8. Freiwild
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dieser Zug der Heit läßt sich sogar an Stücken minderer Qualitat constatieren. Es war
vorauszusehen, daß Meyer-Försters „Alt=Heidelberg" eine Flut von Studentenstücken hervorrufen
würde. Und diese Flut kam. Mützen in allen Farben rückten auf, es wurde gekneipt, gesungen,
geliebt und gepakt auf der deutschen Bühne, daß es eine helle Freude war. Der § 11 florierte
im Repertoire. In die Reihe der Studentenstücke trat nun in Wien Ottokar Cann-Berglers
„Auf Mensur", das am Raimundtheater einen hübschen Erfolg errang. Ein forscher Student
großer Mensurenheld und Fechter ersten Ranges hat mit einem bravem jungen Menschen Streit be¬
kommen, einen Streit, den er höchst mutwillig vom Zaune riß. Forderung. Säbelduell. Aber der
Gegner ist ein armer Teufel, muß Stunden geben, hat keine Zeit und kein Geld, auf dem Pauk¬
boden zu liegen; er hat seine arme Mutter zu erhalten. Nun befiehlt die studentische Ehre
geh hin und laß dich zum Krüppel schlagen, weil es einem übermütigen frechen Studenten
gefiel, dich zu provozieren. Im letzten Augenblick, die Duellanten stehen sich schon gegenüber¬
kommt dem Meisterfechter die Erkenntnis. Er läßt den Säbel fallen, er schlägt sich nicht. Er
wird wegen seines Verhaltens vor den B. C. gestellt, Gericht wird über ihn gehalten, er muß
seine Würde als Senior niederlegen, er darf ein Semester lang die Farben nicht tragen. Was
wiegt das gegen die Freude, menschlich gehandelt zu haben? Alles Studentische am Stücke ist
sehr gut. Insbesonders der Akt auf dem Paukboden mit einer drolligen Schlägermensur und
den ersten Vorbereitungen zum Duell. Was aber sonst im Stücke an Liebesgeschichte mitwirkt,
ist recht dünn und schwach. Auch die Psychologie der Figuren ist nur brav und gut gedacht,
aber minder gut ausgeführt. Die Motivierungen stehen alle auf recht schwanken Beinen. Aber
im Stücke steckt doch etwas wie eine Auflehnung gegen die übliche Studentensitte. Das Stück hat
keine Spitze gegen das Duell, wohl aber gegen die mutwillige Contrahage. Und es endet gut.
Das heißt: der sich Auflehnende behält Recht. Robert Wieprecht wird vom Ehrengericht schuldig
gesprochen, aber menschlich hat er gesiegt, er hat nicht nur einen Fred gewonnen, sondern auch
ein neues Leben; er hat sich aus den Banden seines Milieus befreit. Da dachte man vor sieben,
acht Jahren noch ganz anders über das Duell. Damals schrift Arthur Schnitzler sein
„Freiwild", das vor einigen Tagen vom Deutschen Volkstheater ins Repertoire aufge¬
nommen wurde. Man sieht, das Stück wurde zu einer Zeit verfaßt, wo das Milieu stärker
schien als der sich Auflehnende. Paul Könnig will sich nicht schlagen, und der Offizier, den er
im gerechten Zorn geohrfeigt, schießt ihn einfach über den Haufen. Das Stück wurde am
Deutschen Volkstheater, übrigens famos gespielt. Insbesonders von Herrn Kutschera (Paul).
Kramer (Karminsky) und Jensen (Rohnstedt). Die Wirkung war fast die gleiche, wie bei der
Urpremiere. Der erste Akt wirkte sehr stark, der zweite ließ etwas nach, der dritte enttäuschte.
Das war aber nur die Wirkung des Stückes. Sehr groß und uneingeschränkt war der Erfolg
des Autors. Der Beifall, mit dem er begrüßt wurde, hatte demonstrativen Charakter. ist
nämlich furchtbar selten, daß ein Wiener Dichter in Wien zu Worte kommt. (Possen und
Schwankfabrikanten ausgenommen, die ja bekanntlich auch im Burgtheater offene Arme finden.
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dieser Zug der Heit läßt sich sogar an Stücken minderer Qualitat constatieren. Es war
vorauszusehen, daß Meyer-Försters „Alt=Heidelberg" eine Flut von Studentenstücken hervorrufen
würde. Und diese Flut kam. Mützen in allen Farben rückten auf, es wurde gekneipt, gesungen,
geliebt und gepakt auf der deutschen Bühne, daß es eine helle Freude war. Der § 11 florierte
im Repertoire. In die Reihe der Studentenstücke trat nun in Wien Ottokar Cann-Berglers
„Auf Mensur", das am Raimundtheater einen hübschen Erfolg errang. Ein forscher Student
großer Mensurenheld und Fechter ersten Ranges hat mit einem bravem jungen Menschen Streit be¬
kommen, einen Streit, den er höchst mutwillig vom Zaune riß. Forderung. Säbelduell. Aber der
Gegner ist ein armer Teufel, muß Stunden geben, hat keine Zeit und kein Geld, auf dem Pauk¬
boden zu liegen; er hat seine arme Mutter zu erhalten. Nun befiehlt die studentische Ehre
geh hin und laß dich zum Krüppel schlagen, weil es einem übermütigen frechen Studenten
gefiel, dich zu provozieren. Im letzten Augenblick, die Duellanten stehen sich schon gegenüber¬
kommt dem Meisterfechter die Erkenntnis. Er läßt den Säbel fallen, er schlägt sich nicht. Er
wird wegen seines Verhaltens vor den B. C. gestellt, Gericht wird über ihn gehalten, er muß
seine Würde als Senior niederlegen, er darf ein Semester lang die Farben nicht tragen. Was
wiegt das gegen die Freude, menschlich gehandelt zu haben? Alles Studentische am Stücke ist
sehr gut. Insbesonders der Akt auf dem Paukboden mit einer drolligen Schlägermensur und
den ersten Vorbereitungen zum Duell. Was aber sonst im Stücke an Liebesgeschichte mitwirkt,
ist recht dünn und schwach. Auch die Psychologie der Figuren ist nur brav und gut gedacht,
aber minder gut ausgeführt. Die Motivierungen stehen alle auf recht schwanken Beinen. Aber
im Stücke steckt doch etwas wie eine Auflehnung gegen die übliche Studentensitte. Das Stück hat
keine Spitze gegen das Duell, wohl aber gegen die mutwillige Contrahage. Und es endet gut.
Das heißt: der sich Auflehnende behält Recht. Robert Wieprecht wird vom Ehrengericht schuldig
gesprochen, aber menschlich hat er gesiegt, er hat nicht nur einen Fred gewonnen, sondern auch
ein neues Leben; er hat sich aus den Banden seines Milieus befreit. Da dachte man vor sieben,
acht Jahren noch ganz anders über das Duell. Damals schrift Arthur Schnitzler sein
„Freiwild", das vor einigen Tagen vom Deutschen Volkstheater ins Repertoire aufge¬
nommen wurde. Man sieht, das Stück wurde zu einer Zeit verfaßt, wo das Milieu stärker
schien als der sich Auflehnende. Paul Könnig will sich nicht schlagen, und der Offizier, den er
im gerechten Zorn geohrfeigt, schießt ihn einfach über den Haufen. Das Stück wurde am
Deutschen Volkstheater, übrigens famos gespielt. Insbesonders von Herrn Kutschera (Paul).
Kramer (Karminsky) und Jensen (Rohnstedt). Die Wirkung war fast die gleiche, wie bei der
Urpremiere. Der erste Akt wirkte sehr stark, der zweite ließ etwas nach, der dritte enttäuschte.
Das war aber nur die Wirkung des Stückes. Sehr groß und uneingeschränkt war der Erfolg
des Autors. Der Beifall, mit dem er begrüßt wurde, hatte demonstrativen Charakter. ist
nämlich furchtbar selten, daß ein Wiener Dichter in Wien zu Worte kommt. (Possen und
Schwankfabrikanten ausgenommen, die ja bekanntlich auch im Burgtheater offene Arme finden.