II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 3

Liebelei
5. Liesse box 10/1
10.
„Deutsches Volksblatt.“
Wien, Donnerstag
Seite 10
Fulda's „Kameraden“ von Herrn Giampictro in der Maske nicht gespielt werden, denn er läßt sich ohne besonderen! zu
Scharfsinn errathen. Fritz fällt im Duell und alle handelnden M.
Schnitzler's gespielt wurde. Man merkte es gestern dem
Personen des Stückes brechen darob in ein herzzerreißendes
Zuschauerraum des Burgtheaters an, daß sich ein ganz er¬
Jammern aus. Bemerkenswerth dabei ist, daß Christine es
lesenes Bühnenereignis vorbereite. Im Parkett, in den Logen,
weniger beklagt, daß ihr Geliebter erschossen wurde, als daß
im Stehparterre und in den obersten Rängen, sah man zahl¬
ha
er einer anderen Frau wegen erschossen wurde. Nachdem die
reiche Herren verschiedenen Alters, geziert mit jener unvergleichlich
bet
Gesellschaft genug Thränen vergossen hat — mehr als in
sch
genialen Stirnlocke die das äußere Kennzeichen unserer
einem Rührstücke der Charlotte Birchpfeiffer, fällt
fer
„Modernen“ ist. Und ihre Erwartungen, so gespannt sie
es Christinen plötzlich ein, daß sie nicht im Hause
un
auch sein mochten, wurden nicht enttäuscht, sondern dieselben
ihres Vaters bleiben könne. Sie reißt sich los und lauft
ers
wurden, dem wüthenden Klatschen nach zu urtheilen das
auf und davon. Ihr Vater ahnt es, daß sie nie wieder
an
nach allen Actschlüssen, insbesondere in dem Augenblicke, in
kommen wird. Dagegen hätten wir gewiß nichts einzu¬
Ge
dem Herr Schnitzler sich vor dem Vorhange zeigte, um den
wenden, doch hätten wir gerne gewußt, was aus ihr wird.
Beifallstribut seiner Freunde und Verehrer aus dem Café
Darüber läßt uns Herr Schnitzler im Unklaren. Wir wissen
Griensteidl huldvollst entgegenzunehmen, weit übertroffen.
nicht, ob Christine den in solchen Fällen beliebten Weg
Wir befanden uns eigentlich in demselben Falle, nur war
wählt und sich in's Wasser stürzt, oder ob sie in den Armensp
die Wirkung nicht dieselbe. Wir waren gestern mit der festen
eines anderen Liebhabers Trost sucht. Diese unbefriedigte Neu¬de
Ueberzeugung in's Burgtheater gegangen, einen verlorenen
gierde ist das einzige Moment, das uns zum Nachdenken anregt.. A##
Abend vor uns zu haben. Trotz dieser Ergebenheit
Das ganze übrige Stück läßt uns kühl bis an's Herz hinan.
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in unser Schicksal, wurde es uns zum Schlusse aber
doch fast zu viel. Mehr kann man einem normaß Daß der Verfasser trotzdem hervorgejubelt wurde, haben
organisirten Menschen schon nicht mehr zumuthen! wir bereits erwähnt. Wir beneiden ihn nicht um diesen
Beifall, der übrigens ein verdienter war, soweit die Schau=zu
Ver Allem zu dem einactigen Schauspiel Giacoso's, „Rechte
spieler in Frage kommen. Die Damen Sandrock,ge
der Seele“. Dieser italienische Dramatiker hat in seinen
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Kallina und Walbeck, sowie die Herren Kutschera,
früheren Werken Beweise entschiedener Begabung geliefert
de
Zeska und Mitterwurzer boten Alles auf, was
und auch in dem Stücke „Sündige Liebe“ zeigte sich noch
in ihren Kräften stand. Das Facit des gestrigen Abends ist, de
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immer das Vermögen des Dichters, aus einem spröden
Stoffe etwas zu machen. Gestern hat er uns die Hoffnung daß das Burgtheater die dramatische Experimentalphysik
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Anderen überlassen soll. Auf unsere „erste deutsche Bühne“
geraubt, daß wir von ihm noch etwas zu erwarten haben.
sollte die Clique keinen Einfluß gewinnen können. —ei——.
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Wie in der „Sündigen Liebe“ ist auch in „Die Rechte der
Seele“ der Conflict zwischen Mann und Weib der Träger
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- Unsere Hofoper scheint bei ihrer bekannten Vorliebe
der Handlung. In dem ersteren Drama entdeckt der Gatte
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für fremdländische Kunst der einheimischen Tondichter ganz zu
die Untreue der Frau und straft diese, indem er sie zu
vergessen. Umso freudiger ist es zu begrüßen, daß der General¬
einem freud= und liebelosen Dasein an seiner Seite ver¬
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director Hofrath Schuch aus Dresden zugesagt hat, in einer im
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urtheilt. In der gestrigen Novität kann von einem eigent¬
Laufe der Spielzeit zu Gunsten der Poliklinik im Carl=Theater
lichen Betrug an dem Gatten keine Rede sein, sie bricht,
stattfindenden Matinee mit vier ersten Mitgliedern des Dresdener
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wenn der Ausdruck gestattet ist, die Ehe nur mit
Hoftheaters Haydn's reizende Oper „Der Apotheker“ zur Dar¬
stellung zu bringen.
dem Herzen. Anna (Frau Hohenfels) hat einen
ungeliebten Mann (Herr Hartmann) geheiratet und ihre
Herr Dr. Tyrolt ist gestern im Deutschen?
Volkstheater in vollster Gesundheit zur ersten Probe des
ganze Neigung gehörte einem Anderen. Sie war sich aber
Volksstückes Pastor Brose“ erschienen und wurde von seinen
der Pflichten gegen ihren Gatten stets bewußt, sie kleidete
Collegen lebhaft begrüßt. — Das Novitätenprogramm dieser
sich in die Maske der Gleichgiltigkeit und als der Geliebte
Bühne ist für die nächste Zeit folgendermaßen festgestellt worden:
in seinem Werben immer stürmischer und dringender wurde,
„Ein Regentag“, „Pastor Brose“, „Gräfin Fritzi“ und „Ghis¬
schrieb sie ihm einen Brief, in dem sie ihm erklärte, er möge
sie nicht länger quälen, denn ihre ganze Liebe gehöre ihrem
* Im Raimund=Theater gelangt heute die mit?
Gatten. Der Effect des Briefes ist, daß der Abgewiesene sich
so außerordentlichem Erfolge aufgeführte Gesangsposse „Der
tödtet. Ein Portefeuille mit den Briefen Annas kommen in
Heiratsschwindler“ von Bernhard Buchbinder zum viertenmale
die Hände Pauls, ihres Gatten. Dieser wird nun durch die
zur Aufführung und wird Herr Fröden neue Strophen seines
wirkungsvollen Couplets „Streckenweis“ zum Vortrage bringen.
Entdeckung, was den Freund in den Tod getrieben hat,
— Morgen kommt „Bruder Martin“ zum 85. Male zur Wieder¬
lebhaft beunruhigt. Er stellt sich die Frage, ob es denn
Sonntag, Nachmittags halb 3 Uhr, geht Holger
nicht möglich sei, daß Anna den Todten dennoch liebte,
Drachmann's poetisches Märchenspiel „Es war einmal . .“ mit
ihn aber aus Pflichtgefühl nicht erhörte. Und so dringt er
denn in Anna ihm Aufklärung zu geben, obwohl den Damen Anatour, Krauß, Niese, Reinhart und den Herren
Göstl, Kirschner, Klein, Krug, Lucas, Schildkraut und Stra߬
diese ihn bittet, sie über die Angelegenheit nicht zu befragen.
meyer bei ermäßigten Preisen in Scene.
Sein Argwohn läßt ihn immer heftiger werden, bis endlich
Im Josefstädter Theater findet morgen,
Anna gesteht, sie habe den Todten immer geliebt, sie liebe
Freitag, die erste Aufführung des dreiactigen Schwankes „Der
ihn auch jetzt noch und sie bereue — ihre Tugend. Paul
Rabenvater“ von Jarno und Fischer statt. Der Schwank ist
hätte das „Recht ihrer Seele“ respectiren sollen, weil er dies
bekanntlich ein Cassenstück des Berliner Neuen Theaters. Die
Hauptrollen der vom Regisseur Groß inscenirten Novität befinden
nicht that, verläßt sie sein Haus. Die beiden Träger der
sich in den Händen der Damen Pohl=Meiser, Fischer, Schmidt¬
Hauptrollen boten ihr Bestes, um ihren Rollen Leben und
Leeb, Felsen, Schleinitz und der Herren Maran, Franker,
Wahrscheinlichkeit zu verleihen, namentlich Frau Hohen¬
C. A. Friese und Bartl. Die Première fängt um halb 8 Uhr
fels verdient volles Lob. Es gelang ihnen nicht. Un¬
an, Karten für Logen und Sitze werden von heute ab an den
mögliches kann eben Niemand leisten. Und nun zu dem
Tagescassen ohne Vormerkgebühr vergeben.
zweiten „Modernen“. Was sollen wir über Schnitzler's
Im Rudolfsheimer Volkstheater geht
„Liebelei“ sagen. Daß das Stück eigentlich gar kein Stück ist
„Fee Million“ bis inclusive Freitag mit der Directorin Czer¬
weil es jeder Handlung entbehrt? Daß dieses Stück
niawski=Loewe in der Titelrolle in Scene. Die Rolle des Volks¬
die eigentlich gar keine Acte sind?
drei Acte hat,
geist spielt der neuengagirte Charakterdarsteller Herr Max Zilzer.
Doch wir wollen wenigstens den Versuch machen, die
Nächsten Samstag gelangt „Ein Wiener Freiwilliger“ zur Auf¬
moderne Kraftgenialität Schnitzler's dem schlichten Laien¬
führung.
Aus Bayreuth wird uns berichtet: Im nächsten
verstand näher zu rücken. Das Werk scheint sogar Ansprüche
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Sommer wird — zwanzig Jahre nach der ersten Aufführung —
auf den Namen „Volksstück“ zu erheben, denn es spielt in
Wien, es wird darin etlichemale „wienerisch“ gesprochen — hier in vollständig neuer Ausstattung der „Ring des Nibelungen“.
wiederum zur Aufführung gelangen. Gleichwie im Jahre 1876,
das genügt ja nach der Meinung Vieler, um auch dem
wird der Cyklus an je vier aufeinanderfolgenden Tagen gegeben
miserabelsten Machwerk einen „volksthümlichen“ Charakter
werden. Es sind hierfür folgende Tage in Aussicht genommen:
zu verleihen. Doch zur Sache. Der erste Act führt uns in
19. bis 22. Juli, 26. bis 29. Juli, 2. bis 5. August, 9. bis
das „Junggesellenheim“ eines wohlhabenden jungen 12. August und 16. bis 19. August. Ueber die Besetzungsfragen
Herrn, der ein echter Lebemann, nebstbei auch Student und sind endgiltige Entscheidungen noch nicht erfolgt: was bisher
darüber verbreitet wurde, ist zumeist nicht richtig. Das Orchester
Reservelieutenant ist. Seine Wohnung gleicht einem Durch¬
wird nur wenige Veränderungen gegen die vorhergehenden Fest¬
haus, denn kaum hat eine seiner Geliebten dieselbe verlassen,
spieljahre aufweisen.
schon wieder eine Andere in ihr
so kehrt auch