II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 283

Lieb
5. Melei
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Die Berliner Theatersaison 1895/90.
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Naturalismus mit historischer Treue gleich setzten. Schon im Ja¬
nuar hab' ich an andrer Stelle mit Bezug auf „Florian Geyer“
bemerkt: „Im historischen Drama ist der konsequente Realismus,
den man besser Naturalismus nennt, nichts andres als historische
Treue.“ Ich fügte erläuternd hinzu, daß sich diese historische Treue
im Dichtwerk nicht auf das beschränkt, was wirklich geschehn ist,
nicht auf die zufällige Thatsächlichkeit, sondern daß die höhere
Wahrheit des Dichters in die weite Fülle von Möglichkeiten hinein¬
greift und sich selbst nur die prüfende Frage stellt, ob dies oder
das so und so hätte geschehn können. Ueber Hauptmann im Be¬
sondern sagte ich dann wörtlich: „Was sich seiner Beobachteng
entzieht, gestaltet er frei im Sinne dieser Beobachtung. Was er
findet, verwendet er, und wo er nichts findet, erfindet er im
Sinne des Gefundenen.“ Diesen rein künstlerischen Grundsatz, der
von der historischen Forschung unabhängig ist und dennoch histo¬
rische Treue übt, hat Hauptmann meines Wissens durchweg befolgt.
Obgleich Professor Lenz es verschmäht, sich nach dem Beispiel von
„Tagesliteraten“ mit der „interessanten aber unholden“ Dichtung
abzugeben, so kommt er doch im Verlauf seiner historischen Be¬
trachtung immer wieder auf diesen Unhold zurück. Mit dem Recht
des gelehrten Sachkenners bestreitet er mehrfach die Thatsäch¬
lichkeit der von Hauptmann dargestellten Vorgänge. Zuweilen
aber bestreitet er ihm auch die Möglichkeit des von ihm Darge¬
stellten. Ermeint, Hauptmanns Helden hätten in jeder Szene ein rüderes
Benehmen, als es Edelleute, Bürger und Bauern zur Zeit der Schläch¬
tereien von Böblingen, Kitzingen, Königshofen in Wirklichkeit hatten.
Das ist Gefühlssache. Mein tagesliterarischer Dilettanteneindruck
empfindet hier anders als die akademische Wissenschaft. Kürzlich
durchwanderte ich die Folterkammern der Nürnberger Burg, wo
auch aus dem fränkischen Bauernkriege manches Marterwerkzeug,
manche Kriegswaffe (die Morgensterne) aufbewahrt wird. Ueberall
trat mir, mit Lenz zu sprechen, eine recht „unholde“ Vergangenheit
entgegen. Soll der Dichter, der diese Zeit im Drama wieder will
aufleben lassen, sie verholden? Verlangt das im Ernste gerade ein
Historiker? Und wird sich ein Historiker befriedigter durch die Art
fühlen, wie Ernst v. Wildenbruch nach alter Theatermethode mit
der Geschichte Gregors und Heinrichs umspringt? Ein Mann wie
Lenz denkt, wenn er „König Heinrich“ gesehn hat, über „Florian
Geyer“ vielleicht milder.
Zufällig kehrt in beiden Stücken ein und dasselbe überaus