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8. Freiwild
keit, die keine Menschen kennt, sondern nur satisfaktionsfähige
Gentlemen und für die die Welt aus dem Duell oder, Ehren¬
rat und dem Vertreterprotokoll besteht: lauter Worte, zu denen
heute die Begriffe fehlen und die nun wie aufgescheuchte Ge¬
spenster anmuten. Das Ganze ist sozusagen eine Debatte über
etwas, worüber die Debatte längst geschlossen ist. Diesem
Schauspiel sind in den zwei Jahrzehnten und namentlich in den
allerletzten Jahren seine Voraussetzungen abhanden gekommen
Mit dem antiven Offizier ist auch der Gegensatz zum Zivilisten
verschwunden, die Welt hat jetzt ganz andere Sorgen als Duell¬
probleme und ganz andere Vorschriften und Gesetze als die des
Kodex zu befolgen oder zu umgehen... Auch das Abwaschen
von Beleidigungen mit Blut hat stark an Bedeutung verloren;
man hat in den letzten blutigen Jahren zu deutlich erkannt,
daß bei dieser Art der Reinigung die Ehre nicht sauberer wird.
Das Problem- und Tendenzstück sieht aus einer Distanz von
zwanzig Jahren ganz anders aus. Die Kühnheit ist zur Selbst¬
endlichkeit geworden und die Aktualität zur historischen
Anekdote, wie ja auch der „Leutnant Gustl gleichsam das
Spirituspräparat des österreichischen Friedensoffiziers ist. Aber
man darf nicht vergessen, daß alle diese Zuge, der Ehrenwahn,
der Du zwang, einmal wirklich tragische Motive waren, die
freilich im „Freiwild“, einem der schwächeren Werke Schnitzlers,
einen mehr beredsamen, als zwingend dramatischen Ausdruck
finden. Auf einem Nebengeleise rollt noch ein zweites „Freiwild¬
Motio: das Schicksal der klein Schauspielerinnen, die auch
vor und nach dem Theater nur als wehrlose Unterhaltungs¬
objekte gelten. Auch dieses Thema mutet in den Tagen der
strammen Schauspielerorganisationen und der Ehrengerichte
schon etwas historisch an. So sitzt man eigentlich während der
ganzen drei Akte vor einem Ausschnitt aus einem längst ver¬
gangenen Oesterreich, und obwohl auf der Bühne erbittert und
rung. Beginn
leidenschaftlich gesprochen und zum Schluß sogar geschossen wird,
.
denkt man sich unwillkürlich: was für idyllische Sorgen und
Stadttheater.] In der Reihe von Artur Schnitz
Schmerzen haben diese glücklichen Menschen damals gehabt.
lers Jugendwerken folgt das Schauspiel „Freiwild“ unmittelbar
Das Schauspiel selbst hat seine Probleme und Tendenzen über¬
auf die „Liebelei — so wie auf die Süßigkeit der Liebeständelei
dauert und wirkt auch heute noch interessant und spannend, als
der bittere Nachgeschmack folgt. Aus dieser melancholischen Theaterstück eines Dichters, besonders im Mittelakt, wo Für
Stimmung heraus mag das Schauspiel „Freiwild entstanden
und Wider, Tendenz und Gegentendenz mit künstlerischer
sein. Damals, vor mehr als zwanzig Jahren, hat es fast aus¬
Objektivität verteilt sind. Die Aufführung im Stadt¬
schließlich als ein Problem- und Tendenzstück gegolten und theater, die dritte Wiener Premiere des Werkes, hatte gutes
gewirkt. Als das Drama des Offiziers, den eine starre Standes¬
Niveau. Am besten Herr Philipp Zeska, der den beherzten
ehre zwingt, die tätliche Beleidigung mit Blut abzuwaschen und idealistischen Feigling Paul Rönning sympathisch, unpathetisch
das Drama des Zivilisten, der seine Auflehnung gegen den sinn¬
und mit sicherer Einfachheit spricht. Sehr nett das anmutige
losen Duell zwang schließlich doch mit dem Leben bezahlt. Der
Fräulein Rosenquist, besonders in den Momenten herber
zweite Akt des Stückes ist eigentlich nichts als eine Diskussion
und scheuer Mädchenhaftigkeit, von lustiger Drastik der Sommer¬
über Ehrbegriffe und zugleich eine Satire auf jene Ritterlich¬ theaterdirektor des Herrn Nerz, wogegen Herr Strobl kein
Neue Freie Presse, Wien
Abendblatt
17. X. 1919
überzeugend echter Kavallerieoffizier war. In kleineren Rollen
waren die Herren Richter, Norfolk, Walther und
Böhm mit Eifer bei der Sache. Wirkung und Beifall waren
L. Hid¬
sehr lebhaft.
8. Freiwild
keit, die keine Menschen kennt, sondern nur satisfaktionsfähige
Gentlemen und für die die Welt aus dem Duell oder, Ehren¬
rat und dem Vertreterprotokoll besteht: lauter Worte, zu denen
heute die Begriffe fehlen und die nun wie aufgescheuchte Ge¬
spenster anmuten. Das Ganze ist sozusagen eine Debatte über
etwas, worüber die Debatte längst geschlossen ist. Diesem
Schauspiel sind in den zwei Jahrzehnten und namentlich in den
allerletzten Jahren seine Voraussetzungen abhanden gekommen
Mit dem antiven Offizier ist auch der Gegensatz zum Zivilisten
verschwunden, die Welt hat jetzt ganz andere Sorgen als Duell¬
probleme und ganz andere Vorschriften und Gesetze als die des
Kodex zu befolgen oder zu umgehen... Auch das Abwaschen
von Beleidigungen mit Blut hat stark an Bedeutung verloren;
man hat in den letzten blutigen Jahren zu deutlich erkannt,
daß bei dieser Art der Reinigung die Ehre nicht sauberer wird.
Das Problem- und Tendenzstück sieht aus einer Distanz von
zwanzig Jahren ganz anders aus. Die Kühnheit ist zur Selbst¬
endlichkeit geworden und die Aktualität zur historischen
Anekdote, wie ja auch der „Leutnant Gustl gleichsam das
Spirituspräparat des österreichischen Friedensoffiziers ist. Aber
man darf nicht vergessen, daß alle diese Zuge, der Ehrenwahn,
der Du zwang, einmal wirklich tragische Motive waren, die
freilich im „Freiwild“, einem der schwächeren Werke Schnitzlers,
einen mehr beredsamen, als zwingend dramatischen Ausdruck
finden. Auf einem Nebengeleise rollt noch ein zweites „Freiwild¬
Motio: das Schicksal der klein Schauspielerinnen, die auch
vor und nach dem Theater nur als wehrlose Unterhaltungs¬
objekte gelten. Auch dieses Thema mutet in den Tagen der
strammen Schauspielerorganisationen und der Ehrengerichte
schon etwas historisch an. So sitzt man eigentlich während der
ganzen drei Akte vor einem Ausschnitt aus einem längst ver¬
gangenen Oesterreich, und obwohl auf der Bühne erbittert und
rung. Beginn
leidenschaftlich gesprochen und zum Schluß sogar geschossen wird,
.
denkt man sich unwillkürlich: was für idyllische Sorgen und
Stadttheater.] In der Reihe von Artur Schnitz
Schmerzen haben diese glücklichen Menschen damals gehabt.
lers Jugendwerken folgt das Schauspiel „Freiwild“ unmittelbar
Das Schauspiel selbst hat seine Probleme und Tendenzen über¬
auf die „Liebelei — so wie auf die Süßigkeit der Liebeständelei
dauert und wirkt auch heute noch interessant und spannend, als
der bittere Nachgeschmack folgt. Aus dieser melancholischen Theaterstück eines Dichters, besonders im Mittelakt, wo Für
Stimmung heraus mag das Schauspiel „Freiwild entstanden
und Wider, Tendenz und Gegentendenz mit künstlerischer
sein. Damals, vor mehr als zwanzig Jahren, hat es fast aus¬
Objektivität verteilt sind. Die Aufführung im Stadt¬
schließlich als ein Problem- und Tendenzstück gegolten und theater, die dritte Wiener Premiere des Werkes, hatte gutes
gewirkt. Als das Drama des Offiziers, den eine starre Standes¬
Niveau. Am besten Herr Philipp Zeska, der den beherzten
ehre zwingt, die tätliche Beleidigung mit Blut abzuwaschen und idealistischen Feigling Paul Rönning sympathisch, unpathetisch
das Drama des Zivilisten, der seine Auflehnung gegen den sinn¬
und mit sicherer Einfachheit spricht. Sehr nett das anmutige
losen Duell zwang schließlich doch mit dem Leben bezahlt. Der
Fräulein Rosenquist, besonders in den Momenten herber
zweite Akt des Stückes ist eigentlich nichts als eine Diskussion
und scheuer Mädchenhaftigkeit, von lustiger Drastik der Sommer¬
über Ehrbegriffe und zugleich eine Satire auf jene Ritterlich¬ theaterdirektor des Herrn Nerz, wogegen Herr Strobl kein
Neue Freie Presse, Wien
Abendblatt
17. X. 1919
überzeugend echter Kavallerieoffizier war. In kleineren Rollen
waren die Herren Richter, Norfolk, Walther und
Böhm mit Eifer bei der Sache. Wirkung und Beifall waren
L. Hid¬
sehr lebhaft.