8.
box 14/5
Freiwild
561
RADIO-WIEN
Zur Aufführung am
Artur Schnitzler
Sonntag, den 26. Mai
Von Dr. Oskar Bendiener
(Hiezu eine Inhaltsangabe auf Seite 564)
Szenenreihe „Reigen“, nahe dem Jahrhundertende
Als Sohn eines berühmten Mediziners am 15. Mai
geschrieben und vorerst nur als Privatdruck ver¬
1862 in Wien geboren, wendete sich Artur
breitet, gelangte erst in der Nachkriegszeit auf die
4 Schnitzler zunächst gleichfalls der ärzt¬
der Beatrice, ein farben¬
Bretter, „Der Schleier
lichen Wissenschaft zu, um jedoch schon in jüngeren
prächtiges Renaissancegemälde, psychologisch unge¬
Jahren mit seinem ersten Buch so bedeutsam hervor¬
wöhnlich interessant, scheint nur — für den Durch¬
zutreten, daß er sich bald darauf der Literatur als
Charakteren und Begeben¬
schnittszuschauer
seinem eigentlichen Lebenszwecke ergab. Dieser be¬
heiten etwas zu feingesponnen.
merkenswerte Erstling hieß „Anatol, Ausschnitt
Nach 1900 wird der Dramatiker Artur Schnitz¬
aus dem Leben der Wiener jungen Leute einer be¬
ler immer gedämpfter. Im „Einsamen Weg (1903)
stimmten glückgesegneten gesellschaftlichen Schichte
beschäftigt ihn das Todesrät-
ungefähr um die Jahrhun¬
neben dem Liebes¬
dertwende — und verriet, ob¬
und Spielmotiv durchgehends
wohl noch von neueren Fran¬
eines seiner Hauptthemen
zosen beeinflußt, des jungen
der „Marionetten-Zyklus
Autors markante künstleri¬
„Der Puppenspieler“, „Der
sche Physiognomie, seine zärt¬
tapfere Cassian, „Zum gro¬
liche Anmut, seinen geistreich
ßen Wurstel") grübelt den
funkelnden Witz, seine ver¬
Möglichkeiten seelischer Be¬
blüffende Dialogbeherrschung,
einflussung nach, indes „Der
seine unbarmherzig-bohrende
Ruf des Lebens (1905) mit
Seelenkunde, seine genaue
grellen Mitteln Fragen (pri¬
Kenntnis des dargestellten
mitiver) Erotik und (difficiler)
Milieus. Dazu seine schon zu
Berufsehre durcheinander wir¬
Beginn stark angedeutete
belt. „Komtesse Mizzi (Der
ironisch-melancholische Welt¬
Familientag) — 1907 — zeigt
anschauung, den skeptisch¬
Schnitzler als über¬
pessimistischen Unterton, den
legenen Kenner und Schil¬
bis zur bitteren Aufrichtig¬
derer der aristokratischen
keit forcierten Wahrheits¬
Sphäre, der schon technisch
und Gerechtigkeitsdrang. Ge¬
personen¬
beachtenste,
müts-, Leidenschaftswerte
reiche Medardus bie¬
unter steter unbestechliche
tet einen imposanten drama¬
Kontrolle eines überwachen
tischen Querschnitt durch die
Intellekts — verkennt der
napoleonische Epoche, ohne
Dichter keineswegs, rückt
Napoleon selbst auf die
sie vielmehr sehr nachdrück¬
Bühne zu bringen. Im „Wei¬
lich in den Mittelpunkt. Er
ten Land" (1910) erwächst
faßt die Dinge hart mit der
aus vielgestaltigem Gewirr
Artur Schnitzler
Sonde des Arztes an, betrach¬
(Aufnahme Franz Löwy)
menschlicher Beziehungen ein
tet sie völlig illusionslos, läßt
düster resignierender Ab¬
Weniges — und das nur für
schluß. Eminent geistige Probleme traktieren „Pro¬
kurze Frist — dies freilich in unerhörter Intensität
fessor Bernhardi und die Einakter „Komödie der
gelten.
Worte. Die „Komödie der Verführung hingegen
Bezeichnend für Schnitzlers Nachdenklichkeit,
sowie „Der Gang zum Weiher" (Früchte der letzten
daß schon seine zweite Arbeit, das Drama „Ein Mär¬
Nachkriegsjahre) nehmen das erotische Fundamental¬
chen (1891) — damals ziemlich kühn — ein heikles
thema des Jünglings und Mannes Artur Schnitzler
Problem aufgreift, für die Frau mit Vorleben Ver¬
in gereifter herbstlicher Weisheit wieder auf.
ständnis und Schonung fordert. Der große Wurf indes
Nicht minder bedeutend und fruchtbar ist
war erst die Wiener Komödie „Liebelei" (1894), die
Schnitzler als Erzähler. Schon die frühe Skizze
mit bis dahin nie gesehener Naturtreue die Welt der
Sterben" (1892) war ein realistisches Meisterwerk.
jungen Lebemänner aus begütertem Haus und die der
Von der großen Anzahl seiner späteren Geschichten
süßen kleinen Vorstadtmädeln kontrastierte, und die
seien „Die Toten schweigen, „Frau Berta Garlan,
einfache, aber meisterhaft geführte Handlung zu er¬
„Lieutnant Gustl“, „Geronimus und sein Bruder“, „Die
schütternder Tragik emporführt. 1896 erschien „Frei¬
Hirtenflöte" hervorgehoben. In den jüngst verflossenen
wild, theatralisch überaus stark. Ein Spiel, das wegen
Jahren gesellen sich hiezu noch „Badearzt Dr. Gräs-
seiner gegen Duell-Unfug und gewisse Theatersitten
ler, das „Spiel im Morgengrauen, die psychoanaly¬
gerichteten Tendenz großes Aufsehen erregte. Zu
tisch angehauchte „Traumnovelle, das keck-mitleids¬
seinen wuchtigsten Bühneneingebungen zählen die
volle Gesellschaftsbild „Fräulein Else, der ergreifend¬
Einakterzyklen „Paracelsus", „Die Gefährtin", „Der
sachliche Leidensweg einer Erzieherin „Therese
grüne Kakadu (Bild aus der französischen Revolu¬
„Buch der Sprüche und Bedenken bringt in knapp¬
tion) sowie „Lebendige Stunden mit der unverge߬
epigrammatischer Form tiefgründig endgültige Er¬
lichen Spitalsszene, „Die letzten Masken und der
kenntnisse.
bissigen Metiersatire „Literatur. Die derb-erotische
box 14/5
Freiwild
561
RADIO-WIEN
Zur Aufführung am
Artur Schnitzler
Sonntag, den 26. Mai
Von Dr. Oskar Bendiener
(Hiezu eine Inhaltsangabe auf Seite 564)
Szenenreihe „Reigen“, nahe dem Jahrhundertende
Als Sohn eines berühmten Mediziners am 15. Mai
geschrieben und vorerst nur als Privatdruck ver¬
1862 in Wien geboren, wendete sich Artur
breitet, gelangte erst in der Nachkriegszeit auf die
4 Schnitzler zunächst gleichfalls der ärzt¬
der Beatrice, ein farben¬
Bretter, „Der Schleier
lichen Wissenschaft zu, um jedoch schon in jüngeren
prächtiges Renaissancegemälde, psychologisch unge¬
Jahren mit seinem ersten Buch so bedeutsam hervor¬
wöhnlich interessant, scheint nur — für den Durch¬
zutreten, daß er sich bald darauf der Literatur als
Charakteren und Begeben¬
schnittszuschauer
seinem eigentlichen Lebenszwecke ergab. Dieser be¬
heiten etwas zu feingesponnen.
merkenswerte Erstling hieß „Anatol, Ausschnitt
Nach 1900 wird der Dramatiker Artur Schnitz¬
aus dem Leben der Wiener jungen Leute einer be¬
ler immer gedämpfter. Im „Einsamen Weg (1903)
stimmten glückgesegneten gesellschaftlichen Schichte
beschäftigt ihn das Todesrät-
ungefähr um die Jahrhun¬
neben dem Liebes¬
dertwende — und verriet, ob¬
und Spielmotiv durchgehends
wohl noch von neueren Fran¬
eines seiner Hauptthemen
zosen beeinflußt, des jungen
der „Marionetten-Zyklus
Autors markante künstleri¬
„Der Puppenspieler“, „Der
sche Physiognomie, seine zärt¬
tapfere Cassian, „Zum gro¬
liche Anmut, seinen geistreich
ßen Wurstel") grübelt den
funkelnden Witz, seine ver¬
Möglichkeiten seelischer Be¬
blüffende Dialogbeherrschung,
einflussung nach, indes „Der
seine unbarmherzig-bohrende
Ruf des Lebens (1905) mit
Seelenkunde, seine genaue
grellen Mitteln Fragen (pri¬
Kenntnis des dargestellten
mitiver) Erotik und (difficiler)
Milieus. Dazu seine schon zu
Berufsehre durcheinander wir¬
Beginn stark angedeutete
belt. „Komtesse Mizzi (Der
ironisch-melancholische Welt¬
Familientag) — 1907 — zeigt
anschauung, den skeptisch¬
Schnitzler als über¬
pessimistischen Unterton, den
legenen Kenner und Schil¬
bis zur bitteren Aufrichtig¬
derer der aristokratischen
keit forcierten Wahrheits¬
Sphäre, der schon technisch
und Gerechtigkeitsdrang. Ge¬
personen¬
beachtenste,
müts-, Leidenschaftswerte
reiche Medardus bie¬
unter steter unbestechliche
tet einen imposanten drama¬
Kontrolle eines überwachen
tischen Querschnitt durch die
Intellekts — verkennt der
napoleonische Epoche, ohne
Dichter keineswegs, rückt
Napoleon selbst auf die
sie vielmehr sehr nachdrück¬
Bühne zu bringen. Im „Wei¬
lich in den Mittelpunkt. Er
ten Land" (1910) erwächst
faßt die Dinge hart mit der
aus vielgestaltigem Gewirr
Artur Schnitzler
Sonde des Arztes an, betrach¬
(Aufnahme Franz Löwy)
menschlicher Beziehungen ein
tet sie völlig illusionslos, läßt
düster resignierender Ab¬
Weniges — und das nur für
schluß. Eminent geistige Probleme traktieren „Pro¬
kurze Frist — dies freilich in unerhörter Intensität
fessor Bernhardi und die Einakter „Komödie der
gelten.
Worte. Die „Komödie der Verführung hingegen
Bezeichnend für Schnitzlers Nachdenklichkeit,
sowie „Der Gang zum Weiher" (Früchte der letzten
daß schon seine zweite Arbeit, das Drama „Ein Mär¬
Nachkriegsjahre) nehmen das erotische Fundamental¬
chen (1891) — damals ziemlich kühn — ein heikles
thema des Jünglings und Mannes Artur Schnitzler
Problem aufgreift, für die Frau mit Vorleben Ver¬
in gereifter herbstlicher Weisheit wieder auf.
ständnis und Schonung fordert. Der große Wurf indes
Nicht minder bedeutend und fruchtbar ist
war erst die Wiener Komödie „Liebelei" (1894), die
Schnitzler als Erzähler. Schon die frühe Skizze
mit bis dahin nie gesehener Naturtreue die Welt der
Sterben" (1892) war ein realistisches Meisterwerk.
jungen Lebemänner aus begütertem Haus und die der
Von der großen Anzahl seiner späteren Geschichten
süßen kleinen Vorstadtmädeln kontrastierte, und die
seien „Die Toten schweigen, „Frau Berta Garlan,
einfache, aber meisterhaft geführte Handlung zu er¬
„Lieutnant Gustl“, „Geronimus und sein Bruder“, „Die
schütternder Tragik emporführt. 1896 erschien „Frei¬
Hirtenflöte" hervorgehoben. In den jüngst verflossenen
wild, theatralisch überaus stark. Ein Spiel, das wegen
Jahren gesellen sich hiezu noch „Badearzt Dr. Gräs-
seiner gegen Duell-Unfug und gewisse Theatersitten
ler, das „Spiel im Morgengrauen, die psychoanaly¬
gerichteten Tendenz großes Aufsehen erregte. Zu
tisch angehauchte „Traumnovelle, das keck-mitleids¬
seinen wuchtigsten Bühneneingebungen zählen die
volle Gesellschaftsbild „Fräulein Else, der ergreifend¬
Einakterzyklen „Paracelsus", „Die Gefährtin", „Der
sachliche Leidensweg einer Erzieherin „Therese
grüne Kakadu (Bild aus der französischen Revolu¬
„Buch der Sprüche und Bedenken bringt in knapp¬
tion) sowie „Lebendige Stunden mit der unverge߬
epigrammatischer Form tiefgründig endgültige Er¬
lichen Spitalsszene, „Die letzten Masken und der
kenntnisse.
bissigen Metiersatire „Literatur. Die derb-erotische