II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 320

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schlüssen begierig, die seiner Kraft mehr abzufordern hätten, zum groben theatralischen Effekt gedreht. Ich meine
als sie bisher ihm gewähren konnte, zudem von jener übrigens, die Serie ist noch nicht aus, es wird noch mancher
kommen, weil das Thema noch nicht erschöpft ist: in ihrem
leichten Schwermut gerührt, die uns betört, wenn wir
letzten Wesen ist die Existenz eines Soldaten in unserer
uns zum ersten Mal von den süßen Mädchen und den
Zeit noch nicht getroffen worden. Unsere Zeit verlangt von
Spielen der Liebe trennen, weil wir da nämlich noch nicht
jedem, der in der gesellschaftlichen Ordnung als Mitregent
wissen können, daß es doch niemals ein Abschied für immer
leben will, daß ihm diese zur zweiten Natur werden muß
ist — in dieser zugleich melancholisch entsagenden und doch
Die Bestimmung des Soldaten verlangt von ihm, immer
heftiger, als er noch jemals einen Trieb in sich vernommen
für den Moment bereit zu sein, in welchem die bürgerliche
haben mochte, zum Ernst des Lebens, zum Wirklichen hin
zu den großen Mächten des Daseins gedrängten Stim= Ordnung plötzlich wieder aufgehoben, die zweite Natur
wieder zerrissen wird. Zu ihrem Schutze, um nicht von jedem
mung des unruhigen jungen Dichters begab es sich, daß
er an das Verhältnis des Offiziers in unserer heutigen Feinde umgerannt zu werden, braucht sie Männer von einer
Art, die unter ihrem Schutze doch eigentlich gar nicht ge¬
Welt geriet. Ich denke, er hatte einen Kater; so fing es
deihen kann. Damit aus einem Menschen ein guter Bürger
wohl wahrscheinlich an. Wir sind dann immer sehr ge¬
werde, müssen in ihm eben jene Kräfte vertilgt oder doch
kränkt, wenn wir eines Tages, erwachend, gewahren, daß
verkümmert werden, die den guten Soldaten machen. I.
irgend ein liebes kleines Mädchen doch nicht das ganze
menschlicher einer ist, je gütiger und gerechter, je mehr Herr
große Leben ist; und verargen ihr das sehr und rächen
über unsere tierische Wildheit, ein desto schlechterer Soldat
uns, indem wir uns plötzlich nun auf die „Probleme
wird er im Kriege sein. Und je verwegener, leidenschaftlicher,
werfen, zu denen uns erfahrene und reife Freunde do¬
grausamer er sich in der Schlacht bewähren wird, desto
schon immer geraten haben. Ihre Erfahrung, ihre Reif
schwerer wird er sich in die bürgerliche Ordnung finden
ist freilich meistens zuletzt wohl eigentlich mehr nur ein
können, deren Verteidigung aber dann schließlich doch wieder
leiser Neid, sie können uns nicht töricht glücklich sehen.
der Sinn seiner ganzen Existenz ist. Der große Reiz, den der
Und wer später, in Gefahren, durch Leiden, aus Freuden
soldatische Beruf noch immer für viele hat, besteht wahr¬
wirklich reif geworden ist und den wahren Sinn des
scheinlich darin allein, daß es zu diesem Berufe gehört, auf
Lebens erfahren hat, mer erst, daß ihn vielleicht das
ein Zeichen aus aller Ordnung ausbrechen zu können und
dümmste kleine Mädchen Tieferes lebendiger lehrt, als es die
wieder zum ungezähmten Urmenschen zu werden, den uns
Lösung der höchsten Probleme vermag. Dazwischen aber,
Erziehung, Kultur, Gesetz verleugnen lehrt. Es wird vom
in der leeren Pause von verlangender Jugend zur er¬
Soldaten also eigentlich verlangt, daß er auf Kommando
füllenden Männlichkeit hinüber, kommt es uns riesig
jetzt zum Urmenschen, jetzt zum Staatsbürger werden kann.
gescheit vor, den „Problemen" zu dienen, worunter die
Und wenn ich mir einen nachdenklichen und mit sich auf¬
ernsten Menschen alles verstehen, was gerade zu dieser Zeit
richtigen Menschen denke, dem dies bewußt würde, so wäre
in den Beziehungen der Menschen und ihrer gesellschaft¬
das wohl ein rein tragischer Fall, der seinen Dichter
lichen Ordnung wankend und fragwürdig und verbesserlich
verdiente.
geworden ist. Wenn sie freilich weniger ernst, aber dafür
Die Aufführung ist im Einzelnen ungewöhnlich gut.
mit der menschlichen Natur vertrauter wären, würden
Vor allem wirken Kutschera und Jensen durch eine
sie begreifen, daß ihr von außen her niemals zu helfen ist
merkwürdige Kraft, die die etwas lehrhaften Sachen, die sie
sondern, wie Vetter Hamlet sagt, aus „des Herzens
mitunter räsonierend zu sagen haben, persönlich zu
Herzen allein, und daß es darum doch eigentlich, um die beleben weiß. Dann Fräulein Erl durch ihren wunder¬
sucht der Menschheit zu heilen, nur ein einziges hübschen Ton, der nur leise zuweilen noch ein bißchen
gibt, nämlich: ihren Geist und ihr Gemüt so
unfrei klingt. Kramer, als Karinski, ist in der Haltung
Geschütterung aufzutreiben, daß ihr die vortrefflich, aber er bleibt der Figur die Wildheit, den Zug
Gewalt, jede Form der Gewalt, ganz unerträglich
zum Abenteuer, die Falte vom gebornen Croupier schuldig.
und all bisher Ordnung hieß, unmöglich
Sonst ist noch Herr Höfer zu nennen, mit dem ergötz¬
aber auch ebehrlich wird. Bis aber einer erst lichen Armeedeutsch, das er dem Lieutenant Vogel gibt.
dahin gekommen ist, dies an sich selbst zu begreifen, flick
Die Wirkung war stark wie in einer Volksversammlung
jeder gern eine Zeit an den „Fragen der Gesellschaft
klatschten die Leute den verwegenen Leden der gesunden
Vernunft begeistert zu. Ja siehst du, Arthur so geht's: vor
Das hat auch Schnitzler durchmachen müssen und acht Jahren, als du sie schriebst, sind es Frechheiten gewesen,
die man die gar nicht verzeihen wollte, und jetzt sind's schon
daher hat sein Stück eine so merkwürdige Haltung. Etwas
Wahrheiten für die kompakte Majorität geworden, und noch
sehr Entschlossenes nämlich, dem man doch leise den inneren
Zwang anhört. Wie wenn jemand sehr eindringlich von zehn Jahre, und es werden Banalitäten sein, hoffentlich,
einer Sache, deren Wichtigkeit er sich nachdrücklich vorstellt, gegen die sich dann eine neue Jugend wieder ingrimmig
sprechen will, aber sich sehr zusammennehmen muß und
empören muß — das ist der Lauf der Welt.
Mühe hat, dabei zu bleiben, weil er sich insgeheim immer
Hermann Bahn
an nähere Gedanken verliert, die stärker sind. Er beißt sich
auf die Lippen, um sich nicht merken zu lassen, wie zerstreut
er ist; denn dieses ganze Stück ist nur aus dem Verstande
geholt, in seiner Tiefe weiß er nichts davon, da bereiten sich
still schon die schönen Erfüllungen seiner Reise vor. Wozu
vielleicht auch noch etwas anderes kam. Mir will scheinen,
als ob ich heraushören würde, wie gern er als junger
Mensch im Burgtheater gesessen ist. Die Luft des alten
Burgtheaters haucht mich hier an und in manchen Szenen
wird mir fast, als ob sie mir die Hände des Herrn Hart¬
mann entgegenstrecken würden. Was uns gefällt, steckt uns
unwillkürlich an; was auf uns wirkt, dem möchten wir
gleichen, und so wird, gar in bildsamer Jugend, unsere
innere Form durch äußere Gewohnheit oft mehr als von
uisserem Wesen bestimmt. Wir merkten es selbst ja damals
kaum, aber unwillkürlich nahm der Geist der jungen Leute
von 1890 doch immer die Gebärden des alten Burgtheaters
an, dieser sehr auserwählten, über recht abgekühlten, nie¬
mals ganz natürlichen, immer hochanständigen, gezügelten
Kunst, die so höflich war, immer artig an den Zuhörer zu
denken. Sie benahm sich stets, wie man tut, wenn in
Zimmer ein großer Spiegel ist: man verleugnet sich ja des¬
wegen nicht, man bleibt natürlich, aber doch anders natür¬
lich, als man ist, wenn man sich nicht sieht. Man weiß dann
eben von sich, wie man wirkt, und wenn man sich auch
nun deshalb erst recht anstrengt, ungezwungen zu sein, so
wird es doch nur eine herablassende Ungezwungenheit, die
jede wahre Vertraulichkeit einsamer Gedanken entfernt.
Herablassend, leutselig, immer wie ein hoher Herr, der
einmal im schlichten Jägerrocke unter das gemeine Vol¬
erbt, war diese Kunst des alten Burgtheaters und davon