II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 93

Liebelei
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5. Lauaau
Das Magazin für Litteratur.
Nr. 46
12. November Hermann Sudermanns neues drei¬
Theater wie dem Autor reichlich lohnt. Dann zieht
aktiges Schauspiel „Das Glück im Winkel“ hier, am
Bruder Martin“ immer noch und wird wohl bald
seine hundertste Aufführung verzeichnen — ein Erfolg,
Burgtheater, zur überhaupt ersten Aufführung ge¬
den wirklich kein Weiser voraussehen noch begreifen
kommen. Es gab schon nach dem ersten schwächsten
Aufzuge zwei Hervorrufe, sechse nach dem zweiten und
konnte. Bezeichnend für die Art, wie hier gearbeitet
wieder drei am Schlusse. „Das Glück im Winkel“ be¬
wird, für die Surrogat=Litteratur, die obenan steht, ist
deutet insofern etwas Neues für Sudermann, als er
auch die Aufführung von Karl Hauptmanns „Wald¬
am
hier eigentlich zum ersten male als Dramatiker den
leuten.“ Den Gerhart, dessen „Biberpelz“
berliner Boden verläßt, soweit sogar,
Ende den Versuch lohnen würde, traut man sich nicht
daß er nicht
einmal wie in der „Heimat“ Konflikte aus der Weltstadt
zu spielen, so nimmt man sich den Karl. Das ist ein¬
Wildererstück nach der Schablone und mit einem so
in seine Begebenheiten hineinspielen läßt. Der Leiter
unmöglichen Ausgange, wie sich's kein Altester er¬
einer Landschule lebt mit seiner zweiten Gattin Elisa¬
lauben würde ihn einem löblichen Publiko zu bieten:
beth ein stilles und begnügsames Sein. Beide sind ab¬
aus dem Realismus schnappt's plötzlich ins Rührstück
gemüdet vom Leben. Er hat seine beste Kraft als Kan¬
über. Man denke: der meuchlings erschossene Förster,
didat und Erzieher, sie als arme heimatlose Verwandte
der sterbend den Bund seines Mörders mit seiner Tochter
begüterter Adeliger in einer Eristenz verkämpft, die sie
segnet! Das geht denn doch nicht. Ein Fünkchen von
von Schloß zu Schloß führte. Dabei liebte sie, ehe sie
des großen Bruders Begabung scheint allerdings im
in die Ehe trat, einen weiland Zögling Wiedemanns,
Alteren zu stecken — mehr aber auch sicherlich nicht.
ihres Gatten, einen Baron Röcknitz, der sich für eine
Die Komödie wurde mit einer an diesem Orte fremden
unglückliche Ehe, wesentlich durch seine Schuld un¬
Entschiedenheit abgelehnt: sie sind in der Wallgasse
glücklich, bei anderen Weibern entschädigt. Er ist die
keine Freunde litterarischer Experimente mehr. Sie
Hauptfigur, ein hinreißender Mensch, kraftvoll, bewußt,
wollen lachen.
glücklich in allem, und weckt in seinem Begegnen in
ihr die alte Reigung auf. Er will ihren Mann heraus¬
heben aus den kleinen Verhältnissen, um sie in seiner
Nähe zu haben. Die Neigung übermeistert sie; da er
aber bestimmte und an eine kurze Frist gebundene
Im Künstlerhause haben wir eine höchst sehens¬
Hingebung von ihr fordert, so sieht sie sich in den
werte Ausstellung von Radirungen und Stichen, ver¬
schlimmsten Zwiespalt gesunken, in den Tod gedrängt.
anstaltet von einer Unternehmung, die sverall ander¬
Ein Zufall verhütet das Letzte; eine Aussprache mit
wärts gedeihen müßte und die nur hier mühsam und
ihrem Gatten hält sie für immer bei ihm. Das Glück
kämpfend sich erhält. Dies ist die Gesellschaft für ver¬
bleibt im Winkel.
vielfältigende Kunst, die für die Belebung des künst¬
lerischen Geschmacks mehr getan hat, als sich in wenig
Das Stück enthält starke Wirkungen. Besonders
Worten sagen läßt; die zuerst mustergiltige Nachbildungen
eder zweite Akt wirkt atemlos und spannt, wie man
wirklicher Kunstwerke auch denen zugänglich machte,
merkt, was sich zwischen Elisabeth und Röcknitz zu¬
denen sie vordem unerschwinglich gewesen waren.
bereitet, bis zum Bekenntnis der Neigung durch die
Das meiste Aufsehen macht neben Staufer=Bern, dessen
junge Frau. Schwächer ist der erste Akt bis zur
eindringliche Charakteristik nicht genug bewundert werden
Hälfte, etwas fahrig gemacht und ungleich in der
kann, Mar Klinger, in dem eine wirkliche Großheit,
Stimmung der dritte Akt. Erfolgwird das Stückimmer und
überall haben, wo es eine gleich vorzügliche Darstellung¬
eine mächtige, flutende Fantasie sich ausspricht. Eng¬
findet, wie hier. Wenn ich Ihnen bezüglich der Kritik
länder und Franzosen sind glänzend vertreten. Neben
ihnen behaupten sich mit allen Ehren unsere Meister¬
des Stückes, das Sie ja bald in Berlin sehen sollen,
radirer William Unger, der allerdings schon alt ist und
nicht vorgreifen will, so darf ich deste überzeugter das
Lob der Darsteller singen. Mitterwurzer als Röck¬
der zu früh gestorbene Alphons. Der Bildhauer Leo¬
pold Dürnbauer ist im Oktober in jungen Jahren gee= nitz war von der brutalsten und wieder bestrickendsten
storben. Wir hielten etwas von ihm. Eine Gyps= Nichtswürdigkeit; voll Humor, wie er einem Teufelskerl
gruppe „Der Kampf ums tägliche Brot“ hat,
irr' ich
so gut ansteht; aus Herz griff Fräulein Sandrock
als Elisabeth. Herr Sonnenthal, Herr Kutschera,
nicht vor zwei Jahren, ziemliches Aufsehen gemacht:
Herr Lewinsky, unser jüngstes aufsteigendes Gestirn,
Ein rüstiger Arbeiter ringt einen greisen Genossen
nieder. Die Gestalten waren tüchtig durchgebildet, die
Fräulein Kallina waren durch und durch höchst vor¬
trefflich. In der Episode einer blinden Tochter Wiede¬
Arbeit atmete etwas von der Tragik des wirklichen
manns bewies Frau Devrient=Reinhold ein wie
Lebens. Bald danach befiel ihn die tückische Krankheit,
die ihn uns im 31. Jahre seines Lebens nahm: Der
feines Talent der Charakteristik und der Beobachtung
Weyrbrunnen am neuen Burgbau ist enthüllt.
sie besitzt.
wirkt in seiner Lebendigkeit ungemein. Das Denkmal
Emil Schindlers steht schon im Stadtpark und erfreut
keinen. Nenn andere Künstlerdenkmäler sollen folgen.
So werden wirs über eine Zeit monumental beglaubigt
haben, daß wir eine Kunststadt — waren.

Mit dem entschiedensten äußeren Erfolge, ohne
jeden Widerspruch, wie er sich noch bei der „Schmetter¬
lingsschlacht“ vernehmlich genug geäußert, ist am
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