II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 78

5. Liebelei
aebeler box 10/1
20. Oktober 1895.
Wiener Tagblatt,
Nr. 288
Wien, Sonntag
Für Neubauten: Im VIII. Bezirk: Für eine Synagoge, aber trat in der Rolle der Rächerin ihrer Schwester und! mich zu Allem bereit, um gut zu machen, was sich
Lammgasse 4, vom Tempelbauvereine im VIII. Bezirke
der jungfräulichen Ehre derselben auf und sie suchte auf die unmögliche Gegenliebe und bleibende Verbit
durch Jakob Modern, IX. Bezirk, Mariannengasse 12.
in solchen Fällen gutmachen läßt — es war Alles un
sich ihre Rachehelfer in den — Zeitungsredaktionen.
Im XVII. Bezirk: Hernals, Wattgasse von Florian
Sie blieb mit unbeugsamem Herzenseigensinn
Dorthin ging sie, in wildesten Schmerzensausbrüchen
Dracka, XVII. Bezirk, Wichtelgasse 57, Bauführer Franz
sich an mich hängen zu wollen, und da habe ich mi
mit den heftigsten Anklagen gegen den „Verführer“ des
Haslinger. — Gesuche um Bekanntgabe der
einer bösen Wallung der Ungeduld Linreißen lasse
Baulinie wurden überreicht: Für eine Bauparzelle,
„unschuldigen, unerfahrenen Mädchens“ um Hilfe und
Hernals, von Max, Emanuel und Diesel Frommer.
scharf anzufahren und ihr zu bedeuten, daß ich Ru
Beistand flehen, damit der Todten doch vor der öffent¬
(Realitätenverkehr.) Nachstehende Häuser wurden
ihr haben wolle. Das war allerdings nicht rech
lichen Meinung Genugthnung werde gegen den „gewissen¬
an neue Besitzer übertragen und deren Einverleibung
mir — aber, mein Gott, ich bin kein phlegmatischer?
losen Menschen“, der sich nicht einmal um das Leichen¬
grundbücherlich durchgeführt, und zwar: Im ersten Bezirk
und kann nicht jeden Augenblick für das Aufb
begängniß der Armen gekümmert habe, obwohl ihm das
(Innere Stabt) das Haus Renngasse Nr. 14 an den
meines Blutes stehen. Es war ein Unglück, das
Ersten allgemeinen Beamtenverein von Josef Ficky; die
Partezettel zugesendet worden sei, und der, zur mindesten
Hälfte der Häuser Schulerstraße Nr. 12 und Färbergasse
ein, und ich hab's gefühlt, wie wenn mich ein Schl
Strafe, der Oeffentlichkeit in seiner wahren, wenig
Nr. 10 an Elise Grandi, Dr. Camillo, Karl und Marie
troffen hätte. Sie ist ohne ein Wort von mir
empfehlenswerthen Gestalt gezeigt werden sollte. Und
Colpé, Jerta de Panizza und Ersiglie Wolf von Karoline
gegangen und ich habe nichts mehr von ihr gehört
wirklich gelang es ihr, einen mit etwas enthuastischem
v. Tonelli; das Haus Tuchlauben Nr. 12 an August
ich das Schreckliche gehört habe.“
Kohl von den Ebersberg'schen Erben; das Haus Wipp¬
Rechtsgefühl behafteten Zeitungsmenschen derart von der
lingerstraße Nr. 14 an die Firma C. Luckeneder und
„Gerechtigkeit ihrer Sache“ zu überzeugen, daß er sich
Er hatte das schlicht, einfach und wahr gesp
Miserowski von Dr. Felix Lauterer und Karoline Lan¬
kopfüber in den Prinzipien= und den Personenkampf um
ohne etwas zu vertuschen und zu verschönen, natürli
mann; ¼ des Hauses Werderthorgasse Nr. 15 an Ottilie
die Schuldfrage der „Liebelei“ hineinstürzte und einen
ohne den Grund der Dinge zu berühren und den
und Erich Löffler von Auguste Löffler.
lodernden Anklageartikel gegen den uniformirten Re¬
des Gesellschaftsübels, das da in so grellem Sy
präsentanten der Race der „jungen Leute“ losließ, welche
hervorgebrochen war. Es war ein naives Unschul
Wiener Tagesbericht.
der Verfasser der „Liebelei“ gekennzeichnet hat. Dem
Schuldbewußtsein, was aus ihn redete, das Un
lebensgefährlichen Husaren=Offizier wurde sein ganzes
bewußtsein vorberrschend, wogegen auch, unter de
Das Urbild der „Liebelei“.
Schuldregister, getreu nach den schwesterlichen Angaben,
benen allgemeinen und speziellen Verhältnissen, kar
Warum just in der Einzahl? Treffen wir sie nicht
vorgehalten.
Einwand zu erheben war. Dann aber erzählte er
etwa zu Dutzenden auf Schritt und Tritt, die Urbilder der
zu dem eigentlichen, thatsächlichen Zweck seines Ersch
Wenige Stunden nach dem Erscheinen des Artikels
Personen aus Arthur Schnitzler's „Burgtheater=Wien“,
in der Redaktion kommend, zur Illustrirung der sch
spielte sich eine bewegte Szene in dem Redaktionszimmer
die „jungen Leute“ mit und ohne Uniform, mit und ohne
lichen Racheaktion. Und hier brachte er die ander
des freiwilligen Anwaltes der Verlassenen ab. Er saß
Monocle, immer aber mit Geld in der Tasche und ohne
dieses „Wiener Lebensbildes“ zum Vorschein. Ja,
allein, mit der Arbeitssorge für die nächste Nummer be¬
Glauben im Herzen, die gar nicht daran denken, daß man
eine Racheaktion gewesen — aber nicht die „Famili
schäftigt, als an die Thür geklopft wurde.
überhaupt auf ihre Treue reflektiren könnte und daß die
hatte es zu rächen gegolten, sondern die arithm
Auf das „Herein!“ trat ein Herr ins Zimmer, dessen
Liebe zu etwas Anderem da sei, als zu gemeinsamem
Differenzen in der Bewerthung des „unersetzliche
Zivilanzug den Militär nicht verkennen ließ. In der That
Spielzeug für die großen Kinder beiderlei Geschlechts?
lustes“, welchen die trauernden Hinterbliebenen
stellte er sich als „auf Urlaub befindlicher Rittmeister*##
Und die dazugehörigen Mädel, findet man sie nicht nach
hatten. Nicht nur, daß er das Leichenbegängn
vor, der zu fragen kam, ob er den Schreiber des Angriffs¬
beliebiger Auswahl in den Modesalons, den Fabrikswerk¬
armen Geschöpfes nicht ignorirt hatte, er war
artikels vor sich habe, und, als ihm dies bejaht wurde,
stätten, den Kaufläden oder selbst unter dem schützenden
wesen, der dasselbe bestritten hatte und die quittirte
weiter frug, wann „Oberlieutenant * von den Husaren“
Dache der „Herren Eltern“, die gar nichts darin finden,
nungen darüber bei sich trug — ja, die „R
vorsprechen könne. „Wenn es dem Herrn Oberlieutenant
daß „das Madl a klane Bandlerei hat“? Auch die
Schwester“ hatte sich bis zum Tage des Leichenbegät
beliebe, sogleich,“ war die Antwort. Zehn Minuten später
stillen Trauerspiele solcher mißverstandener Liebesscherze
so versöhnlichen Gemüths gezeigt, daß sie es ni
kehrte der Rittmeister mit dem Angemeldeten, der in Uni¬
fehlen nicht, die lautlosen Katastrophen solchen „zu
schmäht hatte, sogar die Trauerhandschuhe vo
form war, zurück. Nach den ersten Begrüßungsformeln
tragisch“ genommenen Zeitvertreibes, die nicht viel Auf¬
„Mörder der geliebten Schwester“ anzunehmen. Er
begann der Hauptakteur der Szene sofort in medias res
hebens von sich machen, gar nicht den ehrgeizigen An¬
dem Begräbniß hatten jene Auselnandersetzungen
zu gehen, aber in einer deraitigen Erregtheit des Tones,
spruch erheben, von einem Dramatiker in Akte gebracht
gefunden, welche in obbesagten „trauernden Hinterblie
daß der Journalist sich zu der Erklärung gezwungen sah,
und von Hofschanspielern dargestellt zu werden, sondern
das Bedürfniß der Rache für die erlittene Familien
er müsse die Unterredung, auf alle Konsequenzen hin, für
sich bescheidentlich von den Lokalreportern der Zeitungen
weckten.
abgebrochen erklären, wenn nicht eine gemäßigtere Form
in kurzzeiligen Notizen unter der gewöhnlichen Selbstmord¬
Der Offizier dachte anfänglich daran, ge
der Konversation beliebt werde. Das brachte den Sprecher
rubrik abthun lassen.
Volkssängersippe klägerisch aufzutreten, um den
zer Besinnung und mit artiger Rebewendung erbat er sich
Warum also doch „Urbild“ in der Einzahl? Weil,
Sachverhalt gerichtlich feststellen zu lassen; ab
Gehör für seine Darstellung der Begebenheit. Dieselbe
wenn diese „Liebelei“ damals im Burgtheater gespielt
Regung der Pietät für das Andenken der Todt
durfte nicht blos Gehör, sie durfte das gespannteste Interesse
worden wäre, als ihr Autor noch nicht im bühnenfähigen
deren bitterstem Seelengeheimnisse da unbarmhei
beanspruchen, ja mehr noch, die lebhafteste Theilnahme für
Alter, sondern ein kleiner Junge war, die ganze Stadt
Gerichtssaale der Schleier gerissen werden mußte,
den Erzähler selbst. Denn das war nicht die äußerliche,
unbedingt gesagt hätte, das Stück sei nicht im All¬
ihn rasch davon ab. Er begnügte sich mit einer
säbelrasselnde Erregtheit eines lädirten Uniformbewußtseins,
gemeinen „aus dem Leben gegriffen“, sondern aus dem
stellenden Klarmachung der Thatsachen in der Zeitu
das sich vielleicht über die Normalgesetze der menschlichen
aktuellsten Leben, aus dem der lekzten vierundzwanzig
man schied in friedlicher Verständigung von einand
Beziehungen und Gefühlspflichten hinweggehoben wähnte
Stunden, es sei die Dramatisirung nicht gerade des
Nach vierzehn Tagen sprach man in Wien nich
— nein, es war die vibrirende Erregtheit einer wirklich in
„neuesten Skandals“, doch aber der neuesten Sensations¬
ihren Gemüthstiefen gepackten und schmerzlich gerüttelten
von der Geschichte. Was war auch weiter daran
affaire, in deren Effekt auf die Gemüther die erschütternde
Menschenseele. Die ersten Einleitungsworte, die er sprach,
hatte ein bischen lauter von sich reden gemacht, n
Tragik des Ereignisses das lüstelnde Behagen an der
waren ein Ehrenzeugniß für die Todte und
ihrer selbst willen, sondern weil das „Milieu“ so
Pikanterie des „Skandals“ überwog. Ein junges, schönes
Apartes an sich gehabt hatte. Man denke doch 1
man fühlte es heraus, wie sehr es ihm Herzensbedürfniß
Mädchen hatte den Tod in der Donau gesucht und ge¬
Trauerspiel der betrogenen Unschuld — ob's nun
war, diesen Punkt vor Allem festzustellen, als eine Recht¬
funden, weil es von einem Husaren=Offizier im Stiche ge¬
betrug oder fremder Trug gewesen — in einer
fertigung vor dem eigenen Gewissen, als eine Verwahrung
lassen und sogar als Zudringliche in beschimpfender Weise
dagegen, als wolle er etwa das Vorgefallene dadurch be¬
sängerfamilie! Das gab dem Falle seine Physio
von seiner Thür weggewiesen worden war — so lautete,
schönigen, daß er einen Schatten auf dem Andenken des
und die Husaren=Uniform putzte ihn auch nicht ül
knapp gefaßt, die Nachricht, welche in die Tagesblätter
unglücklichen Opfers eines grausamen Mißverständnisses
Aber für länger als vierzehn Tage hielt das unmög
kam. Die Unglückliche hatte den Offizier in den Garten¬
der Sinne und des Herzens haften lasse.
sonst war's ja doch nichts, als einer von den Di
bausälen auf einem Maskenball kennen gelernt, hatte sich
von Fällen, die überhaupt gar nicht zur Sprache
„Das Mädchen war so rein, wie ein neugeborenes
nach ein paar leidenschaftlich durchtanzten Stunden von
werden, weil sie etwas Alltägliches sind, wie z. B
Kind, als sie sich in meine Arme warf“ — sagte er. „Aber
ihm zum Souper in einem, damals in Mode stebenden
ein Maurer vom Baugerüste fällt und das Genick
fuhre fert — wer kann mir einen Vorwurf daraus
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