II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 390

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8. Freiwild
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wenig dürftig. Als der Vorhang fällt, weiß Paul, daß
nikt unterwerfen will. Paul Rönning, der reise, unab¬
gend jemand ihr eigenes zu
Karinski sich die Genugtuung nehmen wird, die er
hängige junge Mann sieht Anna Riedel diesen Kampf
ch eine ausgleichende poetisch¬
ihm verweigert hat. Er wollte am nächsten Tage abreisen
kämpfen. Um nicht mit zu den Jägern zu gehören
über sie, was dem Arzte
und Anna mitnehmen. Aber ebenso ruhig, wie er vorhin
nennt er sein Gefühl für sie Mitleid, und Anna, aus
letzte Trumpf des Schicksals
den Vorwurf der Feigheit über sich ergehen ließ, be¬
Furcht, daß sie vor sich und den anderen doch als käuf
das Schicksalmäßigste, das
schließt er nun, nicht zu fliehen. Er nimmt seinen Re¬
lich erscheinen könnte, nimmt selbst seine Freundschaft
zu Boden werfen kann: der
volver zu sich, und ist auf alles gefaßt.
nur zögernd und in genügsamen Grenzen an. Doch ihre
selbst diesen Tod erleiden in
Der dritte Akt besteht eigentlich nur aus der Kata¬
Lage wird unerträglich, der Direktor des Kurtheaters
ger, die sterben, sondern die
strophe. Karinski, den seine Kameraden, der vernünftige
setzt sie auf halbe Gage, um sie kirre zu machen, der
Inde gehen werden. Der Tod
Rohnstedt und der gutmütige kleine Vogel, umsonst zur
brutale Draufgänger Oberleutnant Karinski verfolgt sie
t ab, sondern verursacht sie.
Besinnung zu bringen versuchen, fordert Paul noch ein
in der frechsten Weise, und sie sieht keinen anderen Aus¬
lieben, um den Tod so un¬
letztes Mal auf, sich mit ihm zu schlagen; auf die neuer¬
weg, als für eine Weile zu ihrer Mutter heimzukehren
tes Ereignis zu empfinden.
liche Weigerung hin knallt er ihn nieder. „Jetzt hast Du
um sich im Herbst ein neues Engagement zu suchen.
der „Liebelei", im „Vermächt¬
Deine Ehre," sagt Rohnstedt bitter. Und zu Anna, die
Da hat Paul mit dem Oberleutnant Karinski ein Ren¬
stirbt der reiche junge Mann,
über Pauls Leiche zusammengesunken ist, sagt der fast
kontre; der Offizier, durch das Mißlingen eines neuer¬
armen Mädchens war, aus
unvermeidliche Arzt und Freund der Schnitzlerschen
lichen Ansturms auf Annas Sprödigkeit wütend gemacht
fen diesem Mädchen vollkom¬
Werke: „Gehen Sie, Sie können hier nichts mehr tun.
läßt sich im Verlaufe eines Wortgeplänkels mit Paul
„Liebelei" fällt er im Duell
Gehen Sie." Und Anna erhebt den Blick ins Lere:
dazu hinreißen, Anna gemein zu beschimpfen. Pau
Existenz das Mädchen, das ihn
Wohin?
schlägt ihm ins Gesicht. Besonnene Kameraden Karinskis
r Geliebten gemacht hat, nicht
Dieses ganze Geschehen ist unanfechtbar logisch, not¬
verhüten ein Unglück und führen den Wütenden fort.
ualvollem Zweifel ahnt. Im
wendig und innerlich wahr; und dennoch fehlt ihm das
Nun soll Paul sich mit Karinski duellieren; zum
der den jungen
Reitun¬
dramatische Leben. Es ist eine dramatisierte Erzählung.
Entsetzen der Sekundanten, sowie seiner eigenen Freunde
der die Frau, die
tötet,
Daß diese Erzählung nur im Hirn Schnitzlers existiert
nimmt er die Forderung nicht an. Er hat keine Lust,
ingetrübtes Glück gegeben hat
hat, tut nichts zur Sache. Aber es ist nicht in Szenen er¬
einer Dummheit wegen sein Leben aufs Spiel zu setzen,
ias macht. Im „Freiwild" fällt
schaut; es ist als zusammenhängende Handlung erdacht,
oder einen Menschen zu töten; er hat Karinski „nicht be¬
der letzten Szene, aber auch
deren Dialogstellen sich vor uns abspielen. Die Geschichte
leidigt, sondern gezüchtigt. Alles Zureden hilft nichts.
mpfinden das Weib, das die
kann in sehr wenig Worten erzählt werden; denn sie ist
Die Leute werden ihn verachten? Immerzu. Er braucht
Männern ausliefert, wenn der
unkompliziert bis zur Dürftigkeit. Die dramatischen Not¬
sie nicht. Und die Sache erhält einen ganz feinen, bur¬
und auch hier beginnt die eigent
wendigkeiten sind durch wenige Personen erschöpft; so
lesken Unterton, wenn Karinskis Freund und Sekun¬
ode des Mannes — also nach¬
behilft sich Schnitzler mit epischen Mitteln. Die Not des
dant, der kluge, besonnene Rohnstedt, nochmals zu Pau
Dramatikers, der der Wahrscheinlichkeit zuliebe gewisse
zurückkehrt, und ihn im Namen der Menschlichkeit an
Schauspielerin, die, mag sie
Personen einführen muß, sie aber durchaus nicht inner¬
fleht, den beleidigten Offizier durch Verweigerung der
ein, nun einmal als Beute für
lich mit der Handlung zu verknüpfen weiß, verrät sich
Satisfaktion doch nicht unmöglich zu machen. Paul aber
nach ihr ausstrecken. Nicht nur
hier noch an allen Ecken und Enden. Da ist der kleine
findet, er könne auch der Karriere des Herrn Oberleut¬
Jagd, sondern auch Treiber
Leutnant Vogel, weil doch Karinski einen zweiten Se¬
nants zuliebe nicht sein Leben riskieren, das ihn gerade
auf der Flinte bringen: der
kundanten braucht. Da ist Poldi Grehlinger, ein dummer
jetzt, nach kaum überstandener hwerer Krankheit, beson¬
teresse es erfordert, daß
Bengel von der jeunesse dorée, damit man doch jemand
ders freut. Und als Anna, aufgeregt un besorgt, zu ihm
Erwerbsquellen habe als ihre
habe, über den man ein wenig lachen kann, und weil doch
kommt, bittet er sie, seine Frau zu werden. Diese Szene
Die in ihrer Unkäuflichkeit, an
jemand da sein muß, der sich Paul Rönning als zweiter
ist von einer ganz unkonventionellen Feinheit. Wie be¬
eine geschickte Konkurrenz sehen,
Sekundant anträgt. Da ist der Doktor Wellner, dem man
Paul das Mitleid mit der armen, gehetzten Anna s.
hre Unnahbarkeit in ihrer Eitel¬
aber verzeiht, daß er auch nichts zum Gang der Hand¬
stark wird, daß es sich endlich selbst entlardt und sich als
de Jäger: die Kavaliere, denen
lung beiträgt, weil er ein Vorläufer jener klugen, stillen,
das zu erkennen gibt, was es ist, und wie Anna, wagt
te und doch mit der geringsten
vornehmen Männer ist, die bei Schnitzler zu einem eige¬
ja zu sagen, obwohl es aussieht, als flüchtete sie nur in
de Sorte käuflicher Weiblichkeit
nen edlen Typus der Vertrauten geworden sind. Da ist
den Hafen, — diese ganze Liebesszene, die keine, ist, ist
eine Art Betrug auffassen, wenn
unverbrieften Gesetz ihrer Kaste bester Schnitzler. Dennoch ist selbst dieser zweite Akt ein ferner das ganze Theatergesindel, das Schnitzler mit sehr