II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 285

Liebelei
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Die Berliner Theatersaison 1895/96.
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wickelt. Sie sind Ideenträger geblieben. Ihre Personen verhalten
sich zu ihrer Idee nicht lebendiger, als ein Laternenpfahl zum
brennenden Licht. Sie denken, handeln, reden, nicht aus ihrem
eigenen, vom Dichter historisch und psychologisch begriffenen
Gefühl, sondern aus dem allerdings im hohen Grade aufgebrachten
Gefühle des Dichters heraus, der es unterließ, sie objektiv zu
porträtiren, und ihre Handlungsweise auf Beweggründe zurückführt,
die der Gartenlaube näher stehn als der Weltgeschichte.
Im Vorspiel, wo „Kind Heinrich“ dem päpstlichen Legaten
Hildebrand zum ersten Mal gegenübersteht, und Beide ein Ahnen
künftiger Dinge erfaßt, benimmt sich das „Königlein“ sehr obstinat;
anstatt dieses Benehmen auf die Zehnjährigkeit des Bengelchens
zurückzuführen, entsteht bei Mutter Agnes, bei „Ohm Otto“ (von
Nordheim), bei Anno von Köln und dem schicksalsschwangern
Hildebrand ein großmächtiges Unglücklichthun: „Ruchloser Knabe!“
jammert Kaiserin Agnes und nennt ihren Kleinen „O Du Qual
meiner Tage“ jene hohen Priester sind schier erschreckt drüber, daß
Jung=Heinrich Gott nur lieben, nicht auch fürchten will. Wilden¬
bruch hat hier recht niedlich kleinen Kinderchen ihre Unarten ab¬
gelauscht, aber die Art. wie er Erwachsene diese Unarten auffassen
läßt, ist auch eine Unart und noch kindlicher als Kind Heinrich
selbst. Im ersten Akt, der zu Worms spielt, wird Wildenbruchs
löblicher Philosemitismus in die Herzgrube Heinrichs des Vierten
gegraben: Bischöfe und Fürsten knirschen in Ketten, hingegen
Ephraim ben Juda und Süßkind von Orb, die zuvor zwar tüchtig
geblecht haben, sitzen an königlicher Tafel. Es klingt wie ein
Appell in die neuste Zeit hinein, wenn König Heinrich von Wilden¬
bruchs Gnaden ruft: „Ich bin der König, und Königswille ist
Deutschlands Gesetz! Ich frage nicht, ob Jud oder Christ, ich bin
der König und Treue zum König ist Deutschlands Religion!“ Auch
Hauptmanns Florian Geyer ist ein Schützer der Juden; er sagt
zum alten Jöslein: „Füg Dich hernacher in mein Quartier,
Bruder! Ich hab ein Geschäft für Dich;" und „Bruder“ Jöslein
Mein! Junker von Geyer! Ich bin
mauschelt drauf: „Mein!
nit mee als ein armer Jud, Euer Gestrengen!“ Auch der Stil
dieser Sätze kennzeichnet den Stil der beiden Stücke.
Mochte die bombastische Judenszene des „König Heinrich“ in
einem Berliner Theaterpublikum schon manches Gemüthe rühren,
so brachte das Aufregendste in dem Stück doch erst der Brief des
Königs an den Papst. In diesem Briefe kondensirt und konzentrirt