Liebel
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belei“ bedeutet einen Schuß in's Schwarze,
und Agnes Sorma als „Christine“, dieses
Wiener Muükantenkind in seinem jubeln¬
den Liebesglück und in seinem herzzer¬
reißendem Leide zu sehen und zu hören,
das sind Eindrücke, welche festhaften für
lange, lange Zeit.
Doch ehe wir auf die geniale Leistung
der großen Künstlerin eingehen, ein paar
Worte über das Schnitzler'sche Schauspiel.
Es ist eigentlich eine ungemein einfache
Geschichte, welche der noch junge Autor
uns da in drei Akten erzählt. Aber er ist
ein Dichter, der zu uns spricht, und uns
im tiefsten Innern zu erfassen weiß.
Denn, was er uns zeigt, sind lebendige
Menschen, wie wir alle sie kennen mit ih¬
ren bösen und guten Eigenschaften, ihren
Fehlern und Vorzügen. Diese jungen
Lebemänner, welche gelegentlich vielleicht
lieben, stets jedoch ohne viel Skrupel lie¬
und die ver¬
beln, giebt es überall
trauensseligen jungen Mädel, die den
zärtlichen Worten jener Leichtsinnigen
glauben, leider auch. Um sich von einem
sehr ernsthaften Verhältniß mit der Frau
eines Anders etwas „abzulenken,“ knüpft
Fritz Lobheimer auf den Rath seines
Freundes Theodor, der mit einer kleinen
Modistin innige Beziehungen unterhält,
mit der Tochter des Musikers Hans Wei¬
sing an. Und die hübsche Christine geht
darauf ein, leider jedoch ist bei ihr die
Gluth einer tiefen, ehrlichen Liebe, was
bei ihm nur Liebelei ist. Sehr lustig und
vergnüglich ist dieser Anfang, aber das
fröhliche Mahl, zu welchem sich Fritz und
Theodor mit ihren Schätzen zusammenge¬
funden haben, wird jäh unterbrochen: der
betrogene Gatte, der Alles entdeckt hat, er¬
scheint plötzlich und zieht den Verführer
seiner Frau zur Rechenschaft. Im zwei¬
ten und dritten Akte schildert der Autor
dann ganz meisterhaft den Kampf zwischen
Furcht und Hoffnung in Christine, zwi¬
schen dem Bösen und Guten in Fritz. Die
Wage neigt sich zu Gunsten des Guten —
da macht das Schicksal einen jähen Strich
durch die Rechnung: Fritz fällt im Duell
und zieht Christine nach sich in den Tod.
Das ist der Inhalt des Stückes, welches
das Publikum in höchster Spannung hält
und sowohl seiner ausgezeichneten Durch¬
führung nach, wie hinsichtlich der ihm zu
Grunde liegenden echten Moral zu den be¬
sten Werken der Jung=Modernen zu rech¬
nen ist.
Und wie spielte Agnes Sorma die Chri=!“
stine! Das war ein Menschenkind, das aus
dem tiefsten Empfinden der großen Künst=3
lerin emporgestiegen ist, keusch, innig, ein¬
fach, entzückend in ihrem Jubel und er¬
schütternd in ihrem unendlichen Schmerze.
Sie findet Töne in der Offenbarung der
Liebe, welche dem Herzen entquellen und
*
deßhalb auch zum Herzen gehen. Und wie
dann in ihr aus der Freude der Schmerz
geboren wird, wie er zu herzzerreißender
Kraft emporwächst, um sich am Schlusse i
einem einzigen furchtbaren Aufschrei Luf
zu machen, — das ist so erschütternd, daß
wohl nur wenige Augen in dem Zuschauer¬
sraume dabei trocken bleiben konnten. Wenn
Agnes Sorma keine Rolle als die „Chri¬
stine“ auf ihrem Repertoire hätte, — die
allein würde sie unter die Größten ihrer
Kunst stellen.
Die Aufnahme Seitens des Publikums
war schon in den beiden ersten Akten, wo sie
ihrer leidenschaftlichen Liebe den größten
Zwang anthun mußte und trotzdem durch
Spiel wie durch die wunderbar weiche Mo¬
dulation der Sprache Alle mit Zauberge¬
walt zu fesseln wußte, eine enthustastische
und steigerte sich bei jeder Szene des letzten
Aktes bis zum Schluß. Wie wunderbar, wie
bisher unerreicht würde sie im „Faust“ das
Grethchen zu verkörpern wissen! Der ihr ge¬
spendete Beifall war selbstverständlich.
Sämmtlichen Mitspielenden aber muß das
Lob ertheilt werden, daß sie ihr ganzes Kön¬
nen und Wollen vollauf zur Geltung brach¬
ten. Adolph Link als Hans Weiring, Hu¬
bert Reusch als Fritz Lobheimer, Julius
Strobel als flotter wiener Windbeutel, so¬
wie Max Bira in seiner kleinen, aber wich¬
tigen Rolle leisteten in Allem ganz Meister¬
haftes.
Heute und morgen Abend wiederholt
Agnes Sorma die gestrige Rolle. Am
Samstag wird sie auf vielseitigen Wunsch
als Norma wieder auftreten.
*
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belei“ bedeutet einen Schuß in's Schwarze,
und Agnes Sorma als „Christine“, dieses
Wiener Muükantenkind in seinem jubeln¬
den Liebesglück und in seinem herzzer¬
reißendem Leide zu sehen und zu hören,
das sind Eindrücke, welche festhaften für
lange, lange Zeit.
Doch ehe wir auf die geniale Leistung
der großen Künstlerin eingehen, ein paar
Worte über das Schnitzler'sche Schauspiel.
Es ist eigentlich eine ungemein einfache
Geschichte, welche der noch junge Autor
uns da in drei Akten erzählt. Aber er ist
ein Dichter, der zu uns spricht, und uns
im tiefsten Innern zu erfassen weiß.
Denn, was er uns zeigt, sind lebendige
Menschen, wie wir alle sie kennen mit ih¬
ren bösen und guten Eigenschaften, ihren
Fehlern und Vorzügen. Diese jungen
Lebemänner, welche gelegentlich vielleicht
lieben, stets jedoch ohne viel Skrupel lie¬
und die ver¬
beln, giebt es überall
trauensseligen jungen Mädel, die den
zärtlichen Worten jener Leichtsinnigen
glauben, leider auch. Um sich von einem
sehr ernsthaften Verhältniß mit der Frau
eines Anders etwas „abzulenken,“ knüpft
Fritz Lobheimer auf den Rath seines
Freundes Theodor, der mit einer kleinen
Modistin innige Beziehungen unterhält,
mit der Tochter des Musikers Hans Wei¬
sing an. Und die hübsche Christine geht
darauf ein, leider jedoch ist bei ihr die
Gluth einer tiefen, ehrlichen Liebe, was
bei ihm nur Liebelei ist. Sehr lustig und
vergnüglich ist dieser Anfang, aber das
fröhliche Mahl, zu welchem sich Fritz und
Theodor mit ihren Schätzen zusammenge¬
funden haben, wird jäh unterbrochen: der
betrogene Gatte, der Alles entdeckt hat, er¬
scheint plötzlich und zieht den Verführer
seiner Frau zur Rechenschaft. Im zwei¬
ten und dritten Akte schildert der Autor
dann ganz meisterhaft den Kampf zwischen
Furcht und Hoffnung in Christine, zwi¬
schen dem Bösen und Guten in Fritz. Die
Wage neigt sich zu Gunsten des Guten —
da macht das Schicksal einen jähen Strich
durch die Rechnung: Fritz fällt im Duell
und zieht Christine nach sich in den Tod.
Das ist der Inhalt des Stückes, welches
das Publikum in höchster Spannung hält
und sowohl seiner ausgezeichneten Durch¬
führung nach, wie hinsichtlich der ihm zu
Grunde liegenden echten Moral zu den be¬
sten Werken der Jung=Modernen zu rech¬
nen ist.
Und wie spielte Agnes Sorma die Chri=!“
stine! Das war ein Menschenkind, das aus
dem tiefsten Empfinden der großen Künst=3
lerin emporgestiegen ist, keusch, innig, ein¬
fach, entzückend in ihrem Jubel und er¬
schütternd in ihrem unendlichen Schmerze.
Sie findet Töne in der Offenbarung der
Liebe, welche dem Herzen entquellen und
*
deßhalb auch zum Herzen gehen. Und wie
dann in ihr aus der Freude der Schmerz
geboren wird, wie er zu herzzerreißender
Kraft emporwächst, um sich am Schlusse i
einem einzigen furchtbaren Aufschrei Luf
zu machen, — das ist so erschütternd, daß
wohl nur wenige Augen in dem Zuschauer¬
sraume dabei trocken bleiben konnten. Wenn
Agnes Sorma keine Rolle als die „Chri¬
stine“ auf ihrem Repertoire hätte, — die
allein würde sie unter die Größten ihrer
Kunst stellen.
Die Aufnahme Seitens des Publikums
war schon in den beiden ersten Akten, wo sie
ihrer leidenschaftlichen Liebe den größten
Zwang anthun mußte und trotzdem durch
Spiel wie durch die wunderbar weiche Mo¬
dulation der Sprache Alle mit Zauberge¬
walt zu fesseln wußte, eine enthustastische
und steigerte sich bei jeder Szene des letzten
Aktes bis zum Schluß. Wie wunderbar, wie
bisher unerreicht würde sie im „Faust“ das
Grethchen zu verkörpern wissen! Der ihr ge¬
spendete Beifall war selbstverständlich.
Sämmtlichen Mitspielenden aber muß das
Lob ertheilt werden, daß sie ihr ganzes Kön¬
nen und Wollen vollauf zur Geltung brach¬
ten. Adolph Link als Hans Weiring, Hu¬
bert Reusch als Fritz Lobheimer, Julius
Strobel als flotter wiener Windbeutel, so¬
wie Max Bira in seiner kleinen, aber wich¬
tigen Rolle leisteten in Allem ganz Meister¬
haftes.
Heute und morgen Abend wiederholt
Agnes Sorma die gestrige Rolle. Am
Samstag wird sie auf vielseitigen Wunsch
als Norma wieder auftreten.
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