II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 24

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Liebelei
5. Aihn Snennnnen
Seite 13.
11. Oktober 1895.
Fremden-Slatt.
Nr. 279.
Wien, Freitag
wir lieben, und lieben nur die Frauen, die uns gleichgiltig sind.“
Und so weiter. Diese Kraft der Parodoxie besitzt Fritz nicht, er wird
Feuilleton.
es als Renommist der Leichtfertigkeit niemals so weit bringen. Aber
er steht in derselben Schule und bringt selbst einen Augenblick, nachdem
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Christine sein tiefstes Herz berührt hat, da er sich bei ihr „so geborgen“
Burgtheater.
gefühlt, die absichtliche Schnödigkeit hervor: „Jetzt bin ich nahe daran
(„Rechte der Seele", Schauspiel in einem Akt von Giuseppe Giacosa.
zu glauben, daß hier mein Glück wäre — aber diese Stunde ist eine
„Liehelei“, Schauspiel in drei Aufzügen von Arthur Schnitzler.)
große Lügnerin.“
Ist es der Vorfrühling eines neuen fruchtbringenden Jahres,
Uebrigens gehört das zur landläufigen Technik dieser Liebelei,
das die Wiener dramatische Muse erleben will? Mit dem Tode
und sogar Jede — findet es korrekt. Nicht nur Theodor
Jeder
Bauernfeld's war schwerer Winter eingerissen. Alle Keime schliefen.
macht sich über „das berühmte Gewissen“ lustig. Das Gewissen hat
Seit Kurzem erst schwillt es hier und dort von neuem Grün. Kein
dabei überhaupt nichts zu thun. Und die herangezogenen Weiblichkeiten
Theater in Wien, in dem sich die heimische Kraft nicht schon neuer¬
selber rechnen auf nichts Besseres. „Dann“ wird man sie wieder weg¬
dings geregt hätte. Auch diese Woche wird sie auf zwei Bühnen
wersen; aber sie haben doch ihren Augenblick gehabt und „wer wird
lebendig und erhebt sich sogar ungewöhnlich wienerisch. Selbst auf der
denn im Mai an den August denken?“ sagt Mizi. Um einen Mann
Hofbühne verzichtet sie auf ein heimatloses Hochdeutsch und spricht, wie
sich kränken? das „erlebt Keiner,“ das hat sie „noch nie“ gethan.
man im dritten Bezirke spricht, in der allerdings ziemlich gebildeten
Selbst die aufrichtig liebende Christine ist so anspruchslos: „Ich bin
Strohgasse, wo der Held des neuesten Schauspiels wohnt. Auch die
doch einmal glücklich gewesen, mehr will ich ja vom Leben nicht. Ich
geschilderten Verhältnisse, Charaktere und Schicksale haben diesen trau¬
möchte nur, daß Du das weißt und mir glaubst, daß ich Keinen lieb
lichen Dialekt. Der Muth zum Heimatlichen hat sich also wieder
gehabt vor Dir, und daß ich keinen lieb haben werde, wenn Du mich
gefunden, man wagt es nachgerade, Wien wieder mit Wien unterhalten
einmal nimmer willst.“ Das ist ein Naturkind aus Wien, eine nahe
zu wollen. Schon diese Regung ist geeignet, für die beiden Wiener
Verwandte des Mädchens von Otaheiti aus dem vorigen Jahrhundert,
Dichter, welche sich für diese Woche zum Worte gemeldet haben, Arthur
das sich mit ebenso vollen Händen verschenkte, „weil's sie g'freute“.
Schnitzler und J. J. David, günstig voreinzunehmen. Wer
Und was sagt ihr Vater dazu, der alte Musikus Weiring, der keines¬
sollte ihnen nicht das Beste wünschen?
wegs Miller heißt? Auch der ist Mensch und ganz der Meinung, daß
Schnitzler's dreiaktiges Schauspiel „Liebelei“, das vorgestern im
man „die Jugend nicht zum Fenster hinauswerfen soll“. Er ist ein
Burgtheater so freundlich angehört worden, lebt ganz in und von
einfacher, ehrlicher Mann, der auch ganz gut weiß, was weibliche
der warmen Wiener Luft. Es schildert jüngste Jugend, die gleich
Tugend heißt. Hat er doch sein Leben lang über einer ledigen Schwester
Schmetterlingen durch diese Luft gaukelt, sich findet und sich wieder
gewacht, als „ihr Schützer, ihr Retter“ ist er sich vorgekommen. Aber
verliert, bunt und froh, daß selbst die Thräne schier lustig an der
wie sie immer älter wurde, eine alte Jungfer, eine uralte Jungfer, und
zuckenden Wimper funkelt. Lieben und lieben lassen, ist der Wahl¬
wie er sie das mit jener gewissen Ergebung ganz still tragen und
spruch dieser Welt. Und sie bewegt sich im vorliegenden Falle gesell¬
schließlich stumm sterben sah — „ich hätt' mich am liebsten vor ihr
schaftlich auf einer unbestimmten Linie, wo der Student just aufgehört
auf die Knie niedergeworfen,“ ruft er, „sie um Verzeihung bitten, daß
hat und der „Kavalier“ just anfangen möchte. Da nimmt sich Amor
so gut behütet hab' vor allen Gefahren . . . und d#r allem
besonders putzig aus; der großstädtische Amor mit der Büge'falte, der
Glück!“ Das war eine Art tragischer Umschwung in ihm. Jetzt sagt er,
noch stark ins lateinische Viertel geht, auf den galanten Kriegspfad.
mit Bezug auf seine eigene Tochter, mit hausbackenem Cynismus:
Fritz Lobheimer und Theodor Kaiser sind im Personenverzeichniß
„Was hat denn so ein armes Geschöpf schließlich von dem ganzen
einfach als „junge Leute" bezeichnet. Es sind halt junge Leute; das
großartigen Bewußtsein ihrer Tugend, wenn schon — nach jahrelangem
ist als „Stand und Charakter“ deutlich genug. Die beiden Mädchen
Warten — richtig der Strumpfwirker kommt?“ Und als seine Tochter
sind Christine Weiring, Tochter eines Violinspielers an einem Vorstadt¬
ihm freimüthig bekennt, daß sie's mit dem Fritz hat, da sagt er kein
theater, und Mizi Schlager, die „voriges Jahr“ in einem Modisten¬
Wort und geht schweigend fort. Es liegt eine schlichte Armeleut=Tragik
geschäft gewesen ist. Zwei sehr ungleiche Pärchen. Theodor und Mizi
in diesem gefaßten Verzicht auf den unerschwinglichen Luxusgegenstand,
halten schon bei der zweiten Kapitulation, Fritz und Christine haben
genannt Tugend.
noch etwas Einjährig=Freiwilliges an sich. Theodor ist bereits ein
In dieser Begriffswelt spielt sich denn die einfache kleine Tragödie
kleiner Balzac, der eine Physiologie der Liebelei verfassen könnte. Er
Christinens ab. Sie ist in wenigen Sätzen erzählt. In die Cabinet
reitet seinen Freund Fritz in das leichte Verhältniß zu Christine
particulier=Stimmung einer kleinen Abendunterhaltung zu Vieren bei
hinein, „zur Erholung“ von einer schweren Beziehung, die er zu einer
Fritz platzt unvermuthet „Er“ herein. Nämlich der Gatte der Trägerin
unheimlichen Dame in schwarzem Sammtkleide hat. Er predigt ihm,
jenes schwarzen Sammtkleides. Er fordert ihre Briefe zurück. Fritz
wie Carlos dem Clavigo: „Die Weiber haben nicht interessant zu
muß sich schlagen, unter dem Druck eines düsteren Vorgefühls. Er
sein, sondern angenehm ... Die Weiber sind ja so glücklich in ihrer
fällt und Christine thut sich ein Leid an. Ebenso einfach, aber erfreulich
gesunden Menschlichkeit — was zwingt uns, sie um jeden Preis zu
stark, ist der innere Gang der Handlung. Die Liebelei zwischen Fritz
Dämonen oder zu Engeln zu machen? . .. Wir hassen die Frauen, die
Seeensme en
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(Der Mann mit dem Bären.) Vor einigen Tagen erschien
in Bordeaux auf dem Rekrutirungsbureau ein Reservist, um sich zu
Allerlei.
seinen 28tägigen Uebungen zu stellen. Er zog einen großen Bären an
(„Wie die Alten sungen ...“) Wie eine Satire auf das
einer Kette nach sich. Auf die erstaunte Frage des Offiziers, was das
Duell klingt eine ernsthafte Meldung aus Paris: Donnerstag
bedeute, erklärte er, er sei gekommen, um seiner Dienstpflicht zu genügen,
Nachmittags bemerkten Schutzleute auf dem Boulevard Massena, am
könne aber seinen Bären, der tausend Francs werth sei und mit dem
Pariser Wallgraben, ein halbes Dutzend Knaben, von denen der eine
er allein seinen Lebensunterhalt verdiene, nicht im Stiche lassen. Der
eine kleine Entfernung mit Schritten abmaß, um an beiden Enden je
Offizier war in größter Verlegenheit, was da zu thun sei, und da er
einen der Kameraden aufzustellen. Dann sahen die Polizisten, daß
selbst keine Entscheidung in der Sache treffen wollte, befahl er dem
jedem der Aufgestellten ein Gegenstand überreicht wurde, den sie nicht
Manne, sich mit seinem Bären zu entfernen und des Nachmittags
zu erkennen vermochten. Darauf klatschte einer der Knaben dreimal
wieder zu kommen. Als er sich barauf, immer von seinem Bären
mit den Händen: sofort ertönte ein Schuß. Es war ein Duell nach
begleitet, wieder einstellte, erhielt er den Bescheid, er müsse seiner Dienst¬
allen Regeln; die Schutzleute stürzten nun auf die Kinder, konnten
pflicht genügen und seinen Bären irgendwo unterbringen. „Aber was
aber vorerst nur einen Kämpfer und drei Zeugen erwischen. Auf dem
soll ich denn da thun?“ rief der Bärenführer aus, der auf den
Polizei=Amt erklärte der Kämpfer, Paul Fourneon — da die Pariser
„Das Thier ist tausend Francs werth
###n sollen diese an¬
klassischen Namen Aiar bört.

Ken