iebele
5. L-1 box 10/3
Berliner Premièren
311
Pärchens, Theodors und Mizis und der innigen Christine, alles das ist
dramatisch packend und spannt unsere Erwartung auf die weitere Entwickelung.
Der ganze Zauber der sauberen Nettigkeit des freundlichen, idealisirten
Kleinbürgerthums umfängt uns im zweiten Akte. Wohl dem, der sich
daran zu erfreuen vermag. Von einzelnen Szenen erwähne ich nur die
zwischen Christine und Fritz. Die erstickende Todeshand liegt auf dem
jungen Glück; aber erst dadurch verwandelt sich die Liebelei bei Fritz in
Liebe. Das ist das Menschlichrührende, Schlichttragische; kein Pathos, keine
falsche Sentimentalität, nur naives Empfinden, welches im Getriebe der
Welt und Gesellschaft zertreten wird.
Eine Szene fehlt im zweiten Akt, ein Mangel, der vielleicht die selbst¬
erkenntnißreiche Klugheit des Autors beweist: die Aussprache zwischen Chri¬
stine und ihrem Vater. Wir haben uns dieselbe selbst auszudenken, sie liegt in der
Pause zwischen dem zweiten und dritten Akt. Das Fehlen ärgert mich fast,
denn ich glaube, Schnitzler wäre die Ausführung gelungen, und wir hätten
einen zweiten Höhepunkt des Dramas erhalten, der technisch sehr geschickt
gewesen wäre und zur Beleuchtung der Charaktere hätte verwendet werdenkönnen.
Im dritten Akt bat sich das Geschick erfüllt. Wir wissen es, wenn
der Vorhang aufgeht. Der Trost, den der alte Weiring Christinen spendet.
das Ausmalen einer resignirten und doch lebenskräftigen Zukunft, und dam
die Todesbotschaft und ihre Wirkung selber, das verräth in der Ausführung
wieder den echten Dichter.
„Liebelei“ ist nicht nur eine feine dichterische Arbeit, es ist auch ein
bühnenwirksames Stück. Das beruht zum Theil auf dem zweiten Pärchen,
welches mit seiner Tändelei lustige Amorettenketten um den Ernst schlingt.
Auch in der Charakterzeichnung finden wir fast immer die sichere
Hand eines gereiften Künstlers.
Die Charaktere sind so einfach als wahr. Christine, in der schlichten
tout cas-Mädel, mit gutem Herzen; der alte Weiring, ein Vater, so lebens¬
erfahren, so mild und gut in seiner einfachen Größe; die Bindern, die liebe
Frau Nachbarin, mit der Pharisäermoral; — nur Fritz Lobheimers Charak¬
teristik sagt mir nicht zu. Der Dichter hat ihn sicher so gewollt, und das
Stück wäre verändert, wenn Fritz etwas älter wäre, wenn er mehr Ueber¬
legenheit, Erfahrung und Willensstärke besäße. Die Handlung, der Konflikt
würde aber dadurch vertieft und veredelt werden, und durchaus nur zum
Vortheil der Dichtung.
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Berliner Premièren
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Pärchens, Theodors und Mizis und der innigen Christine, alles das ist
dramatisch packend und spannt unsere Erwartung auf die weitere Entwickelung.
Der ganze Zauber der sauberen Nettigkeit des freundlichen, idealisirten
Kleinbürgerthums umfängt uns im zweiten Akte. Wohl dem, der sich
daran zu erfreuen vermag. Von einzelnen Szenen erwähne ich nur die
zwischen Christine und Fritz. Die erstickende Todeshand liegt auf dem
jungen Glück; aber erst dadurch verwandelt sich die Liebelei bei Fritz in
Liebe. Das ist das Menschlichrührende, Schlichttragische; kein Pathos, keine
falsche Sentimentalität, nur naives Empfinden, welches im Getriebe der
Welt und Gesellschaft zertreten wird.
Eine Szene fehlt im zweiten Akt, ein Mangel, der vielleicht die selbst¬
erkenntnißreiche Klugheit des Autors beweist: die Aussprache zwischen Chri¬
stine und ihrem Vater. Wir haben uns dieselbe selbst auszudenken, sie liegt in der
Pause zwischen dem zweiten und dritten Akt. Das Fehlen ärgert mich fast,
denn ich glaube, Schnitzler wäre die Ausführung gelungen, und wir hätten
einen zweiten Höhepunkt des Dramas erhalten, der technisch sehr geschickt
gewesen wäre und zur Beleuchtung der Charaktere hätte verwendet werdenkönnen.
Im dritten Akt bat sich das Geschick erfüllt. Wir wissen es, wenn
der Vorhang aufgeht. Der Trost, den der alte Weiring Christinen spendet.
das Ausmalen einer resignirten und doch lebenskräftigen Zukunft, und dam
die Todesbotschaft und ihre Wirkung selber, das verräth in der Ausführung
wieder den echten Dichter.
„Liebelei“ ist nicht nur eine feine dichterische Arbeit, es ist auch ein
bühnenwirksames Stück. Das beruht zum Theil auf dem zweiten Pärchen,
welches mit seiner Tändelei lustige Amorettenketten um den Ernst schlingt.
Auch in der Charakterzeichnung finden wir fast immer die sichere
Hand eines gereiften Künstlers.
Die Charaktere sind so einfach als wahr. Christine, in der schlichten
tout cas-Mädel, mit gutem Herzen; der alte Weiring, ein Vater, so lebens¬
erfahren, so mild und gut in seiner einfachen Größe; die Bindern, die liebe
Frau Nachbarin, mit der Pharisäermoral; — nur Fritz Lobheimers Charak¬
teristik sagt mir nicht zu. Der Dichter hat ihn sicher so gewollt, und das
Stück wäre verändert, wenn Fritz etwas älter wäre, wenn er mehr Ueber¬
legenheit, Erfahrung und Willensstärke besäße. Die Handlung, der Konflikt
würde aber dadurch vertieft und veredelt werden, und durchaus nur zum
Vortheil der Dichtung.