II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 407

8. Freiwild
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die Leidtragenden bestimmen üblichen Sammelomnibus zu er¬
reichen. Er setzte sich hinein, machte ein melancholisches Gesicht
auf seinem Hute hatte er überdies für diesen Zweck einen
Trauerflor — und gesellte sich einfach zu den Leibtragenden. War
es ein blauer Sarg, so wußte er, daß es ein junges Mädchen
sei und trauerte sehr beweglich. Für solche Fälle hatte er sei¬
eine Träne im Auge, er zog auch ein mächtiges Taschentuch her¬
vor, das sehr dekoratio wirkte. War er bei be¬
anderer Stimmung, so seufzte er drei bis viermal
ziemlich tief. Das machte einen so guten Eindruck,
daß der ganze Omnibus rief: „Ach, so ein freundlicher Herr
Und auf diese Art hatte der brave Komiker täglich seine
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LA VIE MAIN
Nr. 2
Samstag
Gratisfahrt. Der Verlagsdirektor des Theaters an der Wien
Herr Stininger, erzählte neulich diesen Scherz und meinte,
Herrn Tautenhayn gewendet, der weit draußen in Hietzing wohnt
Sie könnten, wenn Sie zu den Proben einer lustige
Operette fahren, ebenfalls einen Leichenomnibus beim Hietzinge
Friedhof abwarten — einen Leidtragender, haben Sie ohnehin
noch nie gespielt
Manchmal spielt auch die Politik ins Theater hinein. Zu¬
meist ist es Geschäftspolitik. Ein Fall aus der letzten Zeit
beleuchtet dies am besten. Bekanntlich zahlen die Bühnenleiter
jetzt fast durchweg zehn Prozent der Brutteinnahme als
Tantieme für die Autoren. Das ist eine Art Tradition. Hie und
da versucht ein Direktor, diese Tradition zu brechen und
listet dem Autor ein bis zwei Prozent ab. Meist
geschieht dies bei Anfängern. Da sprechen die Direktoren gerne
von „Experimenten, die beim Theater riskiert sind und ersparen
gerne durch die Entdeckung eines neuen Dichters Geld. Ander¬
wieder sind nobel. Gustav Kadelburg zum Beispiel erhielt von
Berliner Lustspielhaus stets 15% — die höchste Tantieme,
je bei uns bezahlt wurde. Ein eigenartiger Fall hat sich nur
heuer ereignet. In einem Vertrag mit einem bekannten Auto
hieß es ausdrücklich:
8% im Krieg,
10% im Frieden.
Der Autor war nun erstaunt, in seiner Abrechnung der
Tantiemensatz von bloß 3% zu finden.
Schnurstracks lief er zu dem ihm befreundeten Theater¬
direktor. In solchen Fällen läuft man immer schnurstracks.
Erlauben Sie mir, mit welchem Rechte zahlen Sie
8? Im Vertrag heißt es doch ausdrücklich: Im Krieg 8.
Frieden 10%
Für mich ist das kein Friede de¬
kaltblütig der sparsame Direkter.
Wieder einmal passiert es einem Wiener Stücke, daß
seine Uraufführung in Berlin erlebt, ja, daß es sogar von
Berlin in — Amsterdam zur Darstellung gelangen wird.
handelt sich um das Lustspiel: „Doktor Stieglitz von Armi
Friedmann und Ludwig Nerz, das von der Neuen Wiener Bühne
angenommen wurde und dort in der zweiten Hälfte der Saison
aufgeführt wird.
Rudolf Schildkraut hatte von Kurt v. Möllendorf einen
Antrag für seine Bühnen in Berlin. Er kannte das Lustspiel der
Wiener Autoren, in dem ihn eine eigenartige Vaterfigur sehr zu
reizen schien, der Typus eines zerknitterten jüdischen Agenten.
Eine tragikomische Figur, Humor gemischt mit dramatischen
Akzenten. Er schwankte nun für sein Gastspiel zwischen Shyck,
König Lear und dem — alten Agenten. Schließlich siegten in
diesem Kampfe die Autoren von heute. Und da Herr Schildte
im Laufe dieser Spielzeit auch in Amsterdam gastiert, schlu¬
das Stück Hermann Hejermans, dem Dichter von „Hoffnung an
Segen, vor, der dort ein großes Theater leitet. Heiermans war
einverstanden, und zwar wird Schildkraut seine Rolle dort
deutscher Sprache spielen. Der Export von Stücken und Schau¬
spielern beginnt bei uns wieder zu blühen.
Erwähnung verdient, daß zum Beispiel die ehemalige Wiener
und später Berliner Soubrette Mizzi Wirth gegenwärtig in
Barcelona große Triumphe feiert. Sie soll in der dortigen Landes¬
sprache singen — ihren Wiener Kolleginnen kommt dies
spanisch vor.