II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 326

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8. Freiwild
Dem Deutschen Theater wurde
Wiener und des Deutschen Theaters. Jenes bevorzugt die
Goethe eine Klarstellung der unbestimmten und räth¬
dieser Anschauung mit der Zeit
Persönlichkeit, dieses strebt nach einem tieferen Totaleindruck.
selhaften Wendungen der Dichtung zu erbitten. „Seid ihr
Schiller, Goethe „abgelegte Ideale
Ein solches, mit zähem Eifer festgehaltenes Ziel fördert
dumme Jungen!" meinte der Dichter auf die schlichten
vollständig der romanischen Literatur
freilich die Darstellung des Fesselnden und Blendenden viel
Fragen seines Bewunderers. Nicht in seiner verletzenden
auch kein Regisseur im Sinne Laube
weniger als die des Ueberzeugenden und Wahren. Schröder,
Form, aber dem Geiste nach paßt dies olympische Urtheil
der Reformator der deutschen Schauspielkunst, meinte: „Eine und absolut, liebevoll und streng sei¬
auf die Deutungssucht aller Commentatoren. Auch
wies und für die lebendige Reproduc¬
gute Aufführung muß jeder Rolle geben, was ihr gehört,
auf die Ibsen's. Wo der Eine das Scherzspiel wittert,
Werkes vorbereitete. Brahm genügt
nicht mehr und nicht weniger, dadurch werde jede, was
weidet sich der Andere an tragischen Schrecken. „Hedda
dramaturgischen Textredacteurs der
keine neben ihr sein kann." In einem ähnlichen Geiste
Gabler," erklärt ein Pariser Aesthetiker, „ist die gnaden¬
derselben zeigt auch deren Einrichtung
kräftigt sich die Einheitlichkeit des Deutschen Theaters.
Von der gewaltthätigen Zweitheilung
lose Verspottung der Freiheit, welche Nora predigt," ein
Natürlich hat diese Richtung keinen Raum für die Launen
Scene abgesehen, zeigten alle dramaturg
deutscher Schatzgräber in der Dialektik Ibsen's findet, das
des Virtuosen, der auf Kosten seiner Umgebung und des Stückes
Berliner Directors eine nachdrückliche För¬
Unterleibsleid der affectirten Provinz=Amazone sei nur
in den Vordergrund tritt, natürlich duldet sie keine ans ruchs
des Dichters. Allerdings, die eigentlich
der natürliche Schmerz der Heldin einer Tragödie des
volle Rollenbegehrlichkeit des Schauspielers. In den Be¬
das Werk der Darsteller selbst. In
guten Geschmacks. Und vor all diesen fabelhaften Er¬
setzungen der Berliner gibt es keine großen und kleinen,
künstlerischer Individualitäten wirkt de
klärungen und Deutungen beugen die Berliner Schau
keine untergeordneten und undankbaren Aufgaben, ihr künst¬
die Phantasie, die Reflexion kräftiger
spieler ehrfurchtsvoll das Haupt. Ja, sie fügen noch aus
lerisches System fordert die gleiche Hingebung Aller an eine
gebung. Die Berliner Schauspieler sind
Eigenem erklärende Accente hinzu, wenn ihrem künstleri¬
gemeinsame Auffassur¬
darsteller. An ihrer Spitze Herr
schen Gefühl der Ausdruck des Meisters nicht ganz zuläng
Zu seinem Vortheile besitzt das Deutsche Theater die
frappanten Masken, seiner Kunst,
lich erscheint. Sehr begreiflich, wenn diese die Unmittelbar
freieste Entwicklungsfähigkeit. Es braucht keine Vor- und
achtungen in richtigem Verhältniß
Rücksicht für eine höhere Aufsichtsbehörde, es kennt den
keit jedes Eindruckes aufhebt. In Dingen der Kunst wirkt
verwerthen; Abend für Abend ließ er
mächtigen Einfluß einzelner Schauspieler nicht
vielfach, wie in denen der Religion, nur der Zauber, den
ihn bisher vergeblich für die Wiener
Talent und zur dieses entscheidet. Die deutschen Gäste
wir selbst in sie gelegt; im entscheidenden Kampfe der Bühne
Schauspieler ähnlicher Art und
verschmähten das literarische Geschäftsstück wie die
und des Lebens aber gibt doch nur die wirklich vorhandene
beiden so verwandlungsfähigen Herr¬
frivole Bühnen-Industrie, die mit ihren lockeren Mitteln
Kraft den Ausschlag. Die Figuren Ibsen's handeln zumeist
Sauer; ein Antoine deutschen Sty
schließlich übersättigt. Auch in Berlin gruppiren sich nach
unter dem Drucke einer Wahnvorstellung, eines geistigen
und kräftiger in seinen Mitteln als
Pariser Muster alle ins Unbestimmte strebenden Begabungen
Zwanges, irgend eines Ties; je häufiger wir jetzt diesen
Reicher, der sich, wiewol als Aposte
um vage Parteinamen und vertheilen an Stümper und
complicirten Wesen auf der Bühne begegneten, desto
mann's weniger glaubhaft und
Bummler vom Geiste literarische Ehren und Würden. Diesen
schwieriger schien uns die Aufgabe der Schauspieler, weil
treffsicherer Genremaler der Bühne er
Halbtalenten gewährt das Deutsche Theater keinen Einlaß
die gesunde Menschenkenntniß des Dichters so selten die
haber dieses Ensembles zeigen den sta
nur wenn man die besten Namen nennt, bezeichnet man
Charakteristik gesunder Menschen versucht.
dualisiren. Herr Rittner, der in
die Stützen seines Repertoires. Und doch wird sein Genre
Die Duse erzählt, wie übel ihr zuweilen in Italien
seine schmetternde Stimme, seine
ein immer begrenzteres. Lange vor der Gründung des
die Vorliebe für Ibsen bekam und wie heftig inmitten ihrer
manierirte Geberde seiner leichtgeballte
Deutschen Theaters entwickelte Laube in Wien die Prin¬
Darstellung die kritischen Stimmungen der Hörer los¬
eines zornigen Tenors hervorruft,
cipien einer nur auf sich selbst gestellten, nur durch die
brachen. In Oesterreich, zu dem Ibsen eine bemerkenswerthe
Sprache in den Dialekt fällt und seine
eigenen Hilfsmittel geförderten Bühne. Sein Programm
persönliche Beziehung hat — seine ersten druckfähigen Verse
Accente annehmen darf; Herr Kays
klang damals halb wie das Glaubensbekenntniß eines fang
galten der Wiener Reaction und der Verherrlichung der
zeugender Schauspieler, wächst in hum
tischen Puritaners, halb wie der Revanchegedanke einer von
Achtundvierziger ungarischen Erhebung — hat der nordische
die interessanteste schauspielerische In¬
heimtückischen Intriganten aus dem Sattel gehobenen
Dichter seine ständige Stätte im Leben der Bühne.
Frauen des Deutschen Theaters, Else
Kampfesnatur. Laube war der Meinung, daß das Talent
Frühere Aufführungen seiner Werke interessirten durch
der Thräne und dem Lächeln der Soul
des Schauspielers zu seiner Reife der Anlehnung an die
einzelne Hauptdarsteller, diesmal trat in der Gestaltung
decidirten Darstellungstalentes der un
Classiker bedürfe, daß es den verschiedensten Kunstrichtungen
der Berliner das Gesammtbild charakteristisch hervor:
Raahe gewonnen.
dieser Gegensatz bezeichnet die Verschiedenheit des gerecht werden müsse.