II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 417

Liebele
5. „1 box 10/5
Theater.
Am Samstag den 27. März sand im Residenz¬
theater die Erstaufführung von „John Gabriel
Borkman“, des letzten Stückes von Henrik Ibsen
statt Tags darauf am Sonntag wurde Nachmittags im
[Deutschen Theater „Die Liebelei“ von
Arthur Schnitzler vor den Gewerkschaften wiederholt.
Die Aufnahme des Borkmann war kühl; das Stück
erzielte in keiner Szene die Wirkung, die der dritte Akt
der Liebelei hervorzubringen im Stande
Im
ist.
Residenztheater wird der Beifall der fanatischen Ibsen¬
anhänger, die alles, was vom Meister kommt, für gut
nehmen, mit Recht angefochten; im Deutschen Theater
ehrlicher schlichter, ungetrübter Beifall für ein Werk, das
unmittelbar mit schlichten Worten und in schlichter Form
zum Herzen spricht.
Wir stehen jetzt Ibsen anders gegenüber als zu
Anfang der achtziger Jahre. Damals, als sich in
Deutschland die junge Dichtergeneration zum erstenmale
hervorwagte, war er ein Leitstern. Wir hatten keinen
großen modernen Dramatiker und auf unsern Bühnen
herrschte die schlechte Waare der französischen Bühnen¬
futterlieferanten und ihrer geschäftigen deutschen Nach¬
äffer. Da sah die junge Generation zu Ibsen auf als
zu dem Wegweiser einer neuen Kunst. Wie er in der
Literatur seines kleinen Landes die die Zeit bewegenden
Fragen künstlerisch zu bewältigen verstand, so wollte auch
die deutsche Dicherjugend die Gegenwart künstlerisch
meistern.
Heute, nachdem mehr als 10 Jahre ins Land gen
zogen sind, stehen wir dem großen Ausländer anders
gegenüber. Einmal haben wir selber Dramen, die sich
neben den fremden sehen lassen können. Wir haben
Hauptmann, Halbe, Hartleben, und wir haben Schnitzler,
Und andrerseits ist der Ibsen von heute nicht mehr der
Ibsen der Gespenster, der Nora, des Volksfeindes, der
Wildente. Wir glauben zu erkennen, daß seine Ge¬
Gestaltungskraft erlahmt ist, wie es ja bei einem Manne,
der den Siebzigern nahe ist, nicht zu verwundern wäre.
Deswegen, weil wir jetzt selber eigenkräftige Dramatiker
haben und weil uns die Schöpsungskraft Ibsen's abzus
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Ondiccten
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nehmen scheint, stehen wir seinen letzten Werken zwar noch Liebe mit Füßen getretenu
mit der geziemenden Achtung gegenüber, die einem
rächt. Er hat Ella Renthei
großen Dichter immer gebührt, aber die alte Begeisterung
erstützung eines Advokaten
ist verflogen.
zu erlangen, hat er sie preis
Den Vorkman sollte nur eine Bühne vorführen, die ihr
schwester Gunhild geheirathe
Publikum mit Ibsens früheren Werken bis zur Wildente und
werbungen Hinkel's ab und
Rosmersholm vertrant gemacht hat. in deren Repertoire
Borkman ihm im Wege steh
diese Stücke feste Bestandtheile sind, wie sie es verdienen.
dem er, was Vorkman ihm
Nur dann ist das Publikum so weit geschult, daß es auch
Depots angegriffen hat, um ei
die eigenthümlichen Schönheiten dieses Stückes genießen
Werk zu setzen. Borkmans Ma
kann, und nur dann sind die Schauspieler so weit ge¬
dert ins Zuchthaus. Sein Pe
schult, daß sie das Stück so spielen können, daß seine
das derer, die ihm vertraut
Schwächen nicht beleidigend klar zu Tage treten. Für Eigenthum: denn Borkman
die Hofbühne treffen beide Bedingungen nicht zu. Ihr
liebten bei seinen Spekulati
Stammpublikum ist an Ibsen nicht gewöhnt, und ihre
sich der Schwester und ihres
Schauspieler sind einem Drama wie Borkman absolut
man das Zuchthaus verlasse
nicht gewachsen. Es muß rund heraus und mit aller
Familie, auf einem Gute
Schärse gesagt werden, daß die Darstellung des Borkman
Jahre hat er nun dort v
durchaus ungenügend war, sie war ungenügend im
Welt und gemieden von se
Ganzen und ungenügend im Einzelnen. Es rächt sich
des Hauses hart gemacht
hier die Gewohnheit der Direktion, von der modernen
Macht hat ihn auch jetzt
Theaterliteratur nur die Geschäftstalente der Fulda,
der Einsamkeit hat sie krank
Schönthan, Koppel, Lothar, Philippi zu Worte kommen
Noch immer hofft er, daß di
zu lassen. Die Schauspieler der Hofbühne sind aus
er wieder ein König im
wirklich moderne Stücke, die literarischen Werth
wird, wo man ihn holen i
haben, nicht eingespielt. Man stelle nur jetzt ein¬
auskommt. Sein einziger U
mal einen Vergleich zwischen der Hofbühne und dem
sich für einen Dichter hält u
Deutschen Theater an. Wie wollte denn die Hofbühne
einmal die Stunde der Anerke
ein Stück wie Schnitzlers Liebelei herausbringen? Ganz
man's Frau hat auch ihre kr
abgesehen davon, daß die Hofbühne keine Schauspielerin
auf ihren Sohn und erwartet
hat, die mit gleich elementarer Kraft wie Frl. Renier
der Familie wieder herstellen
die Christine im dritten Akte spielen könnte, hat sie keine
sein, für die sie ihn erziel
Schauspielerin, die wie Frl Hebbel die Mizi Schlage bewäl¬
Menschen, die ihr Leben mit
tigen könnte, und die andern Kräfte des deutschen eaters
tritt nun eines Tages Ella
sind jetzt so gut eingespielt, daß die Hofbühne von dem
nicht mit ihnen verkehrt hat,
Zusammenspiel dieser Kräfte zweiter und dritter Ordnung
das einen einzigen kurzen A
lernen könnte. Es ist das eine bittere Wahrheit, aber
dieser kurzen Spanne Zeit die
wer die Aufführung des Borkmann mit der der Liebelei
zeigt. Ella hat lange Zeit
vergleicht, wird sich ihr nicht verschließen können. Wenn
gehabt, ihn erzogen und all
dem Deutschen Theater eine stetige Weiterentwicklung be¬
Geliebten ihn herzlich liebgen
schieden wäre, so würde der Hofbühne, was die künst¬
Mutter wieder reklamirt, um
lerisch werthvollen modernen Stücke anlangt, eine gefähr¬
ziehen. Ella merkt aus seine
liche Konkurrenz geschaffen werden.
mählig fremd wird, und
John Gabriel Borkman hat wie alle Ibsen'schen
die Gewißheit erhalten,
Stücke der letzten zwanzig Jahre eine komplizirte Vor¬
um Erbard wieder für
geschichte, aus der im Drama selbst die letzten Schlüsse den beiden Schwestern iko
gezogen werden. Borkman ist Bankdirektor gewesen. leidenschaftlichen Kampfe um
Sein Traum ist es gewesen, ein König in der kapitalist= ist aussichtslos. Der junge
ischen Gesellschaft zu werden. Sein einziges Ziel ist die der Jugend, und will sich
Macht gewesen. Um diese zu erreichen. hat er seine die seine Mutter für ihn best