II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 40


tessen=Theater“, ein Theater in usum del-Theaterstück, sondern mehr eine — Liebelei mit der!
phini, und die Comtessen von heute sind auch Muse. Die einheitliche, höchst realistische Darstellung
zimperlich, wie
bei weitem nicht mehr so
ließ indeß die Schwächen des Werkes den Augen des
ehedem. Dennoch saßen die Burgtheater=Besucher
Publikums gelinder erscheinen, die unleugbaren Vor¬
gestern Abend wie versteinert da, als mit einem Male
züge dafür um so leuchtender hervortreten. Son¬
ein breiter Strom echter wiener Luft vom Podium
nenthal bot echte Natur, ungekünstelten Realismus.
herab in's Parquet drang und sie bekreuzigten sich
Er sprengt auch die verschlossensten Herzen durch die
förmlich, als vom Klavier ein Gassenhauer erklang,
Zaubergewalt seines Gemüthes. Adele Sandrock
einer der Darsteller vom Orpheum und vom Theater
hat die sympathische Gestalt der Christine mit meister¬
in der Josefstadt sprach und ein Feuster statt auf die
licher Charakteristik über das Niveau emporge¬
Pyrenäen oder auf Lesbos die Aussicht auf den
hoben, auf welches der Dichter sich stellte. Man kann
Kahlenberg erschloß. Man denke: Clownspäße aus
das aufquellende Gefühl nicht zarter, den Schmerz
dem Orpheum, Anspielungen auf wiener Localverhält¬
nicht ergreifender und überzeugender darstellen. Ihr
nisse und die Rebengelände des Kahlengebirges im
sinnlich=heiteres Gegenstück, eine Gestalt von Tempera¬
aristokratischen Burgtheater — welche Profanation,
ment und Lebenslust zeichnete Frl. Kallina mit
welche Verwegenheit! Aber dem Muthigen gehört die
wirklichem Talent. Die Herren Kutschera (Fritz)
Welt. Das Experiment, w#lches das Burgtheater mit
und Zeska (Theodor) waren äußerst wirksam, ins¬
dem aus dem Vollen des wiener Liebeslebens ge¬
besondere bildete das mondscheinhafte Wesen des
schöpften Sittenbilde „Liebelei“ von Artbur
Ersteren einen guten Contrast zu der burschikosen
Schnitzler, dem Begabtesten und Unerschrockensten
lautvergnügten Art Zeska's. Schnitzler darf denn
unter den wiener „Modernen“ gewagt hat, es ist nicht
mit seinem Publikum, welches ihm viel Wohlwollen
mißlungen. Das Stück fängt allerdings erst dort an
entgegensrachte und erst gegen Schluß wieer die
dramatisch zu werden, wo das Publikum anfängt —
allzulaute Freundesclaque protestirte, vollauf zu¬
unruhig zu werden, nach der Uhr blickt und die
frieden sein.
Garderobenummer aus der Tasche holt, fesselt aber die
Auch Giacosa der Autor des jüngsten Pro¬
letzten zehn Minuten mit hypnotischem Bann.
ductes des italienischen Verismo: „Die Rechte
Das Milieu, welches Schnitzler bietet, ist nichtsder Seele", welches wir als hors-d’oeuvre
neu, aber doch reich an markanten Zügen. Scharfe vorgesetzt erhielten, ist glimpflich davongekommen.
Beobachtuna, ja mehr als das, tiefe Seelenkunde be¬
Sie haben ja gelegentlich der berliner Auf¬
kundet der Dichter in mitunter überraschender Weise
führung ihre Eiwände gegen diese angeblichen!
an jeder einzelnen Figur. Aber der Abklatsch des
„Rechte der Seele“ erhoben. Auch das hiesige Publi¬
wiener Lebens, den uns Schnitzler vorführt, vermag
kum stimmte mit den Absichten des Dichters und seiner
uns doch nicht zu befriedigen, weil er sich so sonverän
dramatischen Studie keineswegs überein umsomehr
über die Gebote der Bühnentechnik hinwegsetzt. Das erkannte es die feingeschliffene und geistvolle Dia¬
Werk erfüllt so gar nicht die Forderungen, die wir lektik der Frau Hohenfels an, an der die Frauen¬
nun einmal an das Drama stellen. Es ist ein skizzen= seele und ihre vermeintlichen Rechte eine glänzende
hafter Vorwurf voll fesselnder Details, die aber an Vertheidigerin fanden. Herr Hartmann gab den
der Oberfläche haften. Er will die ernsten Folgen
platonisch gehörnten Gatten mit Würde und Eleganz,
des Liebesbundes schildern, welcher zwischen einem
nur verleitete ihn die unüberwindliche Schauspieler¬
unverdorbenen Vorstadtmädchen mit einem flotten,
eitelkeit, die Rolle so gewinuend und voll Geist dar¬
wenngleich ernst veranlagten Bruder Studio be¬
zustellen. daß man nicht begreifen konnte, daß die
steht. Dieser, Fritz, hat nur eine flüchtige Frau dieses Mannes unverstanden geblieben ist
rein äußerliche Neigung zu Christine, der Tochter eines Indeß ist die Schuld des Darstellers aber nicht so
Geigers an einem Vorstadttheater gefaßt, die er als groß; auch Giacosa blieb ja unverstanden
Spielzeug, als passagere Sorgenbrecherin betrachtet.
Anders Christine. Sie besitzt noch die idealsten An¬
schauungen von der Liebe und hat eine ehrliche, tiefes——
Neigung zu Fritz gesaßt. Möglich, daß der Zauberg
der Reinheit, welchen Christine ausströmt, auf Fritzl
veredelnd wirkt
— der Autor läßt uns darüber im
Ungewissen, denn sein Held fällt im Zweikampfe mitz
einem Manne, dessen Gattenehre er in den Staub¬
getreten. Die Entladung des Gewitters über dem
Haupte des leichtlebigen Fritz
ist mit einen
Raffinement durchgeführt
das
an die besten
Seribe'schen oder Augier'schen Momente gemahnte
Fritz und sein Freund Theodor
„Dori“ ist
sein verwienerter Kosename —
haben ihre Freunz
dinnen zu einem solennen Souper in des Erstereß
Wohnung geladen. Man tollt und scherzt, musicitt
und tanzt, ist voll Uebermuth und Ausgelassenheit, de
schellt es. Man will nicht öffnen. Es schellt ein
zweites, ein drittes Mal, immer stärker, nervöser, al
wäre der Rachegott selber vor der Thür. Fritz
schickt die Gesellschaft in ein Nebenzimmer und öffnet
Es erscheint in Wirklichkeit die strafende Gerechtigkeit
in Gestalt des betrogenen Gatten. Eine furze Aus¬
einandersetzung. Man tauscht die compromiktirenden
Briefe aus und — „auf morgen!“ Fritz läßt die
Mädchen nichts ahnen, obwohl Christine die Gewitter¬
luft spürt. Er veranlaßt Theodor, seine Angelegenheit
zu ordnen. Im zweiten Bilde, welches uns in die an¬
heimelnde, sonnige Häuslichkeit Christinen's bringt, er¬
scheint Fritz, um Christine noch einmal zu sehen, ehe
er den Waffengang unternimmt. In dieser Stunde
wird ihm offenbar, daß Christine anders ist als die
Dutzendgeschöpfe, die bisher seinen Weg gekreuzt haben,
und daß auch sein Herz einer edleren Regung fähig
ist. Daraus scheint sich mehr als eine bloße Liebelei
gestalten zu wollen. Die von einem warmen Hauche
von Poesie durchwehte Scene schließt mit einem schrillen
Accord; Theodor kommt, um den Freund zu holen,
da der grauende Morgen eine entscheidungsschwere
Stunde bringe. Das Schlußbild gehört Christine und
ihrem Vater. Von Unruhe erfaßt, harrt sie auf eine
Nachricht von Fritz, der ihr vorgespiegelt hatte, er
begebe sich nur auf einen Tag auf das elter¬
liche Gut; nun sind aber bereits zwei Tage
verstrichen und jedwedes Lebenszeichen fehlt. Kein
Leben, kein Zeichen
Fritz fiel im Duell. Der
Vater Christinens, von dieser eingeweiht in das Ge¬