II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 298

Liebelei
5. Sn
box 10/4
[Deutsches Gesammt-Gastspiel im Alexandra¬
Theater.]
Mittwoch, den 13. März, zum 1. Mal —
Liebelet“, Schauspiel in 3 Akten von Arthur Schnitzler.
Dieses Stück leidet an einem Hauptfehler: an der techni¬
schen Unzulänglichkeit der dramatischen Konstruktion. Es
ist von einem Anfänger in der dramatischen Kunst geschrieben.
der diese schwierigste aller Formen der Dichtung noch keines¬
wegs beherrscht. Darum ist „Liebelei“ auch kein Schauspiel,
wenngleich Schnitzler sein Stück so nennt. Dazu fehlen ihm
die nothwendigen Proportionen im dramatischen Aufbau,
ohne welche keine Einheitlichkeit im Drama möglich ist,
dazu fehlt ihm auch die dramatische Handlung, denn dieses
Duell des Helden mit einem von ihm betrogenen Ehemann
ist im oramatischen Sinn nur eine Nebenhandlung. Es
findet unter Voraussetzungen statt, die ganz außerhalb des
eigentlichen Interesses liegen und den Zuschauer kalt lassen.
Darum führt ja auch diese Handlung zu keinem Konflikt,
sondern direkt zur Katastrophe. Hier ist ein Fehler in der
Anlage, der sich an der Figur des Helden rächt. Dieser Fritz
Lotheimer brauchte auch gar keine andere Frau noch ver¬
führt zu haben und brauchte auch gar nicht dafür er¬
schossen zu werden, an der Lage des Geigertöchterchens
Christine hätte sich doch nichts geändert: sie war tragisch
von dem Augenblick an, wo sich dieses arme, liebe Kind ihm
ohne zu fragen und ohne zu fordern hingegeben hatte, und
sie hätte sich nur noch tragischer zuspitzen können wenn er
sie, wie das wohl bei solchen Fritzen die Reg ist, ganz
schamlos hätte sitzen lassen. So wirkt aber sein Tod wie
eine ganz zufällige Störung und man weiß nicht einmal, ob
er nicht am Ende, wenn das Duell anders verlaufen wäre,
diese herzige Christine noch zu seiner kleinen Frau gemacht
hätte. So, wie er sich im 2. Akt giebt, scheint uns das gar
nicht so unmöglich. Es ist eben im Ganzen kein rechter
Zusammenhang; das Stück besteht nur aus Situationen und
Episoden. Wie wenig Schnitzler Dramatiker ist, ersehen wir
schon aus dem kleinen aber charakteristischen Umstande, daß
er einen so dankbaren, interessanten und wichtigen Moment,
wie das Geständniß der Tochter vor dem Vater ganz
einfach umgeht und ihn später nur ganz zufällig und als
fait accompli erwähnt. Einzelnes ist aber packend und ta¬
lentvoll geschrieben und die ganze Idee des Stückes hat
uns ungemein sympathisch berührt. Diese Tragik der rück¬
haltslosen, hingebenden Liebe eines armen betrogenen Mäd¬
chens ist alt, wie die Welt, aber ergreifend, wie jedes echte
und tiefe Menschenleid. Die Charaktere sind in dem Stück
lebendig und talentvoll gezeichnet. Psychologische Feinheiten
und besonders interessante Züge haben wir nicht bemerkt,
aber es fehlt auch jede Unnatürlichkeit und jede Charge. Im
Ganzen -
ein fesselndes Stück, das sehenswerth ist.
Gespielt wurde es vortrefflich. Der 1. Akt war vor Allem
eine meisterhafte Ensemble=Leistung; dieser Akt ist dramatisch
der schwächste und für die Darstellung — der schwierigste:
es passirt darin so gut, wie nichts, ja es wird auch eigentlich
so gut, wie nichts gesprochen; die Schauspieler müssen sich
mit den kleinsten und bescheidensten Brocken des zufälligsten
Dialogs begnügen, aber fast den ganzen Akt hindurch zu
Vieren auf der Bühne bleiben und die allergewöhnlichsten
Dinge sprechen. Die Einzel=Leistungen kamen erst vom
2. Akt zur Geltung und mit diesem Akt begann auch das
Interesse und die lebhafte Sympathie für die Heldin des
Stückes, diese herzige, kleine Christine, die zu Grunde ge¬
richtet wird, weil sie ihre ganze Liebe hingegeben hat, wo es
sich nur um eine „Liebelei“ handeln durfte. Frl. Lotte
Witt spielte diese Rolle unvergleichlich schön. Nirgends zu
viel, nirgends zu wenig, echt in jedem Wort und in jeder
Geste, mit fein durchdachter Steigerung und lebenswahr von
der ersten Szene bis zur letzten. Wir haben schon lange
keine so vollendete Leistung bewundern können, wie diese
Christine Weiring des Frl. Lotte Witt. Sie hatte
Momente von unvergeßlicher Wirkung,
z. B. diese
eine Phrase,
die Christine dem Vater sagt: „Aber
weshalb soll ich es denn hingeben?“ Dieses „es“, ist
ihr Glück,
ganzes Lebensglück, um das sie so
unbarmherzig betrogen wird. Erschütternd wirkten auch die
letzten Scenen: dieser furchtbare Schrei, die Angst später,
die Bitterkeit und der letzte Entschluß einer zu Tode ge¬
troffenen Mädchenseele. Diese letzte Scene ist enorm schwer,
denn sie ist voller Längen und Wiederholungen und ohne
jede dramatische Oekonomie angelegt. Es gehört eben die
Kunst einer Lotte Witt dazu auch über solche Schwierig¬
keiten hinwegzukommen. Die Künstlerin hatte einen durch¬
schlagenden Erfolg und wurde nach Schluß der Vorstellung
unzählige Male vor die Rampe gerufen. Von den übrigen
Mitwirkenden möchten wir namentlich Herrn Klein beson¬
ders erwähnen, der den Vater Christinens, den herzens¬
guten, nächsichtigen und klugen Geiger Weiring mit einigen
talentvollen Zügen packend und lebendig charakterisirte.
Die Rolle ist nicht sehr ausgiebig, aber Herr Klein
legte viel hinein. Die übrigen waren durchaus am Platz.
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