II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 297

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Liebelei
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3 „Liebelei“ von Arthur Schnitzler. Ein Gemisch von
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*'Hochzeiten, Kindtaufen, Küssen, Trennungen und Tod
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dieses Leben! Was ist hier groß, was ist klein?
sein mag. Und man fühlt es deutlich, als das Mädchen,
Und giebt das Leben absolute Tragik oder abso¬
nachdem sie den Geliebten zum Abschied geküßt hat, ihm
lute Komik? Gibt es etwas Großes, das nicht aus
Kleinigkeiten gemischt wäre, etwas Kleines, das nicht mit
plötzlich nachstürzt auf den Flur. Wer hat nicht schon
Zece
einmal irgend etwas Ernstes, Großes, das geschehen
Großem verknüpft wäre? Es gibt nichts Großes
war, in leisen Schwingungen vorausgefühlt? Und am
und nichts Kleines, nichts Absolutes. Absolute Tragik
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deutlichsten kündet sich der Tod an. Technisch ist die
und absolute Komik gibt es nur auf der Bühne und auf
Stimmung, die über dem zweiten Akt liegt, nicht so vol¬
der alten Bühne, fügen wir hinzu, wo das Leben von
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lendet wiedergegeben, wie im ersten: die Abschiedsscene
den Lampen an den Soffiten beleuchtet wurde — künstlich
hat zu langsames Tempo und büßt daher ihre Wirkung ein.
— nicht von der Sonne. Es gibt nur eins — das Leben,
Im dritten Akt: der Tod. Das Unglück ist hereingebrochen.
das keine Höhen und Tiefen kennt, nichts, nur das eine
Es ist ein einziger Schmerzensschrei. Wofür diese Leiden?
Gesetz — die Bewegung — wie die Natur. Man lebt
Warum? Das Leben zeigt seine dunkle rätselhafte Tiefe.
es, wie man unter dem Himmel lebt, unter dem man
Der Schmerz ist hier mit einer Schärfe gezeichnet, die
steht, der jetzt blaut und dann dunkelt voll schwerer Wol¬
in die Seele schneidet. Ein Mädchen verliert den, der
ken. Warum? Wer fragt darnach? Und es wäre auch
ihr ganzes Sein besaß, für den sie atmete und lebte.
unnütz, denn es ist Alles so unmotiviert wie möglich.
Ein Zufall ist es, eine alltägliche Geschichte. Zufällig ist er
Das Leben hat nur eine Antwort, wie auch die Natur,
im Duell erschossen und nicht ein Anderer und ihr ganzes
für Alles: es ist, weil es ist. Und nun stellen Sie sich
Leben fällt in Staub. Warum?... Wie der Vorhang über
den modernen Dichter vor, der diesen forteilenden Strom
diese Schmerzen fällt, vibriert es in allen Nerven. Es
für einen Abend in die Koulissen bannen muß, so wie er
ist, als ob man in einen tiefen Abgrund geblickt hätte. —
ist, in seiner ganzen Zügellosigkeit. Wieviel schwieriger
Etwas Zaghaftigkeit merkt man dem Autor an in seiner
ist seine Aufgabe als die der alten Schule, welche in ihr
Zeichnung. Er bringt in seine Darstellung ein Motiv,
Konterfei irgend eine Färbung, irgend eine tendenziöse
das die Stimmung alteriert. Das Mädchen fühlt sich
Verschiebung hineinbringen konnte, hier eine Linie zu¬
schmerzlich gekränkt, weil das Duell für eine andere statt¬
rechtrückte, dort abrundete, damit das Bild genau auf die
gefunden hat. Wozu? Genug, daß sie leidet, genug, daß der
Devise paßte. Es war so etwas wie die alten Bilder,
Schmerz gezeichnet ist, wozu philosophieren? — Das Stück
wo gleich unten die Erklärung zu lesen war „Treue
verlangt natürlich eine glänzende Darstellung. Und sie war
Liebe“ oder „Verlassen“. Gibt es aber Schablonen im
es auch. Wunderbar, ganz wunderbar war Frl. Witt in der
Leben? Heute muß man es treffen in seiner ganzen
schmerzlichen Seene des dritten Aktes und der erste Akt
Unmotiviertheit — eine Kette von Zufällen, nur muß man
verdankte dem virtuosen Spiel des Herrn Stahl seine
es atmen können, sehen können und fühlen durch alle Ner¬
volle Wirkung. Frl. Timling und Herr Klein sekundier¬
ven. „Liebelei“ ist ein interessantes Muster dieser Schö¬
ten und das Ensemble war so ein vollkommen harmoni¬
pfungsart. Wo findet man hier Konflikte? Was ist hier
sches. Frl. Witt hatte die letzte große Seene und fand Laute
motiviert? Nichts. Im ersten Akt: ein Abend, den ein
für den Schmerz, daß eine einzige tiefe Bewegung durch
Paar junge Leute mit zwei jungen Mädchen lustig ver¬
das ganze Theater ging. Der Beifall wurde dafür auch
bringen, mit denen sie ein Frühlingsverhältnis angeknüpft
zu einer stürmischen Ovation. Es giebt Höhen der Kunst,
haben — sorglos — nur weil sie jung sind und ihre
die man nicht mehr analysieren und messen kann: man
Gefährtinnen auch. Man lacht, ist lustig, man läßt hun¬
C. St—ge.
kann nur bewundern.
dert Dummheiten los. Jemand setzt sich ans Klavier,
man tanzt einen Walzer. Dann singt man Etwas. Kurz
S
es ist ein Abend, wie ihn Jeder erlebt hat ganz so oder unter
ähnlichen Umständen. Es wird an der Hausthür geklin¬
Neues über den Mars.
Wie schade! Es ist eine Duell¬
gelt. Eine Störung!
Die Beteiligten erzählen nichts
fordertilig, eine ernste.
Der italienische Gelehrte Schiaparelli, der zu den be¬
Aber ein Schatten fällt auf die
von dem Zwischenfall.
deutendsten Astronomen der Neuzeit gehört, hat im ver¬
Stimmung und der Abend geht matt zu Ende. Eine Stille
flossenen Jahre zwei höchst interessante Studien über
lagert sich über den lustigen Anfang, der Humor strömt
den Mars veröffentlicht, die im astronomischen Kalender
für 1896, herausgegeben an der Sternwarte in Wien,
nicht mehr. Diese Stimmung, die sich unbewußt dem
in deutscher Uebersetzung erschienen sind. Da es den
Einen und dem Anderen mitteilt und dann verbreitet, ist
Zwecken unserer Zeitschrift nicht entspricht, die Studien
lebensvoll gezeichnet. So geht der Akt zu Ende.
Schiaparellis in extenso zu bringen, so beschränken wir
Der zweite Akt bringt am Ende Abschiedsstimmung.
uns auf die Wiedergabe einer höchst sachlich concipierten
Natürlich ahnt Niemand den Ausgang, Niemand glaubt
Besprechung von Dr. J. Palisa, welche mit großer Ge¬
nauigkeit die hauptsächlichsten Momente wiedergiebt. Der
im Grunde an den tragischen Verlauf und das Mädchen
Mars ist schon lange Gegenstand eifrigster Beobachtungen
weiß nichts von dem Zweikampf. Aber es vibriert etwas
gewesen.
in jedem Worte, in jeder Bewegung, es liegt wie ein Ge¬
Wenn man um die Zeit der größten Annäherung des
heimnis ausgebreitet und das Kommende nistet bereits
Mars an die Erde denselben mit einem besseren Fernrohre
in den Wänden. Man fühlt es durch, es schimmert durch
betrachtet, so findet man, daß seine Oberfläche durchaus
jedes Wort, das gesprochen wird, so gleichgültig es auch nicht in einerlei Licht und Farbe erscheint, sondern daß