Liebelei
3. 1
box 10/3
Die Kritik
312
So können wir nicht glauben, daß dem Fritz sich ein wirklich inter¬
essantes Weib zuwendet; er ist noch zu unreif, zu unbedeutend. Auch Chri¬
stine würde gewinnen, wenn Fritz, nicht ihrer würdiger, aber ihr über¬
legener wäre.
Möglich, daß das Spiel zweier Komödianten, die von Presse und
Publikum noch immer vergöttert werden, ich meine Frau Sorma und Herrn
Rittner, viel verdorben hat. Mir ist es unbegreiflich, wie fast alle Berliner
Kritiker sich derart dupieren lassen können und nicht durch die Maske die
innere Hohlheit erkennen.
Frau Sorma verfügt über eine Reihe von Theatermätzchen, die mit
mathematischer Genauigkeit wiederkehren; wenn sie für die Rolle passen, gut;
wenn nicht, nun so heißt's originell; aber eine Figur lebensgetreu gestalten, dem
Dichter nachschaffen, so daß etwas Ganzes und in sich Geschlossenes dasteht,
das kann sie nicht; es ist auch wohl zu viel von ihr verlangt. Und Herr
Rittner ist auf seinem Hans Hartwig stehen geblieben und wird nie darüber
hinauskommen; ihm scheint hauptsächlich der erzieherische Einfluß eines tüch¬
tigen Regisseurs zu fehlen. Doch davon und über die Schauspielkunst in
Berlin überhaupt ein andermal vielleicht mehr.
Der Dichter der „Liebelei“ ist ein Wiener. Wienerische Weichheit
und Leichtlebigkeit tritt uns in seinem Werke entgegen. „Liebelei“ ist eine
naive, rein menschliche Idylltragödie ohne Reflexion. Aber es ist doch eine
gewisse Unterströmung im Stücke bemerkbar, fein, nicht aufdringlich; es
werden Fragen des sozialen, gesellschaftlichen, geschlechtlichen und ethischen
Lebens leise angeschlagen, um leiser zu verklingen.
Der Dichter der „Liebelei“ soll sehr wohlhabend sein. So gerecht er
auch im Stücke Licht und Schatten abwägt, sein Herz ist doch mehr bei den
Reichen. Dem armen Manne, der nur das eine Schäflein hat, wird auch
das noch genommen. Das ist das etwas Niederdrückende der Dichtung. All
die Liebe, die Christinens junges Herz erfüllte, sie war einem Sohne des
Klassenstaates geweiht und wurde zertreten. Nicht Jungfrau und Jüngling,
sondern das Mädchen aus dem einfachen Mittelstande und einen Ange¬
hörigen der Jeunesse dorée sehen wir; und da ist der Ausgang klar. Der
Dichter soll uns aber nicht immer den bloßen Ausgang zeigen, er darf uns
auch in weite Fernen blicken lassen, in denen Schranken gefallen sind. Er
darf es, wenn er kann. Der reiche Jüngling verkaufte aber seine Güter nicht ...
Richard Wrede.
Berlin.
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Die Kritik
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So können wir nicht glauben, daß dem Fritz sich ein wirklich inter¬
essantes Weib zuwendet; er ist noch zu unreif, zu unbedeutend. Auch Chri¬
stine würde gewinnen, wenn Fritz, nicht ihrer würdiger, aber ihr über¬
legener wäre.
Möglich, daß das Spiel zweier Komödianten, die von Presse und
Publikum noch immer vergöttert werden, ich meine Frau Sorma und Herrn
Rittner, viel verdorben hat. Mir ist es unbegreiflich, wie fast alle Berliner
Kritiker sich derart dupieren lassen können und nicht durch die Maske die
innere Hohlheit erkennen.
Frau Sorma verfügt über eine Reihe von Theatermätzchen, die mit
mathematischer Genauigkeit wiederkehren; wenn sie für die Rolle passen, gut;
wenn nicht, nun so heißt's originell; aber eine Figur lebensgetreu gestalten, dem
Dichter nachschaffen, so daß etwas Ganzes und in sich Geschlossenes dasteht,
das kann sie nicht; es ist auch wohl zu viel von ihr verlangt. Und Herr
Rittner ist auf seinem Hans Hartwig stehen geblieben und wird nie darüber
hinauskommen; ihm scheint hauptsächlich der erzieherische Einfluß eines tüch¬
tigen Regisseurs zu fehlen. Doch davon und über die Schauspielkunst in
Berlin überhaupt ein andermal vielleicht mehr.
Der Dichter der „Liebelei“ ist ein Wiener. Wienerische Weichheit
und Leichtlebigkeit tritt uns in seinem Werke entgegen. „Liebelei“ ist eine
naive, rein menschliche Idylltragödie ohne Reflexion. Aber es ist doch eine
gewisse Unterströmung im Stücke bemerkbar, fein, nicht aufdringlich; es
werden Fragen des sozialen, gesellschaftlichen, geschlechtlichen und ethischen
Lebens leise angeschlagen, um leiser zu verklingen.
Der Dichter der „Liebelei“ soll sehr wohlhabend sein. So gerecht er
auch im Stücke Licht und Schatten abwägt, sein Herz ist doch mehr bei den
Reichen. Dem armen Manne, der nur das eine Schäflein hat, wird auch
das noch genommen. Das ist das etwas Niederdrückende der Dichtung. All
die Liebe, die Christinens junges Herz erfüllte, sie war einem Sohne des
Klassenstaates geweiht und wurde zertreten. Nicht Jungfrau und Jüngling,
sondern das Mädchen aus dem einfachen Mittelstande und einen Ange¬
hörigen der Jeunesse dorée sehen wir; und da ist der Ausgang klar. Der
Dichter soll uns aber nicht immer den bloßen Ausgang zeigen, er darf uns
auch in weite Fernen blicken lassen, in denen Schranken gefallen sind. Er
darf es, wenn er kann. Der reiche Jüngling verkaufte aber seine Güter nicht ...
Richard Wrede.
Berlin.