II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 324

Liebelei
5. Jenennens
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sein, und aus lächerlichem Plunder kann man kein Götterbild formen.
Dem Titel „Liebelei“, — es ist jetzt an der Tagesordnung, den Dramen
abstrakte Titel zu geben — widerspricht also die Gattungsbezeichnung
„Schauspiel“. Man sollte meinen, daß durch Liebelei nur ein Lustspiel,
vielleicht mit stark satirischem Beigeschmack, oder eine Posse gefüllt
werden könnte. Aber dieser Titel ist
ebenso wenig prägnant,
wie alle anderen abstrakten Titel; richtiger würde es schon heißen,
„Liebelei und Liebe“, denn nur dadurch, daß
den
Kreis der Leichtsinnigen und Leichtfertigen Jemand mischt, der echter
und unverfälschter Liebe fähig ist, wird die Sache ernsthaft und nach
dem ersten Akte ein zweiter und dritter überhaupt möglich. Dem
dramatischen Fortschretten jedoch wird durch die bereits im ersten Akte,
völlig abgeschlossene, und mit liebevollster Detailmalerei ausgeführte
Charakterzeichnung eine starke Beschränkung auferlegt, deren Bruch im zweiten
und dritten Akt nicht ganz wahrscheinlich wirkt. Vielleicht lag es auch
an der Darstellung, daß die Leidenschaftsausbrüche und der,
wic es
scheint, tragische Schluß des letzten Aktes nicht gals
nothwendige Folge der gegebenen Situationen und Charaktere
wirkten und geradezu lächerlich zu werden drohten. Die Schwächen
dieses Stückes dürfen aber nicht abhalten, seine hohen Vorzüge anzu¬
erkennen: die natürliche, leicht fließende, und mit zierlichen Pointen
reich ausgestattete Diktion, die der Natur mit großer Sorgsalt
abgelauschte Miniaturmalerei bei allen Figuren und das Geschick,
mit dem der Dichter auch bei einer stagnirenden Handlung
immer noch zu fesseln weiß. Arthur Schnitzler gehört zu der Schule
Ibsen's und Hauptmann's; er erstrebt, wie alle „Modernen“, den Schein
äußerster Lebenswahrheit. Er geht aber darin zu weit und verletzt das
Gebot klarer Verständlichkeit, die vom Kunstwerk überall gefordert werden
muß. Die Motive der Hondelnden würden leichter begriffen werden,
wenn sie ihre Motive deutlicher kundgäben. Dem Dichter und seinen
Personen muß ein Gott gegeben haben, zu sagen, was sie leiden
und überhaupt erleben; Räthsel errathen ist ebenso wenig die Aufgabe
des Zuschaners, wie es die Aufgabe des Dichters ist, Gelegenheit zu
Mißverständnissen zu geben. So klar und dentlich z. B. der erste Akt
zunächst erscheint, so sieht man doch später, daß man sich in manchen
Stücken geirit hat. Christine erscheint im ersten Akt durchaus nicht von
so abgrundtiefer Innerlichkeit, wie sie sich später darstellt. Ein Mädchen,
das, wie es scheint, in den Tod geht, als sie bemerkt, daß sie sich an
einen Unwürdigen weggeworfen hat, mußte nach unserer Ansicht schon
von vornherein anders auftreten und anders gezeichnet sein. Doch wie
greisen der Angabe des sehr einfachen Inhalts vor.
Fritz Lobheiner, ein reicher älterer Wiener Stuoent, ist ein junger
Elegant wie alle andern, vielleicht ein wenig tiefer angelegt und ernst¬
hafter denkend, als der Durchschnitt, aber im Großen und Ganzen ein
Mann der holden Mittelmäßigkeit, in der sein Freund Theodor Kaijer
bereits gänzlich versunken und versumpft ist. Die beiden jungen Herren
haben Geld und Langeweile. Um Beides los zu werden, sind Liebeleien
ein gutes Mittel. Der Ernsthaftere von Beiden hat zwar zugleich, wie
er meint, eine große Leidenschaft für eine verheirathete Frau, aber diese!
noble Passion ist für einen Mann von seiner Natur wohl nur ein noblerer
Zeilvertreib und ein solcher, der seiner Eitelkeit etwas mehr schmeichelt, als
die Liebelei, die er mit Christine, der Tochter des Violinspie(ers Weiring
auf Zureden seines Freundes Theodor anfängt, angebiich, vun sich von
seiner „großen Leidenschaft“ zu kurtren, in Wahrheit aber wihl deshalb,
weil ihn auch das ehebrecherische Verhältniß langweilt. Im ersten Akti
wird uns nun ein gemüthliches Beisammensein von vier Personen auf
der „Bude“ des Herrn Fritz Lobheimer mit aller Kunst einer virtnosen
Kleinmalerei geschildert. Fritz Lobheimer empfängt seine Christine, und
Theodor Kaiser, wohl auch ein Student in höheren Semestern, hat seine
kleine Freundin Mizi Schlager mitgebracht. Die beiden Letzten sind lockere
Vögel mit gleichem Gefieder, zur ernsthaften Liebe nicht geschaffen, sondern
nur zur leichtfertigen Liebelei. Christine dagegen zeigt sich bereits hier
von einer andern Seite, aber wie gesagt nicht in dem Maße, daß man ihr
späteres Benehmen vollständig begreift. Den höchst vergnügten Abend des
Doppelpärchens stört plötzlich der betrogene Ehegatte, der erfahren hak,
daß seine Frau ihn mit Fritz Lobheimer betrügt. Es wird ein Duell
verabredet, und der Störenfried empfiehlt sich wieder. Die Mädchen,
die in ein Nebenzimmer gebracht worden sind, sollen natürlich Nichts
von dem Zweikampf wissen, und so wird nach dem Verschwinden
des Rächers seiner Ehre flott weiler gegessen, gesungen, getanzt!
und gepfissen. Endlich empfiehlt sich die lustige Gesellschaft, Fritz Leb¬
heimer bleibt in düsterem Brüten allein, während sein Freund, draußen:
einen Gassenhauer pfeifend, die beiden „Mädels“ nach Hause begleitet.
Der Vorhang fällt
sodann.
Die beiden folgenden Akte
sind allein der Charakter=Entwickelung Christinen's gewidmet.
Fritz Lobheimer fällt im Duell, nachdem er seiner Christine, die er erst
jetzt schätzen gelernt, einen letzten Besuch abgestatiet hat. Christine er¬
räth und erfährt, weshalb ihr Geliebter sein Leben verloren hat, und
sieht mit Schandern, an wen sie sich weggeworfen hat. Sie verläßt das
Vaterhaus, um nicht wiederzukehren. Man neigt zu dem Glauben, daß
sie sich tödten wird.
Aus dem kleinen Liebesgeplänkel des ersten Aktes entwickelt sich also
unversehens eine blutige und große Lebensschlacht; wenigstens will uns
der Antor zu dem Glauben bringen, daß mit den Truppen, die er auf
die Bühne bringt, eine solche geschlagen werden kann und geschlagen
wird. Es würde hier zu weit führen, wenn wir untersuchen wollten, ob
dies überhaupt möglich ist. Jedenfalls hatte auch die Zuhörerschaft das
Gefühl, daß hier nicht Alles mit rechten Dingen zugehe, und so verhielt
sie sich dem Stücke gegenüber ziemlich kühl.
Desto mehr aber feierte das völlig ausverkaufte Haus seinen Lieb¬
ling, Frl. Lotte Witt, welche die Rolle der Christine mit dem ganzen
Aufgebot ihrer reichen darstellerischen Mittel durchführte. — Ebenso
boten die meisten übrigen Mitwirkenden ihr Bestes. Frl. Engl war
eine ganz ausgezeichnete Mizi Schlager und die Herren Vozenhard
und Nhil schufen aus den alten Wiener Studenten sehr wirksame
Charaktersiguren. Weniger befriedigte Frl. Stengel, die leicht in Ueber¬
Sreibungen verfällt und Herr Flashar, der den alten Weiring namentlich
im letzten Akt wohl zu sentimental darstellte. Herr Pander hatte
die Novilät mit gewohnter Umsicht inscenirt.
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