Liebelei
5.— box 10/5
Irving Place=Theater.
Agnes Sorma hat gestern Abend ihrer
interessanten und bedeutenden „Nora“ eine
andere Frauengestalt gegenübergestellt,
welche ihre darstellerische Begabung in ein
ergänzendes Licht rückt. „Gegenüberge¬
stellt“ ist deßhalb der geeignete Ausdruck,
weil Ibsen's „Nora“ mit ihrem konstanten
Stimmungswechsel und ihrem späteren
Charakterbruch ein komplicirtes Innen¬
leben führt, während Arthur Schnitzler's
„Christine“ in dem dreiaktigen Volksstück:
„Liebelei“ ganz schlicht und einfach ein
Mädchen aus dem Wiener Volke ist, ohne
Spur seelischer Komplikation. Ein Mäd¬
chen, welches in ihrer tiefsentimentalen
Veranlagung ihr junges Herz voll Liebe
an einen Mann gehängt u. sich ihm rück¬
haltslos zu eigen gegeben hat. Und den¬
noch ist andererseits diese Mädchengestalt
insofern der „Nora“ verwandt, als auch
sie nach Lebensglück verlangt und als auch
über ihr Sehnen sich immer dunklere Schat¬
ten legen, Schatten, welche die eigene
ahnungsvolle Sentimentalität auf ihr Ge¬
müth geworfen.
„Christine" liebt einen jungen Lebemann
und unterhält mit diesem schon seit längerer
Zeit ein intimes Verhältniß. Ihm ist die¬
ses Verhältniß aber nur eine „Liebelei“
der er schon begonnen hat, überdrüssig zu
werden, weil ihm Christinens sentimentale
Art, ihre Neigung zu bekunden, auf die Dauer
lästig geworden ist, weil er ihre „großen
Worte“ von ewiger und einziger Liebe „nicht
ausstehen“ kann. Auch „Christine“ selbst
faßt das Verhältniß durchaus nicht als ein
dauerndes auf, dafür hat sie doch zu viel
Lebenskenntniß. Aber so lange es dauert,
will sie wenigstens geliebt und die ein¬
zige Geliebte sein. Daß sie das bereits
nicht mehr ist, daß ihr Fritz sie nur noch
„lieb hat“ wenn er gerade bei ihr ist, das
ahnt sie und diese Ahnung legt sich ihr
schwer und immer schwerer auf's Herz. Das
sich steigernde Ringen des Mädchenherzens
mit diesem unbestimmten Angstgefühl ist
die schlichte, einfache Aufgabe der Darstelle¬
rin der Rolle — bis zum Schlußmomente
des letzten Aktes, der einen hochdramatischen
Verzweiflungsausbruch bringt. Die Auf¬
gabe ist aber gerade in ihrer Schlichtheit
und Einfachheit um so schwieriger, als der
Autor die Zeichnung zwar sehr stimmungs¬
voll, aber sehr diskret gehalten hat.
Auch an Lobeserhebungen über die Wie¬
dergabe der Rolle durch Agnes Sorma las¬
sen sich nicht viel Worte machen. Sie spielt
die Gestalt, wie sie ist, mit schlichter Innig¬
keit und zu Herzen sprechender Hingebung,
natürlich und innerlich. Man muß verstan¬
den haben, das in seiner schmucklosen Ein¬
fachheit auf sich wirken zu lassen, um die
schauspielerische Bedeutung des Spiels zu
erfassen.
Die Sorma der Ibsen'schen Frauenge¬
stalt bekommen wir nur gegen Schluß des
Schnitzler'schen Dramas wieder zu sehen.
„Christine“ erfährt dort erst, was der Zu¬
schauer längst weiß, — daß ihre Ahnungen
sie nicht betrogen haben. Ihr Geliebter
liegt schon seit längerer Zeit in den Fesseln
der Reize eines anderen Weibes, einer ver¬
heiratheten Frau. Das Verhältniß kommt
zur Kenntniß des Gatten und ein Duell
ist die Folge, in welchem „Fritz“ den Tod
findet. „Christine“ erhält die Bestätigung
ihrer Befürchtungen erst mit der Todes¬
nachricht zugleich. Der darauffolgende, ihr
ganzes Innere aufwühlende Verzweiflungs¬
ausbruch, vorbereitet durch den gesteigerten
Druck der Ahnungsfülle, wird von Agnes
Sorma ergreifend gespielt. Die aufsteigende
schmerzliche Bitterkeit, die herztödtenden
Qualen des Bewußtseins, daß der Geliebte
um einer Anderen Willen sich hat tödten
5.— box 10/5
Irving Place=Theater.
Agnes Sorma hat gestern Abend ihrer
interessanten und bedeutenden „Nora“ eine
andere Frauengestalt gegenübergestellt,
welche ihre darstellerische Begabung in ein
ergänzendes Licht rückt. „Gegenüberge¬
stellt“ ist deßhalb der geeignete Ausdruck,
weil Ibsen's „Nora“ mit ihrem konstanten
Stimmungswechsel und ihrem späteren
Charakterbruch ein komplicirtes Innen¬
leben führt, während Arthur Schnitzler's
„Christine“ in dem dreiaktigen Volksstück:
„Liebelei“ ganz schlicht und einfach ein
Mädchen aus dem Wiener Volke ist, ohne
Spur seelischer Komplikation. Ein Mäd¬
chen, welches in ihrer tiefsentimentalen
Veranlagung ihr junges Herz voll Liebe
an einen Mann gehängt u. sich ihm rück¬
haltslos zu eigen gegeben hat. Und den¬
noch ist andererseits diese Mädchengestalt
insofern der „Nora“ verwandt, als auch
sie nach Lebensglück verlangt und als auch
über ihr Sehnen sich immer dunklere Schat¬
ten legen, Schatten, welche die eigene
ahnungsvolle Sentimentalität auf ihr Ge¬
müth geworfen.
„Christine" liebt einen jungen Lebemann
und unterhält mit diesem schon seit längerer
Zeit ein intimes Verhältniß. Ihm ist die¬
ses Verhältniß aber nur eine „Liebelei“
der er schon begonnen hat, überdrüssig zu
werden, weil ihm Christinens sentimentale
Art, ihre Neigung zu bekunden, auf die Dauer
lästig geworden ist, weil er ihre „großen
Worte“ von ewiger und einziger Liebe „nicht
ausstehen“ kann. Auch „Christine“ selbst
faßt das Verhältniß durchaus nicht als ein
dauerndes auf, dafür hat sie doch zu viel
Lebenskenntniß. Aber so lange es dauert,
will sie wenigstens geliebt und die ein¬
zige Geliebte sein. Daß sie das bereits
nicht mehr ist, daß ihr Fritz sie nur noch
„lieb hat“ wenn er gerade bei ihr ist, das
ahnt sie und diese Ahnung legt sich ihr
schwer und immer schwerer auf's Herz. Das
sich steigernde Ringen des Mädchenherzens
mit diesem unbestimmten Angstgefühl ist
die schlichte, einfache Aufgabe der Darstelle¬
rin der Rolle — bis zum Schlußmomente
des letzten Aktes, der einen hochdramatischen
Verzweiflungsausbruch bringt. Die Auf¬
gabe ist aber gerade in ihrer Schlichtheit
und Einfachheit um so schwieriger, als der
Autor die Zeichnung zwar sehr stimmungs¬
voll, aber sehr diskret gehalten hat.
Auch an Lobeserhebungen über die Wie¬
dergabe der Rolle durch Agnes Sorma las¬
sen sich nicht viel Worte machen. Sie spielt
die Gestalt, wie sie ist, mit schlichter Innig¬
keit und zu Herzen sprechender Hingebung,
natürlich und innerlich. Man muß verstan¬
den haben, das in seiner schmucklosen Ein¬
fachheit auf sich wirken zu lassen, um die
schauspielerische Bedeutung des Spiels zu
erfassen.
Die Sorma der Ibsen'schen Frauenge¬
stalt bekommen wir nur gegen Schluß des
Schnitzler'schen Dramas wieder zu sehen.
„Christine“ erfährt dort erst, was der Zu¬
schauer längst weiß, — daß ihre Ahnungen
sie nicht betrogen haben. Ihr Geliebter
liegt schon seit längerer Zeit in den Fesseln
der Reize eines anderen Weibes, einer ver¬
heiratheten Frau. Das Verhältniß kommt
zur Kenntniß des Gatten und ein Duell
ist die Folge, in welchem „Fritz“ den Tod
findet. „Christine“ erhält die Bestätigung
ihrer Befürchtungen erst mit der Todes¬
nachricht zugleich. Der darauffolgende, ihr
ganzes Innere aufwühlende Verzweiflungs¬
ausbruch, vorbereitet durch den gesteigerten
Druck der Ahnungsfülle, wird von Agnes
Sorma ergreifend gespielt. Die aufsteigende
schmerzliche Bitterkeit, die herztödtenden
Qualen des Bewußtseins, daß der Geliebte
um einer Anderen Willen sich hat tödten