II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 405

8. Freiwild
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Theater und Kunst.
Hinter den Kulissen.
Die Uraufführung von „Freien. — Die Schritten Gemeinde in
alten Griensteidl, — Theaterbeginn und Theaterschluß. — Export
von Stücken und Schauspielern,
Die Blütezeit der alten Stücke" ist gekommen. Unsere
Bühnenleiter graben mit geschäftskundiger Pietät erke von
gestern aus. Das Alte — das ist heute das Modernste, Sowohl
in der Kunst, wie auf dem Theater. Der Reiz des Neuen ist
überholt, der Reiz des Alten ist in unseren Tagen so viel
stärker. Und so gräbt Direktor Heine die reizend herbe „Candide
aus. Direktor Bernau hat Saltens „Gemeinen zum Bühnen¬
dasein verholfen, nächstens bringt er Dörmanns „Zimmerherren
Direktor Geyer hat den „Feldhenhügel aus seiner Zensurhaft
befreit. Die „Weber“ werden wieder belebt. Mit einem Wort,
überall, an allen Ecken und Enden dramatische Auferstehung,
Fröhlichkeiten und Sentimentalitäten von einst steigen aus den
Gräbern — mitten hinein ins grelle Rampenlicht.
Jarno hat nun in der vorigen Woche Artur Schnitzlers
„Freiwild ausgegraben. Man kann auch sagen, wiederbelebt.
Vieles an dem Stücke ist jung geblieben. Anderes wieder ist
verstaubt. Aber es ist ein Staub der feinsten Sorte. Das
Duell ist wohl abgeschafft, aber was drum und dran, hat noch
immer Existenzberechtigung — am Theater. Alle diese ver¬
blaßten Feschitäten haben einen gewissen terarhistorischen leiz.
Eine Art Parfum der Verwesung strömt aus diesen
Szenen. Und wenn es schen Modert, dann modet es auf be¬
sondere Art.
Wie kühn hat dieses Bück einer Bemer¬
am Carl-Theater angemutet. Sie fand unter der
Direktion Jauner statt. „Freiwild"! Schon dieses damals
so kecke Wort lockte! Und der „Oberleutnant, dem ein
Schlag ins Gesicht versetzt wurde — wie wirkte dieser
Aktschluß! Heute haben die bunten Röcke Farbe gelassen, und
auch das füße Mädel ist nicht mehr so saß, wie
einst im Friedensmai. Nur der zweite Akt von „Freiwild" hat
sich unversehrt erhalten, er wirkte in seiner ganzen alten Frische.
Schon dialektisch ist er ein Meisterstück.
Nach der seinerzeitigen Premiere von „Freiwild saß eine
große literarische Gesellschaft im ehemaligen Café Griensteidl,
Hugo v. Hofmannsthal, Dr. Beer=Hoffmann, Hermann Bahr,
Max Burckhard und Karlweis. Man konstatierte damals, daß
die Wiener Dichter sich von der Wiener Literatur abzuwenden
beginnen, um wirkliche Theaterstücke zu schreiben. Artur Schnitzler
erklärte ganz ehrlich, daß er das Publikum packen wolle, packen
im Theatersinn. (Selbstverständlich mit vornehmen Mitteln, aber
starken.) Bahr schloß sich an, er schrieb das Tschapper
Burckhard brachte „'s Kather!“, Alle wollten plötzlich das große,
wirkliche Theater erobern. Und etwa zwanzig Jahre später haben
sie es dann doch mit der Literatur erobert...
„Anfang 5 Uhr.
„Anfang 6 Uhr.
„Anfang 7 Uhr.
So heißt es jetzt auf den Theaterzetteln. Der Beginn
der Vorstellungen ist zu einem brennenden Theaterproblem
geworden. Unsere Bühnenleiter kennen sich wegen Ansetzung des
Theateranfangs nicht mehr aus. Das wechselt von Woche zu
Woche. Zuerst hatte sich bereits 7 Uhr eingebürgert, nun wurde
wieder eine andere Stunde daraus. In letzter Zeit schwankte es
von neuem. Die Premieren längerer Stücke — man vermeidet
sie ja nach Möglichkeit und bevorzugt Stücke von kurzer Spiel¬
dauer — werden auf „5“ angesetzt. Das Publikum wird all¬
mählich nervös, denn auch die Theaterempfänglichkeit ist auf eine
bestimmte Stunde eingestellt. Deshalb kommt es jetzt häufig vor,
daß die Leute bei Stücken, die um 7 Uhr beginnen, schon um
½7 Uhr da sind und umgekehrt. In beiden Fällen ärgern sich
die Beteiligten. Das Zufrühkommen ist unangenehm, denn man
kann die Zeit nur in einem Büsett verbringen, in dem
zumeist nur sehr teure Sachen zu haben sind. Durch's zu späte
Kommen kann man wieder bei Schwänken oft den einzigen Witz
des Stückes versäumen. Auch die Nachtmahlfrage spielt hiebei eine
große Rolle. Denn so mancher geht nur in's Theater, um sich
auf das — Nachtmahl freuen zu können. Ein kleiner Historiker
des Theaterbeginns weiß zu diesem Thema einige interessante Daten
beizusteuern. Im XVIII. Jahrhundert war in den Wiener
Theatern zwischen 5 und 6 Uhr die Stunde des Anfangs. Im
Burgtheater 8 Uhr. Auf einem Theaterzettel des Jahres 1816
heißt es wörtlich:
Wegen Länge des Stückes ist der Anfang um 6 Uhr.
Es handelte sich um die — „Räuber“. Kein Geringerer
als Ferdinand Raimund spielte damals — es war im Theater