II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 327

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8. Frei
Wiener und des Deutschen Theaters. Jenes bevorzugt die
unbestimmten und räth¬
Persönlichkeit, dieses strebt nach einem tieferen Totaleindruck.
tig zu erbitten. „Seid ihr
Ein solches, mit zähem Eifer festgehaltenes Ziel fördert
Dichter auf die schlichten
freilich die Darstellung des Fesselnden und Blendenden viel
ich in seiner verletzenden
weniger als die des Ueberzeugenden und Wahren. Schröder,
t dies olympische Urtheil
der Reformator der deutschen Schauspielkunst, meinte: „Eine
Commentatoren. Auch
gute Aufführung muß jeder Rolle geben, was ihr gehört,
das Scherzspiel wittert,
nicht mehr und nicht weniger, dadurch werde jede, was
schen Schrecken. „Hedda
keine neben ihr sein kann. In einem ähnlichen Geiste
ist die gnaden¬
hetiker.
kräftigt sich die Einheitlichkeit des Deutschen Theaters.
elche Nora predigt,
Natürlich hat diese Richtung keinen Raum für die Launen
lektik Ibsen's findet, das
des Virtuosen, der auf Kosten seiner Umgebung und des Stückes
rovinz=Amazone sei nur
in den Vordergrund tritt, natürlich duldet sie keine aus ruchs¬
eldin einer Tragödie des
volle Rollenbegehrlichkeit des Schauspielers. In den Be¬
all diesen fabelhaften Er¬
setzungen der Berliner gibt es keine großen und kleinen,
gen die Berliner Schau¬
keine untergeordneten und undankbaren Aufgaben, ihr künst¬
Ja, sie fügen noch aus
lerisches System fordert die gleiche Hingebung Aller an eine
zu, wenn ihrem künstler¬
gemeinsame Auffassung.
Meisters nicht ganz zuläng
Zu seinem Vortheile besitzt das Deutsche Theater die
in diese die Unmittelbar¬
freieste Entwicklungsfähigkeit. Es braucht keine Vor= und
i Dingen der Kunst wirkt
Rücksicht für eine höhere Aufsichtsbehörde, es kennt den
son, nur der Zauber, den
mächtigen Einfluß einzelner Schauspieler nicht
denden Kampfe der Bühne
Talent und nur dieses entscheidet. Die deutschen Gäste
er die wirklich vorhandene
verschmähten das literarische Geschäftsstück wie die
Ibsen's handeln zumeist
frivole Bühnen-Industrie, die mit ihren lockeren Mitteln
forstellung, eines geistigen
schließlich übersättigt. Auch in Berlin gruppiren sich nach
ne häufiger wir jetzt diesen
Pariser Muster alle ins Unbestimmte strebenden Begabungen
Bühne begegneten, desto
um vage Parteinamen und vertheilen an Stümper und
Bummler vom Geiste literarische Ehren und Würden. Diesen
be der Schauspieler, weil
Halbtalenten gewährt das Deutsche Theater keinen Einlaß,
des Dichters so selten die
nur wenn man die besten Namen nennt, bezeichnet man
versucht.
die Stützen seines Repertoires. Und doch wird sein Genre
sel ihr zuweilen in Italien
ein immer begrenzteres. Lange vor der Gründung des
wie heftig inmitten ihrer
Deutschen Theaters entwickelte Laube in Wien die Prin¬
mungen der Hörer los¬
cipien einer nur auf sich selbst gestellten, nur durch die
Ibsen eine bemerkenswerthe
eigenen Hilfsmittel geförderten Bühne. Sein Programm
ne ersten druckfähigen Verse
klang damals halb wie das Glaubensbekenntniß eines fana¬
ad der Verherrlichung der
tischen Puritaners, halb wie der Revanchegedanke einer von
gebung — hat der nordische
heimtückischen Intriganten aus dem Sattel gehobenen
im Leben der Bühne.
Kampfesnatur. Laube war der Meinung, daß das Talent
Werke interessirten durch
des Schauspielers zu seiner Reife der Anlehnung an die
al trat in der Gestaltung
Classiker bedürfe, daß es den verschiedensten Kunstrichtungen
charakteristisch hervor.
die Verschiedenheit des gerecht werden müsse.
Dem Deutschen Theater wurden im Gegensatze zu
dieser Anschauung mit der Zeit Shakespeare, Lessing,
Schiller, Goethe „abgelegte Ideale“, es verschließt sich fast
vollständig der romanischen Literatur. Director Brahm ist
auch kein Regisseur im Sinne Laubes, der patriarchalisch
und absolut, liebevoll und streng seine Schauspieler unter¬
wies und für die lebendige Reproduction eines dichterischen
Werkes vorbereitete. Brahm genügt sich mit der Rolle eines
dramaturgischen Textredacteurs der Stücke. Wie die Wahl
derselben zeigt auch deren Einrichtung seine glückliche Hand.
Von der gewaltthätigen Zweitheilung der letzten Borkman¬
Scene abgesehen, zeigten alle dramaturgischen Aenderungen des
Berliner Directors eine nachdrückliche Förderung der Intentionen
des Dichters. Allerdings, die eigentliche Inscenesetzung bleibt
das Werk der Darsteller selbst. In dieser kleinen Gemeinde
künstlerischer Individualitäten wirkt der Verstand stärker als
die Phantasie, die Reflexion kräftiger als die plötzliche Ein¬
gebung. Die Berliner Schauspieler sind vorwiegend Charakter¬
darsteller. An ihrer Spitze Herr Nissen mit seinen
frappanten Masken, seiner Kunst, eine Fülle guter Beob¬
achtungen in richtigem Verhältniß für Stück und Rolle zu
verwerthen; Abend für Abend ließ er uns bedauern, daß man
ihn bisher vergeblich für die Wiener Bühne suchen mußte.
Schauspieler ähnlicher Art und Bedeutung sind die
beiden so verwandlungsfähigen Herren Reinhart und
Sauer; ein Antoine deutschen Styls, nur mannigfaltiger
und kräftiger in seinen Mitteln als der Franzose: Herr
Reicher, der sich, wiewol als Apostel Ibsen's und Haupt¬
mann's weniger glaubhaft und ehrlich, trotzdem als
trefflicherer Genremaler der Bühne erwies. Selbst die Lieb¬
haber dieses Ensembles zeigen den starken Hang, zu indivi¬
dualisiren. Herr Rittner, der in getragenen Rollen durch
seine schmetternde Stimme, seine Physiognomie und die
manierirte Geberde seiner leichtgeballten Hand den Eindruck
eines zornigen Tenors hervorruft, gewinnt, sowie seine
Sprache in den Dialekt fällt und seine Kunst charakteristische
Accente annehmen darf; Herr Kaysler, ein schlicht über¬
zeugender Schauspieler, wächst in humoristischen Rollen, und
die interessanteste schauspielerische Individualität unter den
Frauen des Deutschen Theaters, Else Lehmann, hat mit
der Thräne und dem Lächeln der Soubrette einen Funken des
decidirten Darstellungstalentes der unvergeßlichen Niemann¬
Raahe gewonnen.