II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 317

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Splitter geschossen. Was der Nihilismus in lang¬
samer Bohr= und Sägearbeit nicht vermochte,
Theater und Kun
noch lange die Aufklärung nicht vermocht hätte,
Schnitzlers „Freiwilde im Volkstheater.
diesen massiven Tragbalken des Zarenthrones
zu brechen — Wladimir hat es mit wenigen
(28. Januar 1905.)
Gewehrsalven vermocht. Er meinte, eine Aufgabe
Im Deutschen Volkstheater ist gestern schnitt¬
Romanowscher Staatskunst zu lösen, und hat
lers Drama „Freiwild" gegeben werde nach¬
dem es schon im Jahre 1898 im Buchhandel er¬
ahnungslos, eine weltgeschichtliche Mission
füllt.
schienen und längst an anderen Ort gespielt
worden ist. Die Dichtung bekämpft in pelter
In Zarskoje Selo erwartet Nikolaus
Richtung soziale Uebelstände, sie gleichsam unter
energischen Onkel. Durch den Prunk seiner
einem Gesichtspunkte betrachtend oder doch mit
mächer irrend, über Perlmutterböden, Malacht¬
einander in Parallele setzend. „Freiwild, das
treppen, in Sälen, deren Wände aus köstlichen
ist die Schauspielerin, die sich darauf beschränken
Kristall geschliffen blitzen, tief eingebettet im
will, ihren vertragsmäßigen Verpflichtungen zu
übermütigen Pomp seines Hauses wartet Niko¬
genügen, und die schutzlos den Launen des Publi¬
kums und der Willkür eines Ungebührliches von
laus. Wird, einsam, wieder von der Sentimen
ihr heischenden Direktors ausgesetzt ist. Und
talität beschlichen, weint um das Blut, das ver¬
„Freiwild“ ist auch der Bürger, den ein unglück¬
gossen ward, tröstet sich mit Heiligenbildern und
licher Zufall, den fremdes Verschulden in einen
bebt, ob seine „Feinde bis hierher dringen
Konflikt mit einem Offizier gebracht hat und der
werden, hat den Kartätschendonner vom Drei¬ sich weigert, sich den Bestimmungen eines Ehren¬
königstag noch im Ohr und in den Nerven, und koder zu unterwerfen, deren Sinn, deren Billig¬
während eine ganze Welt in diesen Tagen ent¬ keit, deren Berechtigung er nicht anzuerkennen
täuscht, gespannt, hoffend und bestürzt das
vermag, der es ablehnt, die Ehre eines Offiziers,
die dieser selbst geschädigt hat, mit Einsetzung
Antlitz dieses Zaren zu sehen erwartet, seine
seiner Persönlichkeit, mit Aufgabe seiner Grund¬
eigene, wahre, wirkliche Wahrheit, wartet der
sätze wieder herzustellen. Die Schauspielerin, die
Kaiser auf Onkel Vladimir, der die Wahrheit
glaubt, sie hat genug getan, wenn sie die Bestim¬
bringen soll. Und Wladimir kommt, Wladimir
mungen ihres Vertrages erfüllt, und die sich
bringt sie: „Eure Majestät! Petersburg ist ruhig, durch diesen Vertrag auch geschützt wähnt, wird
Moskau ist ruhig. Ein paar Tote am Sonntag auf die Straße gesetzt, wird in ihrer Existenz ver¬
Seither nichts. Die Ruhe ist wieder hergestellt.
nichtet. Der Bürger aber, der glaubt, es sei genug,
Ein glückliches, beschwichtigtes Lächeln huscht über
wenn er die staatlichen Gesetze befolgt, und der
sich einbildet, die staatlichen Gesetze verleiben ihm
Koljas bleiche Züge. Aber die ganze Wahrheit
auch hinreichenden Schutz gegen Vorurteile und
hat ihm der Onkel doch nicht gemeldet: daß unter
Expressungen der Gesellschaft, wird straflos
den Toten vom letzten Sonntag ein wichtige
niedergehauen oder niedergeschossen — oder er
Mann sich befindet: der Zarl Daß der Zar diesen
kann wenigstens straflos niedergeschoffen werden
Sonntag im Herzen des Russenvolkes gestorben,
— und das kommt ja für den Dichter und für
hat seinem Neffen der Großfürst Wladimir ver- uns wohl auf dasselbe hinaus.
schwiegen. Denn das weiß der Großfürst selbst
Schnitzler hat in diesem Drama nicht nur sein
noch nicht. Und an Gavons Priesterworte glaubt
Kompositionstalent und seine dramatische Kraft
er wohl kaum.
Felix Salten.
betätigt, er hat auch seine freie, männliche, mutige
Frauen nicht um ihre Männer, nicht einmal die
Kinder um ihre Väter. Trepow wird das Werk,
das am Sonntag begonnen ward, krönen. Wladi¬
hat endlich den