II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 427

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zu rühmen ist. Der junge Lebemann, der
Wiener Jeunesse dorée-,Fritz“, der neben
seinem richtigen „Egmont und Clärchen“¬
Verhältniß zu der Musikers=Tochter „Chri¬
stine“ noch eine viel höher, d. h. viel ge¬
fährlicher geartete Liaison mit einer Dame
der Gesellschaft unterhält, wird von dem
Gatten derselben entdeckt und gefordert.
Damit endet der erste Akt. Im zweiten
nimmt er dann von „Christine“. Abschied,
ohne daß diese natürlich weiß, um was es
sich handelt. Zwischen dem zweiten und
dritten Akt findet das Duell statt. „Fritz¬
fällt, und im dritten Akt sehen wir, wie
dieselbe Kugel, welche sein Herz durch¬
bohrt nicht minder dasjenige „Christinens“
getroffen und mit diesem die nämliche
tabula rasa gemacht hat.
Das ist eigentlich Alles. Aber Alles da¬
von, mit dem gegenstücklichen „Liebelei“=
Paar „Theodor“ und „Mizi“ dem alten
Vater Christinens, „Hans Weirich“ und
der Nachbarin, „Katharine Binder“ ist so
fesselnd und mit so spiegelbildlicher Lebens¬
treue dargelegt, daß man nicht weiß: ob
das sichere Auge, mit dem es gesehen, oder
die sichere Hand, mit der es wiedergegeben,
mehr zu bewundern ist. In der frischen,
bis zum Schneidenden frischen Wirklichkeits¬
und Wahrhaftigkeits=Atmosphäre, die diese
drei Akte durchweht, spüren wir denselben
Hauch, der dem ersten Akt der „Gebildeten
Menschen“ von Leon und der ganzen ersten
Hälfte von Wollzogen's „Lumpengesindel“
den besten und verdientesten Theil jener
Wirkung eingetragen, welche diese Stücke
diesen Winter auch im „Irving Place Thea¬
ter“ zu verzeichnen gehabt. Aber die
Schnitzler'sche Arbeit hat vor jenen beiden
den Vorzug voraus, daß der Verfasser in
ihr dem einschneidenden Ernst und jenem
Unheils=Lauern, das die wahrste und un¬
entrinnbarste Unterströmung alles Lebens
bildet, die Bahn bis zum Schluß breit offen
und frei gehalten. Er hat es nicht, gleich
den andern beiden Stückeschreibern, über
sich vermocht, nur um im letzten Akt schnell
noch einen Gallerie=Erfolg herauszuschlagen
das Publikum mit allerlei Clown=Grimas¬
sen heimzuschicken. Dafür ist es bei ihm
und
Etwas, wie das Schicksal selbst,
wieder meint man „Clärchen's“: „Weißt
Du, wo meine Heimath ist?“ zu hören! —
das uns über der entschwindenden Gestalt
der „Christine“ von der verödeten Bühne
beim letzten Fallen des Vorhangs entgegen
starrt.
Wie bei der Ibsen'schen Frauengestalt
liegt auch bei der Heldin des Schnitzleri¬
schen Stückes der Erfolg hauptsächlich in
einer fein detaillirten Ausmalung des in¬
„Nora“
neren Seelenlebens. Wie ihre
neu le¬
scheint auch Frau Sorma's „C
iglich von Stimmungen
rend
spricht und handelt schei
hne
unter dem Eindruck des
ak¬
daß indessen das feste G
ers darunter Einbuße
re¬
sie in jeder Geberde, in ihrer
viel¬
chen, von einer Natürlichkeit, wie
leicht außer der Duse keine zweite Schau¬
spielerin besitzt. Und hier mag noch etwas
erwähnt werden, worin sich die deutsche
Künstlerin von ihrer italienischen Rivalin
unterscheidet. Wer die Duse gesehen hat,
weiß, wie ihre körperliche Kraft oft er¬
lahmt, wie sie sich oft schonen muß, uund
erst zum Schluß einen Klimax herausar¬
beitet, der dann allerdings überwältigend
Agnes Sorma's Leistung dagegen ist
stets eine durchaus gesunde, sie erzielt al¬
lerdings keine so plötzlichen Steigerungen
wie die Italienerin, aber nur deshalb,
weil sie dieselben intensiver vorbereitet.
Es fehlt uns heute an Raum, um auf
die weitere Darstellung, die eine Glanz¬
leistung des Conried'schen Ensembles war,
näher einzugehen, wir werden im Sonn¬
tagsblatt noch darauf zurückkommen. Er¬
wähnt mag für heute nur werden daß Herr
Link als Hans Meiring, Anna Braga als
Mizi Schlager, Hubert Reusch als Fritz
Lobheimer und Julius Strobl als Theo¬
dor Kaiser jeder reichlich sein Theil zu dem
Erfolge des Abends beitrug, einem Erfolge,
dee sich in stürmischen Hervorrufen nach
jedem Aktschluß kundgab.
Wer die „Nora“ der Frau Agnes
Sorma gesehen, begreift, warum die
große Berliner Schauspielerin mit beiden
Händen nach der Rolle der „Christine“ ge¬
griffen.