II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 300

box 14/4
8. Freiwil
Dr. Max Goldschmidt
• • • Bureau für ooc
Zeitungsausschnitte
Berlin N. 24.
Telephon: III. 3051.
Ausschnitt aus
Neues Wiener Tagblan
16 SER 1904
Aus Graz, 15. d., wird uns telegraphiert: Im
Stadttheater gelangte gestern Schnitzlers „Freiwild
sen Aufführung an Sie
Aufnahme; die gegen das Duell gerichteten Stellen riefen
besonders lebhaften Beifall hervor.

an.
Geschehnisses zu einer Art von These liegt, ob nun
Stadttheater.
der Dichter sie aufstellen wollte oder nicht, auch im

Schauspiel „Freiwild" nahe. Hier aber dürfte sie dem
Schnitzlers „Freiwild")
militärischen Geiste nicht entgegen sein. Im Gegenteil
Das Offizierspatent, dessen Arthur Schnitzler
eher dem des Zivilisten. Denn die These müßte lauten:
wegen seiner Novelle „Leutnant Gustl“, für verlustig
Darf ein Offizier einen Zivilisten, der ihn gröblich
erklärt worden ist, scheint durch das Schauspiel „Frei¬
insultiert hat und sich weigert, ihm ritterliche Satis¬
wild", das älter ist als die Novelle, in keiner Weise
faktion zu geben, einfach niederschießen? Und die Ant¬
gefährdet gewesen zu sein, und das leuchtet auch dem
wort, die der Dichter am Schluß seines Stückes gibt
Zivilisten ein. Der Leutnant Gustl ist durch einen
scheint im bejahenden Sinne zu lauten.
Bäckermeister unter vier Augen gröblich insultier
Aber es wird vielleicht das Klügere sein, nicht
worden und meint, sich deshalb erschießen zu müssen,
nach den Absichten des Dichters zu forschen, sondern
da er den behäbigen Spießer unmöglich fordern kann.
sich an das Tatsächliche zu halten. Anna Riedel.
Als aber diesen Bäcker in derselben Nacht der Schlag
Naive bei einem Sommertheater (von Fräulein
trifft, sagt Gustl aufatmend „Schwamm drüber
Sikora dargestellt), ist ein weißer Rabe unter
erschießt sich nicht und trägt weiter sein Portepee.
ihren Kolleginnen, die verkörperte Anständigkeit.
Es ist nun ganz klar, daß ein Stand, der auf seine
Dem Oberleutnant Karinski (Herr Gerhard)
Ehre und auf bestimmte Formen, die ihm zur Wahrung
gefällt diese Anständigkeit gar nicht, weil ihm das
dieser Ehre nötig scheinen, etwas hält, so etwas
Mädel gefällt. Er glaubt auch nicht sehr fest an diese
nicht gerne ruhig hinnehmen mochte. Denn das würde
Tugend, wettet, daß er die Riedel zum Souper mit¬
leicht so aussehen, als hätte diese Ehre ihre Wurzeln
bringen werde, verliert die Wette, ärgert sich darüber
nicht in der Brust des rechten Mannes, sondern in der
und wird provokant gegen Paul Rönning, den er für
Meinung der anderen. Einem verinnerlichten Ehrbegriff
den Geliebten der Riedel hält. Es entspinnt sich ein
kann eine solche Deutung unmöglich entsprechen. Daß
Wortwechsel, Karinski nennt das Mädchen ungefähr eine
man entehrt sein kann, ohne daß ein anderer Sterb¬
Dirne, worauf Rönning ihm einen Schlag ins Gesich
licher etwas davon weiß, ist ein feiner und erlesener
versetzt. Dr. Wellner (Herr Schön) und der giger¬
Gedanke, und wenn man auch vom Dichter kaum ver¬
hafte Poldi Grehlinger (Herr Hauser hat wohl die
langen konnte, daß er gerade seinem Leutnant Gustl
preziöse Ruhe eines Wiener Gigerls noch nie studiert),
eine solche Tiefe der Auffassung hätte zutrauen sollen,
so ist doch die Gepflogenheit, in der schlichten Dar¬ die Rönnings Freunde sind, erbieten sich diesem als
Zeugen. Der aber erklärt kühl, er werde sich nich
stellung eines Einzelfalles Tendenz zu wittern, so sehr
schlagen. Er habe einen Buben nach Verdienst gezüchtigt,
verbreitet, daß man sich wundern müßte, wäre gerade
damit sei die Sache für ihn abgetan. Karinski habe die
in diesem Falle nicht verallgemeinert worden.
Diese Verallgemeinerung des individuell konstruierten Ohrfeige verdient, er aber solle dafür vielleicht
den Tod eintauschen, den er gewiß nicht verdient habe
„Der Schlag aber bedeutet nicht den Schla¬
sondern eine tödliche Beleidigung, wie du sehr wo
weißt, sagt Wellner und hat recht. „Was mir in de
Duell geschähe, würde nichts bedeuten, sonder
etwas sein," sagt Rönning und hat auch recht.
denkst an nichts als an die Gefahr, in der du schwebst,
ruft Wellner; wenn man nachträglich so vorsichtig
so hat man kein Recht, vorher so unüberlegt zu sei
besonders aus rein persönlichen Gründen. Warum sin
wir anderen nicht empört gewesen?" Und damit
Wellner wiederum recht. „Das ist euer Fehler, nich
der meine," versetzt Rönning; „wenn ihr euch v.
eurem ehrlichen Gefühl leiten ließet, nicht von eur
Kodexphilosophie, so hättet ihr alle gestern diese
Menschen von unserem Tische wegjagen müsse
und ihn für ehrlos erklären — nicht mich, we¬
ich mich nicht schlage." Und damit hat auch Rönnin
wiederum recht. Kurz, in dieser Szene, die von
für das Stück wesentlichen Szenen die beste, vielleich
die einzig gute ist, haben sie beide recht, der, welche
für, und der, welcher gegen das Duell plaidiert. Bei
führen sie ihre Sache mit einer gewissen Virtuosität.
Hier sitzt der Herzkeim des Stückes, das en
pfindlich unbefriedigend bleibt; vielleicht wegen des ge¬
wählten Problems überhaupt, vielleicht auch nur wege
dessen an der Oberfläche haftender Behandlung. Der
eigentlich müßte das Duell, das der Staat auf de
einen Seite fordert und auf der anderen bestraft, eb
deshalb den Vorwurf für einen packenden tragisch
Konflikt und für ein gutes Bühenstück liefern könne
Wir haben aber ein solches noch nicht gesehen.
„Freist der Grund, warum es keine gelunge