II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 458

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Liebel
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Berliner Borjen=Zeitung Nr. 233.

— Ein meuternder Sträfling stand gestern in
sich
der Person des „Arbeiters“ Nikolaus Jorditzki unter
der Anklage der schweren Körperverletzung, des Wider¬
tten.
Be¬
standes gegen die Saatsgewalt und der Verleumdung
vor der zweiten Strafkammer des Landgerichts II.
Die Angeklagte hatte im Centralgefängniß „Plötzensee“
eine sechsmonatliche Strafe zu verbüten, doch wirkte
ihn¬
ihm die wenig argeneh.ne ussicht, sofort nach Ver¬
raße
büßung dieser Strafe nach, dem Zuchthause überführt
An¬
zu werden, denn er war mittierweile wiederum wegen
hine
Diebstahls zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt worden.
Ge¬
Am 8. März, Abends gegen 10 Uhr, erschien der Auf¬
sei.
feher Standhordt mit zwei anderen Gefangenen in der
be¬
Zelle des Angeklagten, um diesem die Arbeit für den
ille¬
nachsten Tag zu übergeben. Während er am Tische
den
stand, um die Ablieferung des Arveitsmaterials zu
dem
notiren, erhielt er von dem Angeklagten plötzlich von
0
hinterrücks mittelst eines dicken Schemmelbeines einen
scht
wuchtigen Schlag über den Hinterkopf. Mit einem
äßt
lauten Aufschrei ziel der Verletzte bewußtlos zur Erde.
ihre
Durch den Schrei veranlaßt erschienen die beiden bereits
vorausgegangenen Gefangenen wieder in der Zelle, sie
iegt
konnten aber nicht verhindern, daß der Excedent den
am Boden liegenden Aufseher noch wiederholt schlug
chte
und mit Füßen trat. Am nächsten Tage ließ sich
der Gefangene vor den Polizei=Inspector des Ge¬
de¬
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fängnisses vorführen und brachte zur Anzeige,
Be¬
der von ihm mißhandelte Aufseher Stendhardt habe
nte
ihm etwas in das Mittagessen gethan, um ihn zu ver¬
ster
giften, was sich sofort als falsch erweisen ließ. Der
uf¬
Angeklagte wußte sein Verhalten heute gar nicht zu
entschuldigen. Der verletzte Aufseher hat zwei Monate
in der Charité zugebracht, ist aber noch jetzt nicht
tag
lte
völlig geheilt. Der Gerichtshof erkannte auf eine
Strafe von drei Jahren und zwei Monaten Gefäng¬
er
niß. Der Angeklagte hatte nur die eine Bitte an den
Gerichtshof, die Gefänglußstrafe in Zuchthaus umzu¬
wandeln, diese Bitte blich jedoch unerfüllt.
Gegen 7000 Mk. hat der Handlungsgehilfe
Heinrich Kullnick innerhalb eines Jahres durch¬
gebracht. Er hatte das Glück, troßz seines noch jugend¬
lichen Alters von 23 Jahren als Leiter einer Filiale
eines großen hiesigen Geschäfts angestellt zu werden.
Dieses Vertrauensvostens erwies er sich höchst un¬
würdig. Er wirthschaftete in der unverantwortlichsten
Weise, verkaufte Waaren vom Lager, ohne den
Erlös zu buchen, unterschlug eingegangene Beträge
und entnahm der Kasse wiederholt größere Summen.
Nach Schluß des Geschäftes und an Sonntagen
verkehrte Kullnick in den feinsten Localen, wo er sich
das beste auftischen ließ, was Küche und Keller bot.
Sein Gehult von 1500 Mark konnte hierzu natürlich
nicht reichen und so wurde er das Opfer seines Leicht¬
sinns und seiner Genußsucht. Im gestrigen Termin
vor der dritten Strafkammer des Landgerichts 1 bean¬
tragte der Staatsanwalt gegen Kullnick eine Ge¬
fängnißstrafe von 9 Monaten, der Gerichtshof verur¬
theilte aber den Angeklagten, dem nicht ein einziger
Milderungsgrund zur Seite stehe, zu einer Gefängni߬
strafe von einem Jahre sechs Monaten und ordnete
seine sofortige Verhaftung an.
Eine verhängnißvolle Liebhaberei für
Droschkenfahrten bsitzt die sich „Instrumental¬
künstlerin“ neunende unverehelichte Adelheid Florus,
welche gestern der ersten Strafkammer des Land¬
gerichts! aus der Untersuchungshaft vorgeführt wurde.
Die Angeklagte reist im Deutschen Reiche mit einem
#ylophon umher. Aber in den meisten Städten, die
sie besucht hat, mußte sie die Gefängnisse kennen lernen.
Ihre Vorstrafen bewegen sich auf den verschiedensten
Gebieten, zumeist verübte sie Betrügereien dadurch, daß
sie sich in Droschken umherfahren ließ, ohne im Besitze
von Mitteln zu sein. Am 3. April wurde sie nach einer
viermonatigen Haft aus dem Gefängnisse zu Leipzig ent¬
lassen. Sie wandte sich nach Berlin. Hier verübte
sie sofort wieder den alten Betrug. Nach allerlei
Kreuz= und Querfahrten erklärte die Angeklagte einfach
dem Droschkenkutscher, daß sie kein Geld besitze, sie
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sich eines der wirksamsten Hilfsmittel und bringt, was
das Bedenklichste an der Sache ist, etwas Zwiespältiges
in die ganze Aufführung.
Mit dieser nicht unwesentlichen Einschränkung darf
die vorgestrige Leistung der Wiener Gastin mit zu dem
Bedeutendsten, ja Vollendetsten gerechnet werden, was
modernercalistische Schauspielkunst überhaupt bieten
kann, vor Allem auch darum, weil alles mit den ein¬
fachsten, discretesten und feinsten Mitteln ausgeführt
warde und nirgends ein vordringlicher virtuosenhafter
Zug das wundervoll einheitliche Bild störte oder ent¬
stellte. Im Grunde sind ja die beiden ersten
Acte des Stücks nur ein breitausgeführter
Auftakt zu der erschütternden Tragödie des Schlu߬
actes, doch fand Frl. Sandrock hier schon Gelegenheit
in ihrer Derstellung eine Fülle feinster psychologischer
Einzelzüge zu Tage treten zu lassen. Zu höchster
Höhe aber wuchs sie in dritten Acte impor. Wie
hier das arme, zertretene Meisasenkind, das
in wenigen Minuten den Kelch des Leidens
bis auf die letzte gallenbittere Neige zu leeren
gelecnt ##t, sich zu dem Entschlusse durchringt, seinem
Dasein ei Ende zu machen, das veranschaulicht Adele
Sandrock in Mienen, Geberden und Tönen, die bis
ins innerste Herz greifen. Alles an ihr ist hier echte,
nalurwahre Kunst, vor der jede Kritik verstummt.
Der tiefe ergreifende Cindruck dieser Seene spiegelte
sich in der ganzen Haltung des Publicums wieder,
das, tief erschüttert, sich erst nach dem Fallen des Vor¬
haugs zu einem einmüthigen, begeisterten Beifall empor¬
zuraffen vermochte.
Nach der Tragödie das Satyrspiel: nach Schnitzlers
„Liebelei" desselben Autors „Abschiedssouper“ eine oyper¬
pilante Chambre séparde-Sceue, in der ein Lebemann
von seiner „Freundin“ den Abschied erhält, den eigent¬
lich er ihr hatte geben wollen. Gewiß bot Frl. Vandorek
hier ein von sprühendem Humor erfülltes Cabinetsstück
anmuthiger Salonkunst doch wirkte die Sache
nach den großen feelischen Erregungen des ersten
Stückes nicht recht behaglich. Der Contrast war gar
zu grell und das Ganze erschien deshalb etwas de¬
placirt.
Uebrigens wurde der Wiener Gast im ersten Stücke
von Frl. Rupricht und Hrn. Weselin und im zweiten
von den Herren Lion und Grunewald recht wirksam
unterstützt.
err
Tbaater ist soeben..