestern mit seinem Thesenstück „Freiwild
das vollbesuchte Haus in angeregteste Spannung versetzt. Ein
Offiziersstück, gegen das Duell gerichtet, man weiß, daß in
Berlin und andern reichsdeutschen Städten die Offiziere da¬
gegen demonstriert hatten, während sie in Prag es stürmisch
applaudierten. In Graz konnte es wegen Zensurschwierigkeiten
lange Zeit nicht gegeben werden, gestern traten statt öster¬
reichischer Offiziere italienische Uniformen auf, zum Nachteil
des Stückes. Abgesehen von dem nichts weniger als feschen
Aussehen — wer in Venedig oder andern italienischen Städten
war, wird sich an die bizarren Maskeraden des dortigen Mi¬
litärs erinnern — glauben wir diesen Leuten auch nicht das
schneidige offene Auftreten, das den österreichischen, den
deutschen Offizier charakterisiert. Freiwild ist das selbständige
junge Mädchen, das, weil es so schön und beim Theater ist,
von der Herrenwelt alle Frechheiten sich soll gefallen lassen,
ja Herr Schneider, der Direktor des Sommertheaters, rechnet
sogar damit, daß seine Damen in lebendigem Kontakt mit
dem Publikum bleiben, ihre Verehrer haben, die ihnen die
knappe Gage aufbessern und abends Logen und Parket füllen.
So halten es auch die Offiziere des Badeortes, die Theater¬
damen sind ihnen ein kansanter Zeitvertreib, die pricke
Gesellschaft ihrer Champagnergelage, besonders Oberleutnant
Karinski findet dies selbstverständlich und ist erbost, daß Anna
Riedel, die junge Naive, eine Ausnahme mocht. Sie hat aber
aus diesem Grunde vom Direktor die Kündigung erhalten.
Paul Rönning, ein junger Privatier, schätzt und liebt sie.
Er hört die verächtlichen Bemerkungen des Oberleuts und
ohrfeigt ihn für sein bübisches Benehmen. Mit Mühe halten
die beiden andern Offiziere den Karinski zurück, sie über¬
bringen Rönning die Duellforderung. Der lehnt sie ab, denn
er sieht nicht ein, weshalb er sein Leben auf das Spiel setzen
soll, weil er einem Unverschämten die verdiente Züchtigung
erteilt hat. Nach dem Ehrenkoder der Gesellschaft ist er nun
unmöglich gemacht, selber Freiwild geworden, das jeder be¬
leidigen darf. Aber auch der Oberleutnant muß schimpflich
quittieren, um dies zu vermeiden, suchen seine Freunde wenig¬
stens den Schein zu retten, Rönning möge auf ein harmloses
nur zum Schein geführtes Pistolenduell eingehen. Der junge
Mensch, der die Unmoral des Duells verwirft, ist für eine
derartige Gaukelei noch weniger zu haben. Seine Freunde
raten ihm, sofort abzureisen, weil er von dem verzweifelten
Offizier das Außerste zu befürchten hat. Rönning will aber
niemand über sich das Recht einräumen, sein Tun und Lassen
zu bestimmen, ihm vorzuschreiben, ob er bleiben oder fort¬
gehen soll. Noch kurz vorher wollte er Anna Riedel nach
Wien begleiten, sie hätte nie zugegeben, daß Rönning sich
ihretwegen duelliert, nun schätzt sie ihn umso höher, weil auch
sie den Duellunsinn verurteilt. Sie liebte Rönning nicht, aber
nun ist er vereinsamt, sein Herz, all seine Hoffnungen gehörten
ihr, seine edle innige Liebe überwältigt sie, sie nimmt seinen
Antrag an. In Angst um sein Leben bestürmt sie ihn, zu
fliehen, Rönning bleibt. Da tritt ihm Karinski entgegen. Noch¬
mals verlangt er Genugtuung im Duell, Rönning verweigert
sie, da kracht ein Pistolenschuß, Rönning sinkt zu Tode ge¬
troffen nieder. Das Stück wurde brillant aufgeführt, Herr
Gerhard erwies sich mit dem Oberleutnant Karinski wieder
als intelligenter, trefflicher Charakterdarsteller, mit überzeu¬
gendem Ernst gab Herr Wirth den Rönning. Herr Hauser
wird für feindurchdachte Episodenfiguren eine Spezialität wer¬
den, eine sympathische Erscheinung machte Herr Schön aus
dem Badearzt. Die Offiziere wurden von den Herren Schroth
und Beraun individuell gegeben, in humorvoller Auffassung
spielte Herr Jules den zynischen Theaterdirektor. Überrascht
durch ihr temperamentvolles flottes Spiel hat Fräulein Kü¬
stenfeld, die Anna Riedel fand durch Fräulein Sikorg
eine überzeugende, vornehme Darstellung. Noch wären die
Herren Haid und Groß zu nennen.