II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 431

die
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inniger Liebe einem Manne ganz ergeben,
von dem sie weiß, daß er sie früher oder spä¬
ter verlassen wird; daß die Seligkeit ihres
Liebesglückes nur vorübergehend sein wird.
Eine Nakur, wie die ihre, kann dieses kurze
Glück nicht ungetrübt genießen. Und vol¬
lens an diesem Abend nicht, wo nicht nur
unklare Ahnungen ihr Herz bedrücken, son¬
dern bereits in der bestimmteren Gestalt
einer geheimnißvollen schönen Nebenbuhle¬
rin am Horizont auftauchen. Der Eine,der
alle diese Sorgenwolken am Himmel ver¬
scheuchen könnte, ihr geliebler Fritz, ist selbst
nicht mehr frei davon. Auch auf seiner
Stimmung liegt ein Schatten. Er ist der
Liebelei mit dem Mädchen aus dem Volke
bereits überdrüssig, er mag ihre tiefsenti¬
mentale Art, sich zu geben, nicht mehr; er
liegt bereits in den Fesseln eines anderen,
eines „interessanten“ Weibes und nur in
Christinen's unmittelbarer Nähe erwachen
wieder wärmere Gefühle für sie. Zudem ist
bereits eine Gefahr in Sicht getreten. Das
interessante Weib hat einen Gatten und die¬
ser Gatte scheint nicht mehr ganz ahnungs¬
los zu sein. Unter solchen Umständen liegt
natürlich ein Schleier über dem „lustigen
Souper“, den auch die beiden jungen Skep¬
tiker des Liebeslebens, Theodor und
nicht zu heben ver¬
seine Mizi,
der vielmehr vollens sich
mögen,
verdichtet, als jener Gatte wirklich auf
der Bildfläche erscheint und mit der Duell¬
drohung das tragische Ende des Ganzen
vorbereitet. Diese Stimmung, diese At¬
mosphäre von gezwungener, schattenumla¬
gerter Lebensfreude hat der Autor trefflich
erfaßt und durchgeführt mit den einfachen
Mitteln schlichter und eben dadurch poetisch
wirkender Lebenswahrheit. Nicht so glück¬
lich war — Frau Agnes Sorma ausge¬
nommen — die hiesige Darstellung. Herr
Strobl spielte den „Theodor“ um eine
Nüance zu ernst, Frl. Anna Braga die
„Mizi“ um eine Schattirung zu aufdring¬
lich und auch der „Fritz“ des Herrn Hu¬
bert Reusch kam um ein gewisses Etwas zu
kurz, erschien im Charakter oberflächlicher,
als unbedingt nöthig war. Aber selbst an¬
genommen, ihr Spiel im Einzelnen wäre
korrekt gewesen — es spielte Jeder für sich,
es fehlte das intime, stimmungsvolle Auf¬
gehen im Zusammenspiel, welches sich dem
Publikum mittheilen muß, wenn Stücke
dieser Art wirken sollen. Daher rührt
auch, daß einzelne Beurtheiler gemeint ha¬
ben, in Agnes Sorma's Spiel im ersten
Akt etwas Gezwungenes zu sehen. In den
andern beiden Akten war das sicherlich nicht
der Fall, wo uns das schlichte Innenleben
der nicht mit den Sinnen, sondern mit dem
Herzen liebenden Christine deutlicher, inti¬
mer offenbart wird, wo wir uns sehr viel
mehr mit ihr, als mit den Andern beschäf¬
tigen und uns ganz dem tiefen Eindruck
überlassen können, den das ungezwungene,
natürliche und dabei fein=psychologische
Spiel der Darstellerin auf jeden dafür Em¬
pfänglichen machen muß. Im nächsten Akt
ist es Frau Sorma ausschließlich, welche
Stimmung macht durch unmittelbare see¬
lische Wiederspiegelung aller, wandelnden
Eindrücke welche von Außen an sie heran¬
treten, mit der stichelnden Nachbarin, dem
besorgten Vater, der leichtlebigen Freun¬
din, dem Geliebten und dessen Freund, der
ihn zum Todesgang abholt; während im
letzten Aufzug Dichter und Darstellerin
Hand in Hand gehen in schöner, ergreifen¬
(Fortsetzung auf der 11. Seite.)
rrlegung von #e 1. Ccnr
der 2 rgabe und Steigerung echt weib¬
lichen ühlsausdrucks.
Daß t alledem Frau Sorma's „Nora“
von stärterer Wirkung war, sein mußte,
haben wir bereits zugestanden. In Ib¬
sen's Schauspiel ist die Künstlerin von An¬
fang bis zu Ende, in jedem Moment, den
sie auf der Bühne zubringt, seelisch intensiv
beschäftigt, kann sich und ihr Können voll
und ganz ausgeben, während sich die
„Chistine in einem einfacheren, minder
komplicirten Stimmungsrahmen bewegt.
Der Eindruck, den „Nora“ hinterließ,
war deßhalb nachhaltiger und zeigte uns
das künstlerische Vermögen der Darstelle¬
rin in heller glänzendem Lichte, nicht nur
ihre vollendete mimische Technik, sondern
auch die eminente Gabe, von Herz zu Herz
das Gefühlsleben ihrer Rolle dem Zuhörer
mitzutheilen.
Der Erfolg ihrer „Nora“ ist um so höher
Ie
anzuschlagen, als Frau Sorma in diesem
Falle von den Mitwirkenden sehr mangel¬
haft unterstützt wurde, insbesondere durch
Herrn Pfeil, der seiner ganzen Anlage nach
sdh
nicht den „Robert Hellmer“ hätte spielen
dürfen. Herr Pfeil, mit seinem warmen,
1
sonoren Organ, war durchweg viel zu weich
we
und innig. Hellmer's Wesen muß von
Haus aus eine gewisse Herbheit ausströmen,
die ihn, den „überlegenen“ Mann, der das
Weib nur „von oben herab“ behandelt,
auch dann nicht verlassen darf, wenn er in
beg.
verliebter oder versöhnlicher Stimmung ist.
in
Fehlt dieser herbe Grundzug, so fehlt auch
1
der Kontrast, welcher hilft, Nora's späte¬
ren Charakterbruch verständlich zu machen.
Man nehme nur einmal an, Hellmer hätte
z. B. im letzten Akt, nach Empfang des #
zweiten Briefes, wirklich so aus vollem,
warmem Herzen versöhnlich gesprochen, wie
es aus Herrn Pfeil's Munde klang, —
vielleicht wäre dann selbst die verwan¬
delte Nora doch nicht auf und davon ge¬
gangen!