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12 October 1895
Die Zeit.
Wien, Samstag,
Nr. 54
nichts; sie bestehen nur aus Beziehungen. Sie selber lieben nicht, sie
an elende Aufgaben vergendet, die Kraft der Sarah Bernyardt, der
selber hassen nicht, sie selber freuen sich nicht, sie selber leiden nicht, sie
Rejane, der Hading und der Tessandier. Warum spielen sie nicht
selber fühlen nichts, sondern sie nehmen alle Stimmungen an, die
„P’eiléas et Melisande“ eder „Rosmersholm“?
gerade ihren Verhältnissen entspre#k n. Sie haben keine Instincte, deuen
Nun beginnen unsere großen Concerte wieder, die uns die
sie sich anvertrauen könnten; so müssen sie sich, um nur überhaupt
theueren Meister: Bach, Beethoven, Schumann, Mozart und Wagner
handeln zu können, immer erst in Relationen bringen. Da sic sich
hören lassen. Einstweilen hat man uns an der komischen Oper die
selber nicht fühlen, trachten sie, sich als etwas zu fühlen: als der „Student,
„Navarraise“ von Massenet gegeben. Ich weiß noch nicht, wie die
der mit einer Grisette gehr“ oder als der „Liebhaber einer Schau¬
Wiener dieses Wert aufgenommen haben, aber wir alle, die wir hier
spielerin“ oder als der „unwiderstehliche Mann“; aus dem Gefühle
wahre Künstler sind, hoffen auf diese Stadt, wo man die schöne Musik
dieser Typen holen sie erst ihre Impulse. Jemand hat sie Fünfgulden¬
noch liebt: wir hoffen, dass sie mit der Verachtung, die es ver## ent,
lebemänner genannt, weil sie mit einem Taschengeld von fünf Gulden
dieses freche und hohle Werk zurückteisen wird. Massenet ist der
täglich das Ansehen von Viveuren zu bestreiten wissen. Auch Lebebuben
cy. scheste von allen unseren Componisten; es gibt gar keine Formel,
hat man sie genannt, was das Unmännliche ihrer ganzen Art aus¬
die er nicht bestohlen hätte, von Tizet bis Wagner, um seine Stücke
drückt. Schnitzler hat eine besondere Vorliebe, sie darzustellen; sie
für den Export darnach zu fabricieren. Massenet, für den es keine Ent¬
müssen ihm verdächtig nahe gehen: er kommt von ihnen nicht los.
schuldigung gibt, weil er ja sehr intelligent ist und den Unwert seiner
Schon im „Anatol“ hat er nur sie geschildert, dann im „Märchen“
Must selber sehr gut kennt, hat die größten Erfolge beim Publicum und
und nun schildert er sie mit den Mädchen, die zu ihnen gehören,
die größten Einnahmen; das scheint ihm wichtiger zu sein, als die
wieder. Diese Mädchen sind genau wie sie: unpersönlich, ohne Leiden¬
Achtung der Künstler und sein guter Name. Die „Navarraise“ ist
schaft, passiv. Sie begehren nichts, wehren sich nicht, lassen sich alles
eines jener Stücke für den Export, wie ich oben sagte, lärmender
gefallen. Sie sagen nicht Ja und sagen nicht Nein und warten ge¬
Stücke mit überstürzten Situationen, ohne Psychologie, ohne musika¬
duldig ab, was ihnen bestimmt ist; dagegen kann man ja doch nichts
lische Tiefe, die Herr Massenet speciell für die Provinz und das Aus¬
machen. Spricht sie wer an, so antworten sie gern; will er mehr, so
land macht. Fräulein Calvé spielte sie mit Erfolg in London und an
geben sie nach; verläfst er sie, so klagen sie auch nicht. Wer weiß,
der Monnale rettete sie nur Georgette Leblanc, deren beinahe un¬
wozu es gut ist! Manche hat so schon ihr Glück gemacht, andere gehen
wahrscheinliche Schönheit und tragische Kraft die Brüsseler bezaubern
freilich zu Grunde; es triffts halt nicht jede gleich. Man muss sich be¬
und die in ein paar Jahren die einzige Sängerin sein wird, die
scheiden, wie 's eben kommt. Keine denkt je daran, etwas für sich vom
Wagner noch schöner gibt, als die Materna. Hier wurde sie von
Leben anzusprechen, das ihr allein und nur ihr und nicht der ganzen
Fräulein Calvé gut gespielt, die keine Größe hat, aber eine recht gute
Kategorie zukommen würde. Diese Mizzis und Christins fühlen sich nie
Schauspielerin ist; ich kann nicht sagen: auch gut gesungen, denn es
als die Mizzi oder die Christin, sondern nur so im ganzen als arme
gibt kaum drei Minuten Gesang in dieser hastigen, von Schreien und
Mädchen, gerade wie jene jungen Leute, Herr Fritz Lobheimer und Herr
künstlichem Gelächter zerrissenen Rolle. Die Presse sprach über das
Theoder Kaiser, sich nie als der Fritz oder der Theodor, sondern
Stück, wie man es erwarten musste: Lob in jenen Zeitungen, die sich
immer nur als Studenten, Praktikanten oder Lebemänner fühlen. Und
nur immer an die Stimme der großen Menge halten und natürlich
so fragen sie nicht, was kommen wird, geben sich der süßen Stunde
auch das Mitglied der Akademie respectieren; einige schüchterne Be¬
innig hin und werden jene lieben, so bequemen, niemals raunzenden
merkungen von ein paar unbefangenen Leuten und die laute Verachtung
Geschöpfe, die, wie der Theodor sagt, „zum Erholen da sind“, immer
aller wahren Musiker, die es Massenet niemals verzeihen, dass er, der
lachen, auch wenn man gar keinen Witz macht, und nie sich kränken,
doch einst Talent und Geschmack hatte, aus Liebe zur Reclame und
zu denen man „du Patsch“ sagen darf und mit denen man nicht von
zum Gelde sich so weit vergessen konnte.
der „Ewigkeit“ sprechen muss.
So beginnt die neue Saison nicht eben glänzend. Ich hätte
Ihnen gerne besseres gemeldet. Doch hört man ja allerhand schöne
Unter das leichtsinnige Personal dieses recht österreichischen
Versprechungen und vielleicht darf ich das nächstemal von einigen edlen
Kreises lässt Schnitzler plötzlich das ernste Schicksal treten und da
Namen und einigen edlen Werken erzählen. Neues von Henri de
zeigt es sich denn, dass ihre beinahe türkische Ergebenheit und Demuth
Régnier und Maurice Maeterlinck, Bilder von Dégas, Musik von
ihnen gar nichts nützt und, wenn sich die Menschen auch noch so klein
Claude Debussy, Gustave Charpentier und Vincent d'Indy sind ange¬
und bescheiden machen, das Leben doch groß und furchtbar bleibt. Der
kündigt; so werde ich Sie wohl bald über Massenet trösten können.3
Fritz, der daneben auch mit einer Frau eine „Bandelei“ hat, wird von
Camille Manclair.
Paris.
dem Gatten im Duell erschossen und nun thut sich die ganze Verlogen¬
heit dieser so gemüthlichen Existenzen auf: die Liebelei endet, als ob
sie eine Leidenschaft wäre, und das Mädchen, die Christin, muss
Burgtheater.
erfahren, wie wenig sie ihm gewesen; indem er an einer Lüge stirbt,
wird sie inne, dass sie von einer Lüge gelebt hat. Sie war doch gar
(Liebelei, Schauspiel in drei Acten von Arthur Schnitzler. Rechte der Seele,
nichts für sich, sondern nur für ihn da: selber gar kein Wesen, sondern
Schauspiel in einem Act von Ginseppe Giacosa. Zum ersten Mal aufgeführt
nur seine Geliebte, nichts als seine Geliebte; und nun wird es offen¬
am 9. October.)
bar, dass sie auch das nicht war, nicht einmal das. Sie hat nur von
In seinem neuen Stücke lässt uns Schnitzler zwei Wiener Studenten
C
einer Beziehung gelebt und auch diese bildete sie sich nur ein. Und so
von der Art der jungen Leute aus guten Familien sehen. Sie sind,
ist ihr ganzes Leben dahin! Er ist für eine andere gestorben! für eine
was man „recht sympathisch“ nennt; dummer Streiche, die man doch
Frau, die er geliebt hat — ihr Mann hat ihn umgebracht! Und ich
ihren Jahren verzeihen würde, gewiss nicht fähig, von angenehmen und
—
was bin ich denn? Was war denn ich? Was bin denn ich ihm
empfehlenden Manieren, überaus correcte Herren, denen es nicht ein¬
gewesen?" Diese Klage hat einen so innigen und echten Ton, dass
fällt, Glocken abzureißen, Laternen auszudrehen und Passanten anzu¬
man merkt, sie kommt dem Autor vom Herzen; das sehr wienerische
rempeln. Auch hüten sie sich vor verwegenen und anstößigen Gesin¬
Elend, an dem Leben so daneben vorbei zu leben, hat er, das ver¬
nungen, haben den besten Leumund, billigen Ausschreitungen nicht, ver¬
nimmt man, wohl an sich selbst gespürt.
sprechen vortreffliche Unterthanen zu werden, und die Polizei möchte
Das Stück sagt also: „Seid selber etwas! Seid so viel, dass,
nur wünschen, dass alle so wären. Es braust in ihnen nichts und das
wenn man euch auch das Amt, die Liebe, alle Beziehungen nimmt, in
ist doch bei jungen Menschen ein großes Glück. Sie thun nichts, denken
euch selber immer noch genug bleibt! Lebt, statt euch bloß leben zu
nichts, wollen nichts, sondern lassen sich vom Leben treiben, ohne erst
lassen!" Das wird von ihm sehr wahr und gerecht, auch mit einer
viel zu fragen, wohin, wie man in der Menge mit der Burgmusik
freilich mehr feuilletonistischen als dramatischen Anmuth und nicht ohne
geht, vom Takte geschoben, jetzt ein bischen schneller, jetzt langsamer,
einen gewissen Geist gelehrt. Die Führung der Scenen ist oft geschickt,
ohne was zu merken, bis der Marsch plötzlich aus ist und man nun
glückliches Detail ergötzt, hübsche Worte fehlen nicht, es ist eine saubere,
nicht weiß, was man mit den Füßen anfangen soll, und sich verrassen
anständige und brave Arbeit, und so wäre man nicht abgeneigt, von
und müde und so leer fühlt. Sich immer wieder irgend eine Burg¬
Schnitzler zu sagen, was Laube einmal über Bauernfeld schrieb: „Jeden¬
musik, die sie mitnimmt, zu verschaffen, ist ihre einzige Sorge. Sonst
falls ist es für die Theaterdirection ein Glück, wenn in ihrer Stadt
brauchen sie gar nichts. Leidenschaften, Begierden, Triebe sind ihnen
ein producierendes Talent sich entwickelt, welches in gebildeter Weise
fremd. Zuweilen gehen sie in die Vorlesung, wie man eben in die
und außerhalb der alltäglichen Routine die neuen Lebenselemente der
Vorlesung geht, oder sie sitzen im Café, wie man eben im Café sitzt,
Stadt dramatisiert.“ Nur darf man nicht verschweigen, dass er vorder¬
lesen wohl auch Romane, weil man doch diese neueren Sachen kennen
hand noch nicht so weit ist. Er weiß die neuen Elemente unserer Stadt
muss, machen Besuche, weil man doch seine Bekannten besuchen muss,
zu fühlen, auch zu schildern; „dramatisieren“ kann er sie noch nicht.
und handeln nie aus sich, sondern immer nach der Sitte; es drängt
Man dramatisiert Zustände, indem man Menschen in sie bringt, die
sie nie, zu thun, was man nicht thut. Sie sind ganz unpersönlich und
sich ihnen widersetzen; dort, wo sich die Menschen mit den Dingen
könnten ohne Muster gar nicht sein. Sie existieren nur als Exempel
entzweien, fängt das Drama erst an. Aber seine Menschen, die nichts
der Gattung. Sie sind jetzt Studenten, wie sie vor ein paar Jahren
wollen, sitzen unbeweglich in ihren Zuständen drin, wie Chamäleons,
Gymnasiasten waren und wie sie in ein paar Jahren Conceptsprak¬
die immer die Farbe ihrer Umgebung haben; so kann man sie nicht
tikanten und dann Gatten und mit der Zeit hoffentlich Hofräthe und
sehen, sie bleiben grau, traurige, aber nicht tragische Personen, und er
wohl auch Väter sein werden, und sie sind nichts als Gymnasiasten oder
scheint nicht zu wissen, dass der Mensch erst, wenn er sich aus seinem
Studenten oder Hofräthe, und werin man den Gymnasiasten oder den
Boden löst, von den anderen abhebt und seine eigene Farbe annimmt,
Praktikanten oder den Hofrath von ihnen abziehen würde, würde von
dass er im Streite und durch die That erst dramatisch wird. Das hat
ihnen nichts übrig bleiben; es ist kein Wesen da. Sie können sich nicht
er noch zu lernen.
einen Moment von dem, was sie vorstellen, isolieren. Aus sich sind sie
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Wien, Samstag,
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nichts; sie bestehen nur aus Beziehungen. Sie selber lieben nicht, sie
an elende Aufgaben vergendet, die Kraft der Sarah Bernyardt, der
selber hassen nicht, sie selber freuen sich nicht, sie selber leiden nicht, sie
Rejane, der Hading und der Tessandier. Warum spielen sie nicht
selber fühlen nichts, sondern sie nehmen alle Stimmungen an, die
„P’eiléas et Melisande“ eder „Rosmersholm“?
gerade ihren Verhältnissen entspre#k n. Sie haben keine Instincte, deuen
Nun beginnen unsere großen Concerte wieder, die uns die
sie sich anvertrauen könnten; so müssen sie sich, um nur überhaupt
theueren Meister: Bach, Beethoven, Schumann, Mozart und Wagner
handeln zu können, immer erst in Relationen bringen. Da sic sich
hören lassen. Einstweilen hat man uns an der komischen Oper die
selber nicht fühlen, trachten sie, sich als etwas zu fühlen: als der „Student,
„Navarraise“ von Massenet gegeben. Ich weiß noch nicht, wie die
der mit einer Grisette gehr“ oder als der „Liebhaber einer Schau¬
Wiener dieses Wert aufgenommen haben, aber wir alle, die wir hier
spielerin“ oder als der „unwiderstehliche Mann“; aus dem Gefühle
wahre Künstler sind, hoffen auf diese Stadt, wo man die schöne Musik
dieser Typen holen sie erst ihre Impulse. Jemand hat sie Fünfgulden¬
noch liebt: wir hoffen, dass sie mit der Verachtung, die es ver## ent,
lebemänner genannt, weil sie mit einem Taschengeld von fünf Gulden
dieses freche und hohle Werk zurückteisen wird. Massenet ist der
täglich das Ansehen von Viveuren zu bestreiten wissen. Auch Lebebuben
cy. scheste von allen unseren Componisten; es gibt gar keine Formel,
hat man sie genannt, was das Unmännliche ihrer ganzen Art aus¬
die er nicht bestohlen hätte, von Tizet bis Wagner, um seine Stücke
drückt. Schnitzler hat eine besondere Vorliebe, sie darzustellen; sie
für den Export darnach zu fabricieren. Massenet, für den es keine Ent¬
müssen ihm verdächtig nahe gehen: er kommt von ihnen nicht los.
schuldigung gibt, weil er ja sehr intelligent ist und den Unwert seiner
Schon im „Anatol“ hat er nur sie geschildert, dann im „Märchen“
Must selber sehr gut kennt, hat die größten Erfolge beim Publicum und
und nun schildert er sie mit den Mädchen, die zu ihnen gehören,
die größten Einnahmen; das scheint ihm wichtiger zu sein, als die
wieder. Diese Mädchen sind genau wie sie: unpersönlich, ohne Leiden¬
Achtung der Künstler und sein guter Name. Die „Navarraise“ ist
schaft, passiv. Sie begehren nichts, wehren sich nicht, lassen sich alles
eines jener Stücke für den Export, wie ich oben sagte, lärmender
gefallen. Sie sagen nicht Ja und sagen nicht Nein und warten ge¬
Stücke mit überstürzten Situationen, ohne Psychologie, ohne musika¬
duldig ab, was ihnen bestimmt ist; dagegen kann man ja doch nichts
lische Tiefe, die Herr Massenet speciell für die Provinz und das Aus¬
machen. Spricht sie wer an, so antworten sie gern; will er mehr, so
land macht. Fräulein Calvé spielte sie mit Erfolg in London und an
geben sie nach; verläfst er sie, so klagen sie auch nicht. Wer weiß,
der Monnale rettete sie nur Georgette Leblanc, deren beinahe un¬
wozu es gut ist! Manche hat so schon ihr Glück gemacht, andere gehen
wahrscheinliche Schönheit und tragische Kraft die Brüsseler bezaubern
freilich zu Grunde; es triffts halt nicht jede gleich. Man muss sich be¬
und die in ein paar Jahren die einzige Sängerin sein wird, die
scheiden, wie 's eben kommt. Keine denkt je daran, etwas für sich vom
Wagner noch schöner gibt, als die Materna. Hier wurde sie von
Leben anzusprechen, das ihr allein und nur ihr und nicht der ganzen
Fräulein Calvé gut gespielt, die keine Größe hat, aber eine recht gute
Kategorie zukommen würde. Diese Mizzis und Christins fühlen sich nie
Schauspielerin ist; ich kann nicht sagen: auch gut gesungen, denn es
als die Mizzi oder die Christin, sondern nur so im ganzen als arme
gibt kaum drei Minuten Gesang in dieser hastigen, von Schreien und
Mädchen, gerade wie jene jungen Leute, Herr Fritz Lobheimer und Herr
künstlichem Gelächter zerrissenen Rolle. Die Presse sprach über das
Theoder Kaiser, sich nie als der Fritz oder der Theodor, sondern
Stück, wie man es erwarten musste: Lob in jenen Zeitungen, die sich
immer nur als Studenten, Praktikanten oder Lebemänner fühlen. Und
nur immer an die Stimme der großen Menge halten und natürlich
so fragen sie nicht, was kommen wird, geben sich der süßen Stunde
auch das Mitglied der Akademie respectieren; einige schüchterne Be¬
innig hin und werden jene lieben, so bequemen, niemals raunzenden
merkungen von ein paar unbefangenen Leuten und die laute Verachtung
Geschöpfe, die, wie der Theodor sagt, „zum Erholen da sind“, immer
aller wahren Musiker, die es Massenet niemals verzeihen, dass er, der
lachen, auch wenn man gar keinen Witz macht, und nie sich kränken,
doch einst Talent und Geschmack hatte, aus Liebe zur Reclame und
zu denen man „du Patsch“ sagen darf und mit denen man nicht von
zum Gelde sich so weit vergessen konnte.
der „Ewigkeit“ sprechen muss.
So beginnt die neue Saison nicht eben glänzend. Ich hätte
Ihnen gerne besseres gemeldet. Doch hört man ja allerhand schöne
Unter das leichtsinnige Personal dieses recht österreichischen
Versprechungen und vielleicht darf ich das nächstemal von einigen edlen
Kreises lässt Schnitzler plötzlich das ernste Schicksal treten und da
Namen und einigen edlen Werken erzählen. Neues von Henri de
zeigt es sich denn, dass ihre beinahe türkische Ergebenheit und Demuth
Régnier und Maurice Maeterlinck, Bilder von Dégas, Musik von
ihnen gar nichts nützt und, wenn sich die Menschen auch noch so klein
Claude Debussy, Gustave Charpentier und Vincent d'Indy sind ange¬
und bescheiden machen, das Leben doch groß und furchtbar bleibt. Der
kündigt; so werde ich Sie wohl bald über Massenet trösten können.3
Fritz, der daneben auch mit einer Frau eine „Bandelei“ hat, wird von
Camille Manclair.
Paris.
dem Gatten im Duell erschossen und nun thut sich die ganze Verlogen¬
heit dieser so gemüthlichen Existenzen auf: die Liebelei endet, als ob
sie eine Leidenschaft wäre, und das Mädchen, die Christin, muss
Burgtheater.
erfahren, wie wenig sie ihm gewesen; indem er an einer Lüge stirbt,
wird sie inne, dass sie von einer Lüge gelebt hat. Sie war doch gar
(Liebelei, Schauspiel in drei Acten von Arthur Schnitzler. Rechte der Seele,
nichts für sich, sondern nur für ihn da: selber gar kein Wesen, sondern
Schauspiel in einem Act von Ginseppe Giacosa. Zum ersten Mal aufgeführt
nur seine Geliebte, nichts als seine Geliebte; und nun wird es offen¬
am 9. October.)
bar, dass sie auch das nicht war, nicht einmal das. Sie hat nur von
In seinem neuen Stücke lässt uns Schnitzler zwei Wiener Studenten
C
einer Beziehung gelebt und auch diese bildete sie sich nur ein. Und so
von der Art der jungen Leute aus guten Familien sehen. Sie sind,
ist ihr ganzes Leben dahin! Er ist für eine andere gestorben! für eine
was man „recht sympathisch“ nennt; dummer Streiche, die man doch
Frau, die er geliebt hat — ihr Mann hat ihn umgebracht! Und ich
ihren Jahren verzeihen würde, gewiss nicht fähig, von angenehmen und
—
was bin ich denn? Was war denn ich? Was bin denn ich ihm
empfehlenden Manieren, überaus correcte Herren, denen es nicht ein¬
gewesen?" Diese Klage hat einen so innigen und echten Ton, dass
fällt, Glocken abzureißen, Laternen auszudrehen und Passanten anzu¬
man merkt, sie kommt dem Autor vom Herzen; das sehr wienerische
rempeln. Auch hüten sie sich vor verwegenen und anstößigen Gesin¬
Elend, an dem Leben so daneben vorbei zu leben, hat er, das ver¬
nungen, haben den besten Leumund, billigen Ausschreitungen nicht, ver¬
nimmt man, wohl an sich selbst gespürt.
sprechen vortreffliche Unterthanen zu werden, und die Polizei möchte
Das Stück sagt also: „Seid selber etwas! Seid so viel, dass,
nur wünschen, dass alle so wären. Es braust in ihnen nichts und das
wenn man euch auch das Amt, die Liebe, alle Beziehungen nimmt, in
ist doch bei jungen Menschen ein großes Glück. Sie thun nichts, denken
euch selber immer noch genug bleibt! Lebt, statt euch bloß leben zu
nichts, wollen nichts, sondern lassen sich vom Leben treiben, ohne erst
lassen!" Das wird von ihm sehr wahr und gerecht, auch mit einer
viel zu fragen, wohin, wie man in der Menge mit der Burgmusik
freilich mehr feuilletonistischen als dramatischen Anmuth und nicht ohne
geht, vom Takte geschoben, jetzt ein bischen schneller, jetzt langsamer,
einen gewissen Geist gelehrt. Die Führung der Scenen ist oft geschickt,
ohne was zu merken, bis der Marsch plötzlich aus ist und man nun
glückliches Detail ergötzt, hübsche Worte fehlen nicht, es ist eine saubere,
nicht weiß, was man mit den Füßen anfangen soll, und sich verrassen
anständige und brave Arbeit, und so wäre man nicht abgeneigt, von
und müde und so leer fühlt. Sich immer wieder irgend eine Burg¬
Schnitzler zu sagen, was Laube einmal über Bauernfeld schrieb: „Jeden¬
musik, die sie mitnimmt, zu verschaffen, ist ihre einzige Sorge. Sonst
falls ist es für die Theaterdirection ein Glück, wenn in ihrer Stadt
brauchen sie gar nichts. Leidenschaften, Begierden, Triebe sind ihnen
ein producierendes Talent sich entwickelt, welches in gebildeter Weise
fremd. Zuweilen gehen sie in die Vorlesung, wie man eben in die
und außerhalb der alltäglichen Routine die neuen Lebenselemente der
Vorlesung geht, oder sie sitzen im Café, wie man eben im Café sitzt,
Stadt dramatisiert.“ Nur darf man nicht verschweigen, dass er vorder¬
lesen wohl auch Romane, weil man doch diese neueren Sachen kennen
hand noch nicht so weit ist. Er weiß die neuen Elemente unserer Stadt
muss, machen Besuche, weil man doch seine Bekannten besuchen muss,
zu fühlen, auch zu schildern; „dramatisieren“ kann er sie noch nicht.
und handeln nie aus sich, sondern immer nach der Sitte; es drängt
Man dramatisiert Zustände, indem man Menschen in sie bringt, die
sie nie, zu thun, was man nicht thut. Sie sind ganz unpersönlich und
sich ihnen widersetzen; dort, wo sich die Menschen mit den Dingen
könnten ohne Muster gar nicht sein. Sie existieren nur als Exempel
entzweien, fängt das Drama erst an. Aber seine Menschen, die nichts
der Gattung. Sie sind jetzt Studenten, wie sie vor ein paar Jahren
wollen, sitzen unbeweglich in ihren Zuständen drin, wie Chamäleons,
Gymnasiasten waren und wie sie in ein paar Jahren Conceptsprak¬
die immer die Farbe ihrer Umgebung haben; so kann man sie nicht
tikanten und dann Gatten und mit der Zeit hoffentlich Hofräthe und
sehen, sie bleiben grau, traurige, aber nicht tragische Personen, und er
wohl auch Väter sein werden, und sie sind nichts als Gymnasiasten oder
scheint nicht zu wissen, dass der Mensch erst, wenn er sich aus seinem
Studenten oder Hofräthe, und werin man den Gymnasiasten oder den
Boden löst, von den anderen abhebt und seine eigene Farbe annimmt,
Praktikanten oder den Hofrath von ihnen abziehen würde, würde von
dass er im Streite und durch die That erst dramatisch wird. Das hat
ihnen nichts übrig bleiben; es ist kein Wesen da. Sie können sich nicht
er noch zu lernen.
einen Moment von dem, was sie vorstellen, isolieren. Aus sich sind sie