II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 321

8. Freiwild
box 14/4
Telephon 12801.
Alex. Weigls Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitt
„OBSERVER
I. österr. behördl. konz. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, New-York,
Paris, Rom, Mailand, Stockholm, Christiania, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt audiener Deutsches Tagblatt,
vom


Kunst und Wissenschaft.
Deutsches Volkstheater. Zum ersten Male:
„Freiwild“, Schauspiel in drei Aufzügen von
Artur Schnitzler. Man kennt dieses Antiduell¬
stück bereits in Wien. Unter Jauner wurde es im
Carltheater sieben- oder achtmal aufgeführt. Es konnte
damals mit seiner genrehaften Tragik neben einem
gröberen Nachwerk nicht bestehen. Es war Theodor
Herzls Schauspiel „Im Getto", das es schlug. Da er¬
lebten die Duellgegner vom Franz Josefkai das un¬
bezahlbare Vergnügen, daß ein Offizier von einem
Juden geohrfeigt wird. Seitdem hat sich eine Anti¬
duell-Liga gebildet, seitdem ist auch Schnitzlers Kurs
gestiegen, und so wurde die gestrige Wiederauf¬
führung von „Freiwild“ wie eine Sensation begrüßt.
Das ausverkaufte Haus begleitete jedes vorgebrachte
Argument gegen den Zweikampf mit Beifallskund¬
gebungen; es freute sich sichtlich, die dumme Schießerei
ad absurdum geführt zu sehen. Nur nix erschießen,
lieber vorschießen mit 12 Prozent. Auch das vernichte
Menschenleben. Zwar nur „zizerlweise“, aber dest
sicherer. Im übrigen ist „Freiwild unter den vielen
Antiduellstücken, die in den letzten Jahren aufgeführ
wurden, wirklich noch das beste, das vernünftigste un
das künstlerisch vornehme. Es sind nicht tiefe, aber
echte Töne des Lebens, die es durchklingen, und da¬
Problem ist so gestellt, daß eine objektive Beurteilung
sich nicht zu schamen braucht, sich damit zu befassen
Dazu gibt es einige lebendig geschaute Episoden aus
dem Schauspielerleben in Badeorten, die das Pro¬
blematische in dem geschickt konstruierten Stücke glück¬
lich paralysieren. Die Darstellung des Deutschen
Volkstheaters ließ diese Vorzüge im hellsten Lichte er¬
glänzen. Sie wurde sowohl dem schwankartigen Cha¬
rakter des Stückes gerecht, wie auch dem tragischen
Ernst, der in melancholischen Molltönen erklingt
Zwei prächtige Typen aus dem Offiziersstande Loten
die Herren Kramer und Jensen, der eine als
verzweifelter Losgeher, der andere als teilnahms¬
voller Vermittler. Herrn Höfer, der ebenfalls einen
jungen Offizier darzustellen hatte, merkte man es an,
daß er sich im älteren Fache wohler fühlt. Was aber
noch unangenehmer ausfiel, war, daß er aufreizend
jüdelte. Herr Kutschera spielte den Duellgegnet
in seiner bekannten geradlinigen Volksheldenmanier,
und Herr Raeder sprach, den begütigenden Badearzt
mit eindringlicher Beredsamkeit. Etwas zu schwank¬
haft geberdete sich Herr Richter Roland in der
Rolle eines blödelnden Duellgigerls. Durchwegs gut
wurden die Typen aus dem provinzlichen Schau¬
spielerstand gebracht. Hervorzuheben ist vor allem
Herr Tewele als Direktor, der nicht dazu da ist,
„seine Schauspielerinnen zu ernähren“, sondern mehr
auf ihren . . . „Anhang als auf ihre Fähigkeiten
sieht; dann Herr Czasta als melancholisch-eifer
süchtiger Komiker. Herr Amon leistete sich den von
den Intimen des Hauses viel belachten Privatspaß,
den Theaterkassier Kohn in der Maske und im Ge¬
haben des Tageskassiers vom Deutschen Volkstheater
zu spielen. Die holde Weiblichkeit war in Ernst und
Scherz bei den Damen Erl, Glöckner und
Jäger in guten Händen. Nach dem zweiten Akt
erschien auch Schnitzler mit den Darstellern auf der
Bühne, obwohl er einmal ine Kundgebung unter¬
schrieben hat, worin er sich verpflichtete, um keinen
Preis sich dem wetterwendischen Publikum zu zeigen.
Man soll eben nie etwas unterschreiben.
Wien