5. Liebelei
Srie dente tensetenger Aihenen
aeenahkicmenlanee
box 10/3
Die Berliner Theatersaison 1895,96.
496
sucht, ist eine merkbare Absicht, die verstimmt, und giebt seiner
psychologischen Motivirung die Unsicherheit. „Das Glück im
Winkel“, das einen ähnlichen Stoff wie Ibsens „Frau vom Meere“
behandelt, ist, besonders wenn Mitterwurzer mitspielt, gewiß ein
wirksames Stück, das zunächit seinen Eindruck nicht verfehlt. Wer
aber tiefer drüber nachdenkt, wird immer bedächtiger den Kopf
schütteln und zuletzt erkennen, daß Wirklichkeit und Wirkung nicht
ausgeglichen sind, sondern einander fortwährend im Wege stehn.
Wenn das Stück einen unvergleichlich stärkern Erfolg hatte, als
seiner Zeit „die Frau vom Meere“, die unvergleichlich tiefer und
sicherer ins Leben der Seele dringt, so beweist das nur, wie viel
höher bei unsrem Theaterpublikum äußere Wirlung im Werth
steht, als innere Wahrheit. Sudermann, dieser wichtige Etappen¬
punkt unsrer dramatischen Entwicklung, braucht weder nach rechts
hin den Theaterfaiseuren, noch nach links hin den Naturalisten
nachzugeben. Was ihm Noth thut, ist ein weiseres und andächtigeres
Hinlauschen auf den rechten Pulsschlag der menschlichen Herzen,
deren innerer Aufruhr ihm zum Theatereffekt wird. Er hält den
Puls fest und zieht mit Aplomb die Uhr, aber er zählt meistens
nicht richtig. Diese Kunst des richtigen Pulsfühlens, nicht das
Stoffliche sollte ihn bei Ibsen interessiren. Wäre unsre Hofbühne
auf den klugen Einfall gekommen, unmittelbar nach „dem Glück
im Winkel“ wieder „die Frau vom Meere“ auf ihr Repertoir zu
setzen, so wäre wahrscheinlich das deutsche Epigonenstück ein Schlüssel
zum Verständniß des nordischen „Mysteriums“ geworden, ein
Schlüssel, der beim Oeffnen der dunklen Pforte vielleicht zerbrochen
wäre.
Von Hofbühne aber und Lessingtheater müssen wir wieder
den Rückweg ins Deutsche Theater suchen, wenn wir bei den
literarischen Erscheinungen der Saison bleiben wollen. Und hier,
auf der vielgescholtnen Brutstätte des Alltagsrealismus, dürfen wir
unsern Flug auch ins phantastische Land erheben. Die Verbindung
stellt, auch diesmal wieder kompromittirend, Ludwig Fulda her.
Er hatte einen köstlichen Einfall, der Gottfried Kellers würdig
gewesen wäre, als er die Seldwyler schrieb. Berlin W. wird auf
„Robinsons Eiland“ verschlagen. Unsre zweibeinigen Kultur¬
pflanzen verkümmern auf diesem Boden, ein Wildling aber aus
den Tiefen der Volksarmuth wächst mächtig hervor. Kommerzien¬
räthe und Bummelfürsten planen Umsturz gegen Recht, Sitte,
Ordnung, die der energische Proletarier unter der kleinen Insel¬
Srie dente tensetenger Aihenen
aeenahkicmenlanee
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Die Berliner Theatersaison 1895,96.
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sucht, ist eine merkbare Absicht, die verstimmt, und giebt seiner
psychologischen Motivirung die Unsicherheit. „Das Glück im
Winkel“, das einen ähnlichen Stoff wie Ibsens „Frau vom Meere“
behandelt, ist, besonders wenn Mitterwurzer mitspielt, gewiß ein
wirksames Stück, das zunächit seinen Eindruck nicht verfehlt. Wer
aber tiefer drüber nachdenkt, wird immer bedächtiger den Kopf
schütteln und zuletzt erkennen, daß Wirklichkeit und Wirkung nicht
ausgeglichen sind, sondern einander fortwährend im Wege stehn.
Wenn das Stück einen unvergleichlich stärkern Erfolg hatte, als
seiner Zeit „die Frau vom Meere“, die unvergleichlich tiefer und
sicherer ins Leben der Seele dringt, so beweist das nur, wie viel
höher bei unsrem Theaterpublikum äußere Wirlung im Werth
steht, als innere Wahrheit. Sudermann, dieser wichtige Etappen¬
punkt unsrer dramatischen Entwicklung, braucht weder nach rechts
hin den Theaterfaiseuren, noch nach links hin den Naturalisten
nachzugeben. Was ihm Noth thut, ist ein weiseres und andächtigeres
Hinlauschen auf den rechten Pulsschlag der menschlichen Herzen,
deren innerer Aufruhr ihm zum Theatereffekt wird. Er hält den
Puls fest und zieht mit Aplomb die Uhr, aber er zählt meistens
nicht richtig. Diese Kunst des richtigen Pulsfühlens, nicht das
Stoffliche sollte ihn bei Ibsen interessiren. Wäre unsre Hofbühne
auf den klugen Einfall gekommen, unmittelbar nach „dem Glück
im Winkel“ wieder „die Frau vom Meere“ auf ihr Repertoir zu
setzen, so wäre wahrscheinlich das deutsche Epigonenstück ein Schlüssel
zum Verständniß des nordischen „Mysteriums“ geworden, ein
Schlüssel, der beim Oeffnen der dunklen Pforte vielleicht zerbrochen
wäre.
Von Hofbühne aber und Lessingtheater müssen wir wieder
den Rückweg ins Deutsche Theater suchen, wenn wir bei den
literarischen Erscheinungen der Saison bleiben wollen. Und hier,
auf der vielgescholtnen Brutstätte des Alltagsrealismus, dürfen wir
unsern Flug auch ins phantastische Land erheben. Die Verbindung
stellt, auch diesmal wieder kompromittirend, Ludwig Fulda her.
Er hatte einen köstlichen Einfall, der Gottfried Kellers würdig
gewesen wäre, als er die Seldwyler schrieb. Berlin W. wird auf
„Robinsons Eiland“ verschlagen. Unsre zweibeinigen Kultur¬
pflanzen verkümmern auf diesem Boden, ein Wildling aber aus
den Tiefen der Volksarmuth wächst mächtig hervor. Kommerzien¬
räthe und Bummelfürsten planen Umsturz gegen Recht, Sitte,
Ordnung, die der energische Proletarier unter der kleinen Insel¬