8. Freiwild
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handgreiflich versucht er, das unbescholtene
Mädchen zu entehren. Und als sie seinen Ver¬
führungsversuchen Festigkeit, seinen Gewalt¬
anwendungen Widerstand entgegensetzt, rächt sich
der energisch Zurückgewiesene, indem er das
Mädchen in einer Eingabe an die Polizei des
Diebstahls beschuldigt.
Und die Polizei
Ja, die Polizei hatte es sehr eilig. Sie ver¬
haftete ohneweiters die von ihrem Brodherrn des
Diebstahls beschuldigte Angestellte. Verhaftete sie
und behielt sie zwei Tage in Haft, trotzdem
Schodl, wie amtlich in der Anklageschrift des
Staatsanwaltes constatirt erscheint, nachdem sich
der Spieß gegen den verleumderischen Anzeiger
gekehrt hatte, in seiner Anzeige keinerlei Anhalts¬
punkte für deren Inhalt geben, und „man aus
einen Angaben nur schließen
konnte, daß die Anzeige höchst
leichtfertig erstattet, oder aus der
Luft gegriffen sei.
Wie, man konnte aus der Anzeige Schools
gegen Anna Haraschin nichts Thatsächliches ent¬
nehmen, sondern nur schließen, daß sie höchst
leichtfertig erstattet, oder aus der Luft gegriffen
sei, und trotzdem zaudert die Polizei keinen
Augenblick, gegen den Ruf und die Ehre eines
unbescholtenen Mädchens einen Streich zu führen,
der vernichtend wirken kann!? Warum? Wäre
die Polizei auch dann mit sofortiger Verhaftung
vorgegangen, wenn beispielsweise die Cassierin
Anna Haraschin gegen ihren Brodherrn Schodl
eine gleich höchst leichtfertige Anzeige erstattet
hätte? Oder sind auch in den Augen der Polizei
weibliche Angestellte und deren Ehre Freiwild!
Sicher ist, daß — vom Urtheile ganz ab¬
gesehen — die Sittlichkeit und Unschuld der ver¬
leumdeten Cassierin sowohl aus der Untersuchung,
wie aus der öffentlichen Verhandlung glänzend
hervorgegangen sind, und daß diese Sittlichkeit und
Unschuld das arme Mädchen weder vor der Be¬
leidigung ihrer Frauenehre durch unsittliche An¬
träge, noch vor der Verleumdung ihrer bürger¬
lichen Ehre und nicht einmal vor der Gefährdung
ihres unbescholtenen Rufes durch eine schwer be¬
greifliche polizeiliche Verhaftung geschützt haben.
Woher rührt dies?
Das rührt von der niedrigen Taxirung der
weiblichen und bürgerlichen Ehre der Mädchen und
Frauen in abhängiger Stellung; eine Taxirung,
welche die Affaire Schodl, oder richtiger den Fall
Anna Haraschin, keineswegs als einen vereinzelten
erscheinen läßt, bei dem es sich um etwas Aus¬
nahmsweises handelt. Derartige Fälle ereignen sich
in verschiedenen Varianten alltäglich in Wien und
Oesterreich, und die Fülle diesbezüglichen Materials
könnte viele Bände statt eines einzigen Zeitungs¬
artikels füllen.
Gibt es nicht auch anderwärts, außerhalb
Oesterreichs, ähnliche Verhältnisse?
Gewiß! Ueberall, wo das Gesetz den Werth
der weiblichen Ehre so niedrig, wie bei uns, taxirt,
sind die weiblichen Angestellten Attentaten auf
ihre bürgerliche und Frauenehre ausgesetzt. Anders
aber stellt sich die Sache dort, wo das Gesetz den
Schutz der Weiblichkeit ernst nimmt. So in Eng¬
land, so vornehmlich in Nordamerika. Wenn in
Oesterreich ein Wüstling die Ehre, das Glück und
das Leben eines unbescholtenen Mädchens ver¬
nichtet, so erhält er nur dann Strafe, wenn er
sein sittliches Verbrechen unter dem nichteinge¬
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handgreiflich versucht er, das unbescholtene
Mädchen zu entehren. Und als sie seinen Ver¬
führungsversuchen Festigkeit, seinen Gewalt¬
anwendungen Widerstand entgegensetzt, rächt sich
der energisch Zurückgewiesene, indem er das
Mädchen in einer Eingabe an die Polizei des
Diebstahls beschuldigt.
Und die Polizei
Ja, die Polizei hatte es sehr eilig. Sie ver¬
haftete ohneweiters die von ihrem Brodherrn des
Diebstahls beschuldigte Angestellte. Verhaftete sie
und behielt sie zwei Tage in Haft, trotzdem
Schodl, wie amtlich in der Anklageschrift des
Staatsanwaltes constatirt erscheint, nachdem sich
der Spieß gegen den verleumderischen Anzeiger
gekehrt hatte, in seiner Anzeige keinerlei Anhalts¬
punkte für deren Inhalt geben, und „man aus
einen Angaben nur schließen
konnte, daß die Anzeige höchst
leichtfertig erstattet, oder aus der
Luft gegriffen sei.
Wie, man konnte aus der Anzeige Schools
gegen Anna Haraschin nichts Thatsächliches ent¬
nehmen, sondern nur schließen, daß sie höchst
leichtfertig erstattet, oder aus der Luft gegriffen
sei, und trotzdem zaudert die Polizei keinen
Augenblick, gegen den Ruf und die Ehre eines
unbescholtenen Mädchens einen Streich zu führen,
der vernichtend wirken kann!? Warum? Wäre
die Polizei auch dann mit sofortiger Verhaftung
vorgegangen, wenn beispielsweise die Cassierin
Anna Haraschin gegen ihren Brodherrn Schodl
eine gleich höchst leichtfertige Anzeige erstattet
hätte? Oder sind auch in den Augen der Polizei
weibliche Angestellte und deren Ehre Freiwild!
Sicher ist, daß — vom Urtheile ganz ab¬
gesehen — die Sittlichkeit und Unschuld der ver¬
leumdeten Cassierin sowohl aus der Untersuchung,
wie aus der öffentlichen Verhandlung glänzend
hervorgegangen sind, und daß diese Sittlichkeit und
Unschuld das arme Mädchen weder vor der Be¬
leidigung ihrer Frauenehre durch unsittliche An¬
träge, noch vor der Verleumdung ihrer bürger¬
lichen Ehre und nicht einmal vor der Gefährdung
ihres unbescholtenen Rufes durch eine schwer be¬
greifliche polizeiliche Verhaftung geschützt haben.
Woher rührt dies?
Das rührt von der niedrigen Taxirung der
weiblichen und bürgerlichen Ehre der Mädchen und
Frauen in abhängiger Stellung; eine Taxirung,
welche die Affaire Schodl, oder richtiger den Fall
Anna Haraschin, keineswegs als einen vereinzelten
erscheinen läßt, bei dem es sich um etwas Aus¬
nahmsweises handelt. Derartige Fälle ereignen sich
in verschiedenen Varianten alltäglich in Wien und
Oesterreich, und die Fülle diesbezüglichen Materials
könnte viele Bände statt eines einzigen Zeitungs¬
artikels füllen.
Gibt es nicht auch anderwärts, außerhalb
Oesterreichs, ähnliche Verhältnisse?
Gewiß! Ueberall, wo das Gesetz den Werth
der weiblichen Ehre so niedrig, wie bei uns, taxirt,
sind die weiblichen Angestellten Attentaten auf
ihre bürgerliche und Frauenehre ausgesetzt. Anders
aber stellt sich die Sache dort, wo das Gesetz den
Schutz der Weiblichkeit ernst nimmt. So in Eng¬
land, so vornehmlich in Nordamerika. Wenn in
Oesterreich ein Wüstling die Ehre, das Glück und
das Leben eines unbescholtenen Mädchens ver¬
nichtet, so erhält er nur dann Strafe, wenn er
sein sittliches Verbrechen unter dem nichteinge¬