II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 330

1905.
zur Bohemia Nr. 64.
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Aber wenn ich auch später erkannt habe,
Seitentasche hält ihn rechtzeitig zurück. Kein
daß die Angelegenheit der Frau Pepi
Zweifel, die Akten sind weg, sie müssen in
Wassertheil so polnisch war, daß ich auch
der Garderobe herausgefallen sein. Dieser
mit den Akten unterlegen wäre, so vermag
verwünschte Ball! Ich gehe nie mehr tanzen,
dies doch nichts an meiner festen Ueberzeu¬
nie mehr, nie!
gung zu ändern, daß schöne Augen für das
Aber das tut nichts. Es ist ja eine
gesamte öffentliche Leben — vom privaten
aufgelegte Kontumaz. Der Gegner wird
gar nicht zu reden — von so eminenter Ge¬
nicht erscheinen. Das ist doch vorauszusehen.
fährlichkeit sind, daß es die Aufgabe jedes
Nur ruhig, es wird schon schief gehen! Und
geordneten Staatswesens ist, gegen diese
mit einigen wilden Sätzen bin ich auf der
blauen bzw. schwarzen, grauen oder grünen
Gasse, um sofort um das vergessene
Höllenmaschinen umfassendste Vorkehrungen
Portemonnaie, das die notwendigen Stempel
zu treffen. Ich habe die Sache bereits dem
birgt, zurückzukehren.
Grafen Sternberg an die Hand gegeben und
Das bedeutet Unglück, sagt das Dienst¬
mädchen gewohnheitsmäßig und mechanisch, es ist von diesem temperamertvollen Volks¬
Aber ich schiebe die Seherin unsanft zur vertreter gewiß zu erwarten, daß er in seiner
radikalen Art zumindest nach Analogie der
Seite und nun geht's in rasendem Lauf, in
Maulkörbe das obligatorische Tragen dunklen
überstürzenden Karree durch die Straßen,
Brillen für Inhaberinnen von Märchenaugen
zwischen Milchwagen und Elektrischen hin¬
Dr. P. K.
durchsetzen wird.
durch, Stöße austeilend, Püffe empfangend,
immer weiter, weiter, wie ein Automobil
beim Gordon Benett=Ren.
Plötzlich kommt mir ein alter Herr in
Wiener Theaterbrief.
„Morgen,
den Weg: „Grüß Dich
Wien, Ende Feber.
Onkel, Du entschuldigst, nicht wahr eine
Wien ist zwar wieder eine Theater, adt, de
Tagfahrt —
Und der alte Herr sieht mir verdutzt wird jetzt von allen Seiten freundlich zugestan¬
nach mit erstauntem Kopfschütteln über den den, außer von jenen Wiener Dichtern, die eben
nach Berlin zur Premiere gereist sind — aber
falschen Neffen, der doch als Student ih¬
das Wiener Theaterpublikum, so hört man, hat
und insbesondere seiner Brieftasche in
noch immer den vormärzlichen Geschmack. Ernst¬
treuer Anhänglichkeit zugekan gewesen und
hafte Dinge, auf dem Theater verhandelt, inte¬
der ihn jetzt einfach auf der Straße stehen
ressieren angeblich kaum. Ibsen wird in der
läßt. Die undankbare Jugend! Es tut mir
Phäakenstadt nie verstanden werden soziale und
gar politische Probleme finden von der Bühne
in der Seele weh, lieber Onkel, Dir nicht
herab kein Gehör, Soldatenstücke, die läßt man
meine alte, treue Anhänglichkeit — der
sich etwa noch gefallen, weil ja die Soldateska
Fasching kostet soviel Geld — beweisen zu
mit den süßen Mädeln in dem bekannt ange¬
können. Allein mich ruft die Pflicht, mich
nehmen Zusammenhange steht — von diesen
lockt jetzt nur ein Ziel, ein heres, ein Name,
süßen Mädeln und allerliebst antgegenkommenden
der in flammenden, feurigen Buchstaben vor
Frauen denkt man sich die Wiener Bühne einzu¬
meinen Augen flimmert: Pepi Wassertheil
und allein belebt, so wie man die Wiener Lit¬
Endlich trennt mich nur noch ein kleines
raten auch immer nur als in Walzertakt früh
Gäßchen vom Bezirksgericht. Aber natürlich
einherhüpfende Männlein oder als tiefgrund
Latzenjammerliche Ergründer der Liebes
da ist der Zugang zu dem Gäßchen durch
schildert findet. Liebesaventuren, das ist all
eine langmächtige, dichtgeschlossene Reihe
meine Meinung im Reich, schweben allein rost¬
von Eisfuhren versperrt. Es ist zum Rasend¬
an dem nicht sehr weiten Wiener literarischen
werden! Hier müßig stehen und warten
und Theaterhorizont. Wenn ein
müsse bis die lange, endlose Wagenreih¬
gefallen soll, formulieren reichs
langsam vorbeipassiert.
me¬
Männer, so darf es sich freilich
Plötzlich zittern die ersten Schläge der
die allzungendhafte Frage drehen: Wie krieg
nahen Turmuhr durch die neblige Luft
Haus seine Grete? — Doch mit einigen Kon¬
Pepi, Pepi! Und mit kühnem Entschlusse
nationen, etwa mit dem artigen Bezierspiel: Wie
und geradezu japanischer Todesverachtung
wird Haus die Grete los? Wie macht es der
schlängle ich mich — dank meiner für den kluge Haus, daß ihn weder die Greie, noch deren
beste Freundin, mit der er natürlich auch eine
künftigen Advokaten beinahe standeswidrigen
Beziehung anfädelt, an den Altar schleppt? —
Schlankheit — zwischen der Rückseite eines
mit solchen Problemen macht jeder Theaterdichter
Wagens und zwei schnaubenden Nüstern
in Wien sein Glück

Dieses oft betonte Vorwiegen des Grotischen in
unserer Stadt der Formen, der Farben, der
Frauen, scheint in unserer ganzen Atmospäre be¬
gründet, doch ist diese Luft, wenigstens die
Theaterlust, schon seit langen nicht mehr so
leichtfertig, wie man da draußen noch immer ver¬
meint. Betrachten Sie doch unser Repertoire der
letzten Wochen: das Liebes=Lustspiel, die Liebes¬
tragödie fehlen beinahe ganz. Diese Dinge, seien
sie noch so munter gewoben, werden rasch von
der Bühnenfläche gesegt. Selbst das Amouretten¬
Theater reinster oder nicht ganz reiner Schattie¬
rung, das Theater in der Josefstadt, hat mit
seinen literarischen Einakter=Abenden mehr ge¬
macht, wie in in unserem Jargon zu sagen
pflegt, als mit den niedlichsten Obskuritäten.
Das soziale Stück beherrscht jetzt die selbst in
Wien nachdenklicher gestimmten Kreise der Theater¬
Hungrigen. Im Burgtheater hat „Traumulus
ein kluges, wenn man will, erklügeltes Rechen¬
exempel, ein „Schulfall“ in jedem Sinn, ein
Stück, das in die Anfänge jeder sozialen Erörte¬