8. Freiwild
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A vom 20. Oktober 19
im Stadttheater wurde Artur Schnitzlers
wild gespielt. Welch
Aufsehen hat diese Komödie einst
wurde der Autor von den
Kreisen aufs Wern ge¬
immer bei einer nächsten
keit das Preters verlustig gehen
Heute mutet uns der Stoff veral
sch kommt die dramatische Kraft de
les in der vertrefflich
und der
Bühne zur voll
le passieren können: in die Ferne zu rücken wie das
tum, mit dem er seine elegisch-schlamperten journalistischen
spust unterhielt und dessen Leitartikel- und Feuilleton¬
tiven sein Geist näher war, als den Grundwerken der Zeit.
Der Chronist Schnitzler war Nachfolger Bauernfelds.
be während dieser das Skelett seiner Gesellschaft prä¬
ariert hat, machte jener ein Muskelpräparat. Jeder Sehnen¬
rang, jede Ader des blühenden Leichnams galt ihm als kost¬
ar, dessen Verwesungsdunst sich mit dem Hauch des Wie¬
waldes berückend und bedeckend vermischte. Die Kunst,
die er an ihn wandte, war fertiger Balsam, nicht lösende
Säure. Da gibt es Kavallerieoffiziere, die ein Seelenleben
haben, Tennisspieler mit metaphysischem Einschlag, Ohr¬
feigen von Schopenhauerschwere, die ganze faulige, schwe¬
lende, in tausend Drecknuancen risterende Welt aus Gela¬
kine, die vor fünf Jahren auf das Tokenheit kam, um vor
einem Jahr zu verenden. Bei der Dienstags-Exhumierung
auf der Bühne rasselten Exemplare des Diplodocus Vindo¬
bonensis militana — wurde Schnitzlers Delikt sinnfällig:
Vorschubleistung durch Ernst. Wie beleidigend wirkt dieses
plüschüberzogene, unnahbar-saubere Deutsch, wie verdächtig
die aalglatte, sich mit Mut, überzeugung und Ingrimm nie
schmuhende Vornehmheit, die es ausprägt! (Herr Stephan Zweig,
der Selbstübersetzer — aus dem Französischen ist ähnlich¬
palizischen Geblütes.) Fall „Freiwild biete noch eine pri¬
date Enthüllung, daß, Schnitzler der Cottage Anzengruber ist.
Er schneidet mit grober Papierschere und füllt mit seiner Be¬
obachtung. Drei Akte — drei Detonationen, klatsch — Krach
— Baum. Das Publikum schnappt ein.
Die Darstellung zeigte Schnitzlers Welt — unüber¬
zogen. Es war, als ob unter den Füßen der Gestalten der
unerläßliche Teppich fehle und Staub an ihren Gewändern
klebe. Herr Strobl als Oberleutnant war stark Reserve.
Figur und Haltung erinnerten, se oft das Wort „Codex laut
wurde, daran, daß es sich reimt. Herr Jeska hat etwas von
Die Schnitzler=Welt.
Kutscheras Handschlag= und Händedrich Wage. Er ist vor¬
ein von Arthur Schnitzler. Aufführung an
läufig sehr aufrichtig. Ob 11. das etwas angeht, wird sich
Stadttheater.
zeigen. Fräulein Rosenquista Anna zweig, sinnig, minnig
wie die Illustration aus einem deutscher Mädchenbuch. Wer
Der Jahrgang 1000 der „Neuen Freien Presse kann
aber war der Plukolo, der den eingetrichterten Auftrag mit
ich vergibt sein, als dieses mit ihm identische Stück. Kein
seinen kolos=gehorsamen als entgegennahm. Er wird es
Wunder — da sein Autor doch selbst ein Bestandteil jenes
noch auf der Bühne bis zum Zahlmarker oder im Nachtschäft
Jahres war, zu ihm gehörte wie „Venedig in Wien und die
Anton Kuh,
dis zum Mitterburger bringen,
Odilon Dem Chronisten geschieht, was einem Dichter nie
a
200Kr.1919
Der Morgen Wien
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A vom 20. Oktober 19
im Stadttheater wurde Artur Schnitzlers
wild gespielt. Welch
Aufsehen hat diese Komödie einst
wurde der Autor von den
Kreisen aufs Wern ge¬
immer bei einer nächsten
keit das Preters verlustig gehen
Heute mutet uns der Stoff veral
sch kommt die dramatische Kraft de
les in der vertrefflich
und der
Bühne zur voll
le passieren können: in die Ferne zu rücken wie das
tum, mit dem er seine elegisch-schlamperten journalistischen
spust unterhielt und dessen Leitartikel- und Feuilleton¬
tiven sein Geist näher war, als den Grundwerken der Zeit.
Der Chronist Schnitzler war Nachfolger Bauernfelds.
be während dieser das Skelett seiner Gesellschaft prä¬
ariert hat, machte jener ein Muskelpräparat. Jeder Sehnen¬
rang, jede Ader des blühenden Leichnams galt ihm als kost¬
ar, dessen Verwesungsdunst sich mit dem Hauch des Wie¬
waldes berückend und bedeckend vermischte. Die Kunst,
die er an ihn wandte, war fertiger Balsam, nicht lösende
Säure. Da gibt es Kavallerieoffiziere, die ein Seelenleben
haben, Tennisspieler mit metaphysischem Einschlag, Ohr¬
feigen von Schopenhauerschwere, die ganze faulige, schwe¬
lende, in tausend Drecknuancen risterende Welt aus Gela¬
kine, die vor fünf Jahren auf das Tokenheit kam, um vor
einem Jahr zu verenden. Bei der Dienstags-Exhumierung
auf der Bühne rasselten Exemplare des Diplodocus Vindo¬
bonensis militana — wurde Schnitzlers Delikt sinnfällig:
Vorschubleistung durch Ernst. Wie beleidigend wirkt dieses
plüschüberzogene, unnahbar-saubere Deutsch, wie verdächtig
die aalglatte, sich mit Mut, überzeugung und Ingrimm nie
schmuhende Vornehmheit, die es ausprägt! (Herr Stephan Zweig,
der Selbstübersetzer — aus dem Französischen ist ähnlich¬
palizischen Geblütes.) Fall „Freiwild biete noch eine pri¬
date Enthüllung, daß, Schnitzler der Cottage Anzengruber ist.
Er schneidet mit grober Papierschere und füllt mit seiner Be¬
obachtung. Drei Akte — drei Detonationen, klatsch — Krach
— Baum. Das Publikum schnappt ein.
Die Darstellung zeigte Schnitzlers Welt — unüber¬
zogen. Es war, als ob unter den Füßen der Gestalten der
unerläßliche Teppich fehle und Staub an ihren Gewändern
klebe. Herr Strobl als Oberleutnant war stark Reserve.
Figur und Haltung erinnerten, se oft das Wort „Codex laut
wurde, daran, daß es sich reimt. Herr Jeska hat etwas von
Die Schnitzler=Welt.
Kutscheras Handschlag= und Händedrich Wage. Er ist vor¬
ein von Arthur Schnitzler. Aufführung an
läufig sehr aufrichtig. Ob 11. das etwas angeht, wird sich
Stadttheater.
zeigen. Fräulein Rosenquista Anna zweig, sinnig, minnig
wie die Illustration aus einem deutscher Mädchenbuch. Wer
Der Jahrgang 1000 der „Neuen Freien Presse kann
aber war der Plukolo, der den eingetrichterten Auftrag mit
ich vergibt sein, als dieses mit ihm identische Stück. Kein
seinen kolos=gehorsamen als entgegennahm. Er wird es
Wunder — da sein Autor doch selbst ein Bestandteil jenes
noch auf der Bühne bis zum Zahlmarker oder im Nachtschäft
Jahres war, zu ihm gehörte wie „Venedig in Wien und die
Anton Kuh,
dis zum Mitterburger bringen,
Odilon Dem Chronisten geschieht, was einem Dichter nie
a
200Kr.1919
Der Morgen Wien