II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 42

Liebele
3.— box 10/1
Nr. 54
12 Ocrober 1895.
Die Zeit
Wien, Samstag,
Seite 28
übung des wichtigsten constitutionellen Rechtes, verübte man am Volke, den
Das Schauspiel war schlecht insceniert; das wienerische Wort
friedlichsten, treuen Landesbewohneri nicht nur die früheren Missbräuche,
ist hier am Platze: schlampert. Die Schauspieler standen immer im
Pressionen, Drehungen und allerlei Demoralisation,
Rudel um den Souffleur, ohne je zu einer natürlichen Gruppe,
sondern begieng auch neue, Recht und Freiheit ins Antlitz schlagende Unge¬
einem ruhigen Bilde zu komm. Die angenehme Laune des eisten
rechtigkeiten, öffentliche Vergewaltigungen. Man fälschte den Willen
Actes wurde durch eine sereierte und ungemüthliche Lustigkeit mit
## Volkes und drängte ihm zu Vertretern Leute auf, die es absolut nicht
will und die es mehr für seine Feinde als Förderer ansieht. Und dabei
Gepolter und Tapage gestört. Dem lieben Stübchen der Christin im
brüstet man sich vor dem kaiserlichen Throne, sowie vor den Völkern Oester¬
zweiten, das hier eher einer Manége glich, fehlte jede Stimmung; ein
reichs und Europas mit dem Vertrauen des ruthenischen Volkes für seine
„Kanari“, eine Nähmaschine. ein Spinett hätten dazu genügt und wenn
Unterdrücker! Die Ueberhebung unserer Gegner, die im Lande das Heft in
man schon selber keinen Gedanken hatte, brauchte man doch nur das
der Hand haben und auch im Staate eine allmächtige Partei bilden, wächst
fünfte Bild vom „Nazi“ wo dieselbe Situation sehr lieblic, dargestellt
unaufhörlich. Dulden wir kein Unrecht weiter!“ ...
wird, nach dem Wiedener Theater zu copieren. Eine stille Lampe schien
heller, als je die Sonne scheint, und wie dann der Mond kommen
Wohl um den Eindruck der Ledeburschikosen Worte gegen die Specu¬
soll, wurden die Liebenden in einem lerlich grasgrünen Lichte komiss).
lation zu verwischen, ließ jemand — wer? ist in solchen Fällen nie zu er¬
Alle Stellungen, Bewegungen, Beleuchtungen waren falsch. Durch duese
mitteln — den vielverheißenden ballon d’essai bezüglich der Vereins¬
saloppe Regie wurden auch die unbeschreibliche Größe, Gewalt und
commission und mit ihm jenen Theil der Presse steigen, der, eben
Pracht der Sandrock und die köstlichen Gestalten der Herren Zeska
noch über die Rede des einen Grasen zu Tode betrübt, über die „befreiende
That“ des anderen Grafen himmelhoch jauchzte.
und Kutschera beschädigt.
Vor der „Liebelei“ wurde, fein und intim insceniert, ein Act
Die Beseitigung der Vereinscommission, dieses altbewährten nur etwas
von Giuseppe Giacosa gespielt, „Rechte der Seele“, deutsch von Otto
eingerosteten Sperrschiffes gegen Gründungs=Hochwasser
Eisenschitz, der letzte Act einer Tragödie zwischen Gatten, dem nur leider
und die Übertragung ihrer Functionen in die bekannte „freie Hand“ ließe
die nothwendigen Voraussetzungen und Vorbereitungen fehlen: so stört
vermuthen, dass man maßgebenden Orts endlich entschlossen sei, vom ver¬
allerhand Exposition, die bereits erledigt sein müsste, da hier keine Zeit
hängnisvollen divide et impera! zum vielverheißenden dividende et im¬
mehr ist, auch hat der Hörer Mühe, so geschwind von selber in die
peral überzugehen.
Stimmung zu kommen, die von ihm verlangt wird, und daher mag
Woher mag es wohl kommen, dass die in polltischen Dingen als so
an dem Stoffe manches gekünstelt und erklügelt scheinen, das doch sehr
hartgesottene Pessimisten verrufenen Wiener soeben zum drittenmal innerhalb
wahr und lebendig ist. Herr Hartmann spielte eine heikle Rolle mit
zweier Jahre vom politischen Gründungsfieber ergriffen wer¬
Verstand, Geschmack und einer behatsam lenkenden Routine. Frau
den? Weil wir schon längst keine publicistische Vereinscommission mehr
Hohenfels gefiel den Leuten sehr, mir gar nicht: ganz subtile, ver¬
haben, die sich mit der sachlichen Prüfung neuer Regierungsprospecte
befasste.
schämte und geheime Sachen schrie sie mit Gewalt ins Parterre;
aber da es wirkte, hatte sie ja recht.
Die Aufmerksamkeit unserer bürgerlichen Presse wird von der Se¬
Hermann Bahr.
miten= und Antisemitenfrage derart absorbiert und die Unab¬
hängigkeit ihres Urtheils ist hievon in dem Maße beeinträchtigt, dass ein
halbes Wort, eine unverbürgte Aeußerung aus dem Munde des gerade im
Die Woche.
Vordergrunde stehenden politischen Gründers genügt, um bei den einen oder
den anderen den wildesten Taumel zu entfesseln. Die Ernüchterung pflegt
Politische Notizen.
der officiellen Lesart des betreffenden „zündenden Wortes“ auf dem Fuße
zu folgen, doch die Phrenesie kehrt bei nächster Gelegenheit wieder.
Auf das Regime der „Wahrheit und Offenheit“ folgt jetzt das des
Wer den Gründergewinn einstreichen wird, ist nicht zweifelhaft: der dritte.
„reinen Gewissens“. Herradura que chacoloten clavo le faita
In die unausbleiblichen Verluste dürften sich die Streitenden so ziemlich
(dem klappernden Hufeisen fehlt ein Nagel) lautet ein spanisches Sprichwort.
gleichmäßig theilen.
Kiebitzeier werden seit einigen Tagen staatlich geschützt, den poli¬
Volkswirtschaftliches.
#tischen G’wissenswurm sucht dagegen der Staatsanwalt mittelst
Der Verwaltungsrath der Oesterreichischen Nordwest¬
Confiscationen um so eifriger auszurotten. Will das etwa darauf hinaus, dass
bahn hat soeben den bekannten Regierungserlafs, der ihn von der bevor¬
es in der österreichischen Politik in Zukunft nur mehr Kiebitze geben soll,
stehenden Einlösung verständigt und aufgefordert hat, etwaige Wünsche auf
für die das bekannte Grundgesetz gilt: Kiebitze haben das Maul zu halten!:
kürzestem Wege bekanntzugeben, dahin beantwortet, dass er sich in voll¬
*
ständiger Unkenntnis der Modalitäten befinde, welche für die Durchführung
Dem politischen G’wissenswurm braucht deshalb nicht bange
der geplanten Einlösung in Aussicht genommen würden und ihm daher jeder
werden. Es wird sich schon ein gesicherter Unterschlupf für ihn finden, bis zu dem
Anhaltspunkt fehle, um beurtheilen zu können, ob und eventuell welche
die Hand des Wurmtödters nicht reicht. Am 22. October tritt das Parlament
Wünsche die Gesellschaft geltend zu machen Anlass habe. Man muss sich
zusammen und im äußersten Falle läfst sich ja das „Politische Bei¬
wundern, dass die Verwaltung einen Monat gebraucht hat, um zu dem
blatt“ wieder einführen, bei dem der aufs Nachsehen wahrlich nicht ein¬
Schlusse zu gelangen, dass sie nichts zu sagen wisse, und man muss
geschulte Staatsanwalt doch nur das leexe Nachsehen hat.
zur Vermuthung kommen, dass man vor der Beantwortung des Regierungs¬
erlasses vor allem den Ministerwechsel abwarten wollte. Wenn sich der
Das für unmöglich Gehaltene ist vom Wiener Pressgericht
Verwaltungsrath übrigens die Mühe gegeben hätte, über den Regierungs¬
dennoch möglich gemacht worden. Es hat die vom Staatsanwalt verfügte
hätte er wohl auch seine Unkenntnis
erlass ein wenig nachzudenken, so
Beschlagnahme der Nummer 53 der „Zeit“ bestätigt. Dr. Iwan Frankos
der geplanten Einlösungsmodalitäten beheben können. Die Einlösung soll
Darstellung der galizischen Wahlvorgänge soll nach der richterlichen Sentenz
eine concessionsmäßige sein, und da ist kein Raum mehr für ein
auf „unwahren Angaben und Entstellung von Thatsachen“ beruhen. Der
Kaufangebot seitens des Staates, dem die Gesellschaft eventuell ein Gegen¬
confiscierte Artikel ist am 5. October erschienen und schon am 8. October
offert machen könnte; gerade bei der Nordwestbahn liegen die con#cessions¬
hatte sich das Wiener Landesgericht darüber Gewissheit verschafft, dass die
mäßigen Einlösungsbedingungen so klar, wie bei kaum einer anderen Ge¬
im Artikel „cum nomine et cognomine“ vorgebrachten galizischen That¬
sellschaft, und die Verwaltung ist in der Lage, die Einlösungsrente, welche
sachen aus der Luft gegriffen seien. *
ihr der Staat zu gewähren hat, ebenso genau zu berechnen, wie die Re¬
gierungsorgane. Die Verwaltung scheint aber noch immer die Hoffnung zu
Der bewundernswerten Geschwindigkeit des Gerichtes ist nur noch
hegen, dass es sich um Einlösungen à la Wurmbrand handle. Ob wohl die
die Promptheit an die Seite zu stellen, mit welcher der Staatsanwalt die
neue Regierung sie diesbezüglich bald eines Besseren belehren wird? Wenn
ihm durch den Justizministerialerlass vom 17. Juni d. J. eingeschärfte
noch derselbe Geist in unserem Handelsministerium herrschend ist, der sich in
Pflicht, mit der Confiscation zugleich auch die subjective Verfolgung
der letzten Zeit dort geltend gemacht hat, dann kann man sich die Beant¬
einzuleiten, nicht erfüllt hat. Die objectivierten Missethäter sind nun von dem
wortung der Note der Nordwestbahn ungefähr folgendermaßen vorstellen:
im ordentlichen Gerichtsverfahren ihnen sich darbietenden Wege eines mühelosen
Die Regierung wird die gesellschaftlichen Linien ab 1. Jänner 1896 ablösen und
Wahrheitsbeweises zurückgedrängt in die Sackgasse des Einspruches.
den Betrieb für eigene Rechnung übernehmen. Auf Grund der concessions¬
mäßigen Bestimmungen resultirt nach den Berechnungen der Regierungs¬
, vorbehalten eine eventuelle
Fast zur selben Stunde als sein Artikel in Wien, wurde die Person
organe eine Ablösungsrente von fl.
des Dr. Franko in Dobromil bei Lemberg in Beschlag genommen.
Richtigstellung nach Vorlegung der Schlufsrechnungen per 1895. Dies dürfte
Diese Beschlagnahme wurde jedoch alsbald wieder aufgehoben. Die Rechts¬
die Grundlage des Ablösungserlasses bilden, insoweit es sich um die finan¬
sicherheit in Galizien scheint somit doch noch die in Wien herrschende zu
zielle Frage handelt, welche der Verwaltung wohl am meisten am Herzen
übertreffen.
liegt. Diese wird dann wahrscheinlich den Wunsch nach gleichzeitiger Ein¬
lösung der Elbethalbahn aussprechen und darüber sowie über mehrere
Dem Staatsanwalt ist übrigens bei der jüngsten Confiscation ein
dlungen eraeben. Aber ob
an