iebelei
5. „ box 10/1
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Theater, Kanst und Iletalu.
Das Wiener Drama.
(Zur Première von Arthur Schnitzler's „Liebelei“ und
J. J. David's „Ein Regentag“.)
Wir wollen dem dramatischen Dichter Arthur
Schnitzler nicht wehe thun, wenn wir seiner Muse
gleichzeitig mit der seines Concurrenten J. J. David
Erwähnung thun und somit gleich Eingangs erwähnen, daß
diese Nebeneinanderstellung auf rein zeitlichen Momenten
beruht. Das Wiener Drama hat eben in der letzten Woche
durch zwei seiner bedeutendsten Verfechter von sich reden ge¬
macht, indem ja sowohl Schnitzler als David besonderen
Werth darauf legen, ihre Stücke als specifisch wienerische be¬
urtheilt zu sehen. Letzterer ging darin so weit, die beiden
Baronessen Herterich in der gewissen „süßen, weichen, melo¬
dienreichen, aber harben Weanersprach'“ reden zu lassen, was
wohl den einzigen, immerhin anfechtbaren Fortschritt in
seiner neuesten Dichtung bedeutet.
Schnitzler hat sich in seiner „Liebelei“ das Problem ge¬
stellt, das Thun oder eigentlich Nichtsthun unserer Wiener
Lebejünglinge, ihre eigenthümliche Auffassung von Leben und
Lieben wiederzugeben, was ihm auch, Dank der reichen Er¬
fahrungen, die er und sein Freundeskreis auf diesem Gebiete
gesammelt, mit einer stellenweise frappirend feinen Beob¬
achtungsgabe und fast photographischer Treue gelungen ist.
Das Problem David's läßt sich nicht so leicht heraus¬
finden, seine „Charakterstudie in 3 Acten“ läßt uns ja dar¬
über im Unklaren, welche Wendung die Dinge genommen
hätten, wenn es zufälliger Weise nicht geregnet hätte, so daß
das eigentlich dramatische Motiv unleugbar ein sehr wässe¬
riges ist. So sehr die beiden Stücke in Wirkung und Er¬
folg auch auseinandergehen, haben sie doch zwei gemeinsame
Negative. Beide sind dramatisirte Novellen, aber keine
Dramen, in keinem von beiden erreichen die Verfasser ihre
oben angedeutete Absicht. Andere Namen, ein anderer Dia¬
lect und der internationale Charakter ist wieder hergestellt.
Weder die innere, noch die äußere Entwicklung der Handlung
sowohl, als der handelnden Personen ist eine solche, die nur
dem Wiener Boden ihr Entstehen verdanken könnte. Die
Heldin des „Regentages“ ist einfach eine liebenswürdig lo¬
calisirte demi overge, wie sie uns Marcell Prevost in so
reicher Auswahl vorgeführt, und auch Christine Weiring, die
es mit der „Liebelei“ ihres Fritz so bitter ernst nimmt,
dürfte in einer anderen Kosmopolis ähnliche Schicksale er¬
fahren. Allein auch hierin müssen wir die Kunst Schnitzler's
weit über die David's stellen, denn die Möglichkeit
wenigstens, daß es sich um ein Wiener Drama handelt, den
Schein dieses specifischen Wesens hat der Erstere weit mehr
gewahrt. Seine Menschen muthen uns besonders in ihren
Schwächen heimatlich an, wir fühlen mit ihm, daß
Details der Handlung zumindest nur hier entstehen konnten,
daß seinen Personen etwas von Wiener Persönlichkeit an¬
haftet.
Fritz Lobheimer ist ein Wiener Graf von Gleichen.
Sein Herz ist der Sitz intermittirender Gefühle für die
Dame im schwarzen Sammtkleid und einer kleinen Vorstadt¬
grisette. Im Augenblicke, wo seine Neigung für Letztere die
Oberhand gewinnt, tritt das Verhängniß in Gestalt des
GuCWar
## 9
EXTRAPOST.
(Burgtheater.) In „Rechte der Seele“ dem einactigen
Schauspiele, welches gleichzeitig mit der „Liebelei“ in Scene
ging hat [Giacosa eine seiner psychologischen Studien
über intime Ehe durchgeführt. Man kennt sein Rüstzeug und
weiß, wie er es zu brauchen versteht. Das dreieckige Ver¬
hältniß hat diesmal, Dank der Tugend der Hausfrau, seinen
platonischen Charakter bewährt, welches Moment den Dritten
in den Tod treibt. Allein er lebt fort in jenen Briefen, die
der Zufall — ohne denselben gäbe es ja überhaupt keine
dramatische Muse mehr — dem Gatten in die Hände führt,
der nicht Genüge findet an der Treue seines Weibes, sondern
auch die Gründe derselben kennen will. Mit einer Angriffs¬
taktik, die dem gewiegtesten Untersuchungsrichter Ehre machen
würde, bringt er die Frau endlich zum Geständnisse. Es
lautet: „Ich habe Ludwig geliebt und liebe ihn noch. Ich
habe Keinen geliebt als ihn, und ich empfinde nun Reue
über meine Tugend“. Im Uebrigen wird nun Anna ihrer¬
seits zur Anklägerin Paul's, dessen Nerven so grabfaserig,
daß er von ihrem jahrelangen Kampfe nichts gemerkt, sie nicht
gestützt und nicht gerettet habe. Sie verläßt sein Haus für
mmer und Paul also ist es, der die Kosten zahlt in diesem
spitzfindigen Processe um die „Rechte der Seele". Ueber die
Besetzung der Rollen in beiden Stücken ließe sich Manches
sagen. Ein Tausch wäre nach mehr als einer Richtung hin
im Interesse der Sache gewesen. Der Paul des Herrn
Hartmann, dessen Tragik immer mehr in seinen über¬
beweglichen Händen Ausdruck findet, weckte lebhafte Sehnsucht
nach Herrn Mitterwurzer, dem man einen derartig
zerfahrenen, weichlichen Charakter eher glaubt. Frau Hohen¬
fels überraschte ilgemein durch die schwungvolle, hin¬
reißende Gewalt, mit der sie ihre Anklage erfolgreich durch¬
führte, und doch konnte sie das Bild der Sandrock nicht
ganz verdrängen. In der „Liebelei“ ist eigentlich nur Fräu¬
lein Kallina bedingungslos zu loben, der die lebensfrohe
„Schlager=Mizi“in allen Details vollkommen gelang. Fräu¬
lein Sandrock fand sich erst in den tragischen Scenen des
dritten Actes im rechten Fahrwasser, für die beiden ersten
Acte reicht ihre Liebenswürdigkeit nicht aus. Herrn Kut¬
schera verdroß es offenbar, daß er die Rolle des Herrn
v. Zeska nicht spielen durfte. Selbst Herr Sonnenthal
fand für die fortschrittliche Gesinnung seines jede Sitten¬
strenge verpönenden Vaters nicht den glaubwürdigen, über¬
zeugenden Ton, welchen Herr Baumeister dieser so
vielfach merkwürdigen Gestalt hätte verleihen können. b—d.
(Theater in der Josefstadt.) Wir haben es in der
fabriksmäßigen Erzeugung von Schlüpfrigkeiten und Zoten
glücklich so weit gebracht, daß wir auf französischen Import
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Theater, Kanst und Iletalu.
Das Wiener Drama.
(Zur Première von Arthur Schnitzler's „Liebelei“ und
J. J. David's „Ein Regentag“.)
Wir wollen dem dramatischen Dichter Arthur
Schnitzler nicht wehe thun, wenn wir seiner Muse
gleichzeitig mit der seines Concurrenten J. J. David
Erwähnung thun und somit gleich Eingangs erwähnen, daß
diese Nebeneinanderstellung auf rein zeitlichen Momenten
beruht. Das Wiener Drama hat eben in der letzten Woche
durch zwei seiner bedeutendsten Verfechter von sich reden ge¬
macht, indem ja sowohl Schnitzler als David besonderen
Werth darauf legen, ihre Stücke als specifisch wienerische be¬
urtheilt zu sehen. Letzterer ging darin so weit, die beiden
Baronessen Herterich in der gewissen „süßen, weichen, melo¬
dienreichen, aber harben Weanersprach'“ reden zu lassen, was
wohl den einzigen, immerhin anfechtbaren Fortschritt in
seiner neuesten Dichtung bedeutet.
Schnitzler hat sich in seiner „Liebelei“ das Problem ge¬
stellt, das Thun oder eigentlich Nichtsthun unserer Wiener
Lebejünglinge, ihre eigenthümliche Auffassung von Leben und
Lieben wiederzugeben, was ihm auch, Dank der reichen Er¬
fahrungen, die er und sein Freundeskreis auf diesem Gebiete
gesammelt, mit einer stellenweise frappirend feinen Beob¬
achtungsgabe und fast photographischer Treue gelungen ist.
Das Problem David's läßt sich nicht so leicht heraus¬
finden, seine „Charakterstudie in 3 Acten“ läßt uns ja dar¬
über im Unklaren, welche Wendung die Dinge genommen
hätten, wenn es zufälliger Weise nicht geregnet hätte, so daß
das eigentlich dramatische Motiv unleugbar ein sehr wässe¬
riges ist. So sehr die beiden Stücke in Wirkung und Er¬
folg auch auseinandergehen, haben sie doch zwei gemeinsame
Negative. Beide sind dramatisirte Novellen, aber keine
Dramen, in keinem von beiden erreichen die Verfasser ihre
oben angedeutete Absicht. Andere Namen, ein anderer Dia¬
lect und der internationale Charakter ist wieder hergestellt.
Weder die innere, noch die äußere Entwicklung der Handlung
sowohl, als der handelnden Personen ist eine solche, die nur
dem Wiener Boden ihr Entstehen verdanken könnte. Die
Heldin des „Regentages“ ist einfach eine liebenswürdig lo¬
calisirte demi overge, wie sie uns Marcell Prevost in so
reicher Auswahl vorgeführt, und auch Christine Weiring, die
es mit der „Liebelei“ ihres Fritz so bitter ernst nimmt,
dürfte in einer anderen Kosmopolis ähnliche Schicksale er¬
fahren. Allein auch hierin müssen wir die Kunst Schnitzler's
weit über die David's stellen, denn die Möglichkeit
wenigstens, daß es sich um ein Wiener Drama handelt, den
Schein dieses specifischen Wesens hat der Erstere weit mehr
gewahrt. Seine Menschen muthen uns besonders in ihren
Schwächen heimatlich an, wir fühlen mit ihm, daß
Details der Handlung zumindest nur hier entstehen konnten,
daß seinen Personen etwas von Wiener Persönlichkeit an¬
haftet.
Fritz Lobheimer ist ein Wiener Graf von Gleichen.
Sein Herz ist der Sitz intermittirender Gefühle für die
Dame im schwarzen Sammtkleid und einer kleinen Vorstadt¬
grisette. Im Augenblicke, wo seine Neigung für Letztere die
Oberhand gewinnt, tritt das Verhängniß in Gestalt des
GuCWar
## 9
EXTRAPOST.
(Burgtheater.) In „Rechte der Seele“ dem einactigen
Schauspiele, welches gleichzeitig mit der „Liebelei“ in Scene
ging hat [Giacosa eine seiner psychologischen Studien
über intime Ehe durchgeführt. Man kennt sein Rüstzeug und
weiß, wie er es zu brauchen versteht. Das dreieckige Ver¬
hältniß hat diesmal, Dank der Tugend der Hausfrau, seinen
platonischen Charakter bewährt, welches Moment den Dritten
in den Tod treibt. Allein er lebt fort in jenen Briefen, die
der Zufall — ohne denselben gäbe es ja überhaupt keine
dramatische Muse mehr — dem Gatten in die Hände führt,
der nicht Genüge findet an der Treue seines Weibes, sondern
auch die Gründe derselben kennen will. Mit einer Angriffs¬
taktik, die dem gewiegtesten Untersuchungsrichter Ehre machen
würde, bringt er die Frau endlich zum Geständnisse. Es
lautet: „Ich habe Ludwig geliebt und liebe ihn noch. Ich
habe Keinen geliebt als ihn, und ich empfinde nun Reue
über meine Tugend“. Im Uebrigen wird nun Anna ihrer¬
seits zur Anklägerin Paul's, dessen Nerven so grabfaserig,
daß er von ihrem jahrelangen Kampfe nichts gemerkt, sie nicht
gestützt und nicht gerettet habe. Sie verläßt sein Haus für
mmer und Paul also ist es, der die Kosten zahlt in diesem
spitzfindigen Processe um die „Rechte der Seele". Ueber die
Besetzung der Rollen in beiden Stücken ließe sich Manches
sagen. Ein Tausch wäre nach mehr als einer Richtung hin
im Interesse der Sache gewesen. Der Paul des Herrn
Hartmann, dessen Tragik immer mehr in seinen über¬
beweglichen Händen Ausdruck findet, weckte lebhafte Sehnsucht
nach Herrn Mitterwurzer, dem man einen derartig
zerfahrenen, weichlichen Charakter eher glaubt. Frau Hohen¬
fels überraschte ilgemein durch die schwungvolle, hin¬
reißende Gewalt, mit der sie ihre Anklage erfolgreich durch¬
führte, und doch konnte sie das Bild der Sandrock nicht
ganz verdrängen. In der „Liebelei“ ist eigentlich nur Fräu¬
lein Kallina bedingungslos zu loben, der die lebensfrohe
„Schlager=Mizi“in allen Details vollkommen gelang. Fräu¬
lein Sandrock fand sich erst in den tragischen Scenen des
dritten Actes im rechten Fahrwasser, für die beiden ersten
Acte reicht ihre Liebenswürdigkeit nicht aus. Herrn Kut¬
schera verdroß es offenbar, daß er die Rolle des Herrn
v. Zeska nicht spielen durfte. Selbst Herr Sonnenthal
fand für die fortschrittliche Gesinnung seines jede Sitten¬
strenge verpönenden Vaters nicht den glaubwürdigen, über¬
zeugenden Ton, welchen Herr Baumeister dieser so
vielfach merkwürdigen Gestalt hätte verleihen können. b—d.
(Theater in der Josefstadt.) Wir haben es in der
fabriksmäßigen Erzeugung von Schlüpfrigkeiten und Zoten
glücklich so weit gebracht, daß wir auf französischen Import