II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 501

Selbst wenn wir, angesichts der starken Veranlagung
wenn auch noch so flüchtigen Glücks=Genießen in der
der Künstlerin, von dem Vorhandensein einer für sie
menschlichen Natur begründet ist.
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Liebelei
5. Lausezer
bestehenden directen Gefahr, eines raschen Verflachens
Doch biese von Christine Weiring geübte Art der
absehen wollen, so ist doch die kaum geringere
„Liebelei“, in die „nein die leidenschaftlichen Accente
Fatalität nicht zu übersehen, daß die Künstlerin
einer echten Liebe klingen, ist nicht das was dem Stücke
auf diese Weise den vorzeitigen Verlust jener Aus¬
seinen Charakter, dem Begriff der „Liebelei“ seinen
nahmemeinung riskirt, die sie sich durch ihre ersten
eigentlichen Inhalt giebt. Die schwärmerische
hiesigen Gastspiele bei dem Hamburgischen Publikum
Christine ist das blos Ausnahmsweise in diesen
geschaffen und die zu erhalten doch wahrlich Regen¬
Gesellschaft von Liebesleuten. Die eigentlichen und
stand eines gleichen Interesses für die Künstlerin und
typischen Vertreter Derer, die „Liebelei“ an Stelle
für die Direction des Theaters selbst sein sollte.
der Liebe setzen, sind die Modistin Mizi Schlager und
Von den Stücken, die in Veranlassung des Gast¬
deren Freund Theodor Kaiser; ist Christines Ge¬
spieles Frau Franck=Witt aufgeführt worden sind,
liebter Fritz Lobheimer, der gleichzeitig mehrere Lieb¬
wären nur noch einige Worte an das Schnitzler'sche
schaften unterhält, deren eine ihn vor die Pistole
Schauspiel „Liebelei“ zu wenden, das nach einem
eines beleidigten Gatten und in ein frühes Grab
kurzen Hospitiren aus den Spielplänen der Stadt= bringt; und ist nicht zuletzt der Vater Christinens,
theater Hamburg=Altona rascher verschwunden ist,
der alte Theatermusikant Weiring selbst, der
als es seiner inneren Beschaffenheit nach dies ver¬
auf
die
Warnung einer übelwollenden
„Reute.
Nachbarin, einer Strumpfwickersfrau, die aus
Christinens Umgang mit der leichtsinnigen Mizi
Zu den Schwierigkeiten, mit denen die moderne
Schlager allerlei Gefahren für die Tugend der ersteren
Bühne zu kämpfen hat, gehört die Forderung nach
prophezeit, unwirsch erwidert: „Was hat denn so
localem Colorit. Ein Bühnenwerk von heute soll

ein armes Geschöpf schließlich von dem ganzen gro߬
einen bestimmt wahe#mbaren Erdgeruch ausathmen,
wenn es voll genommen sein will, sonst fehlt ihm
artigen Bewußtsein seiner Tugend, wenn schon,
Thalia=Theater.
die Beglaubigung. Fruyer hatten es die Theater
nach jahrelangem Warten, richtig der Strumpfwirker
kommt?“
besser. Der Name „Irgendwo“ genügte als Orts¬
Gastspiel Käthe Franck=Witt. — „Liebklei“
angabe, und wenn es sich nicht gerade um bestimmte
Gesinnungen, wie hier, Situationen und Verbin¬
Das Publicum.
Dialecte handelte, gab es für die agirenden Per¬
dungen, wie sie in diesem Stücke sich finden, mögen
sonen nur einerlei Aussprache und einerlei Formen
ja auch anderwärts vorkommen, richtig gewürdigt
Frau Franck=Witt ist in den beiden letzten Tagen
des Verkehrs, die ebenso gut auf die Angehörigen
können sie aber doch nur in den Millionenstädten
zn vier großen Rollen aufgetreten. Vorgestern als
derselben Gesellschaftsschichte im Norden wie im Süden
werden, wo die Schmutzwelle der Versuchung unauf¬
Ehefrau in dem reizenden Fulda'schen Einacter
in Anwendung kommen konnten. Daß die Ansprüche
hörlich an die Schutzmauer hinan schlägt,
[Unter vier Augen“ und als Christine in dem
sich seithei geändert und in der oben angedeuteten
Sitte und Religion um das Herz des Arme=Leute¬
Schnitzler'schen Schauspiel „Liebelei"; gestern —
Weise gesteigert haben, muß manches Bühnenwerk,
Kindes gezogen haben.
Nachmittags 3 Uhr — in der Titelrolle „Cyprienne“
das sonst alle Qualitäten zur dauernden Einstellung
Von Frau Franck=Witt's Leistung als Christine
und am Abend ½8 Uhr als Frau von Pöchlarn in
in den Spielplan besitzt, mit einer nur vorübergehenden
Weiring wurde bereits oben kurz gesprochen. Die Wir¬
dem Lustspiel „Die Goldsische.“ Man braucht die
Künstlerin nicht in allen diesen Rollen gesehen zu Duldung bezahlen. In diesem Falle befindet sich
kung ihres Spiels wäre leicht zu vertiefen gewesen,
oben, um zu fühlen, daß in dieser Aufbietung ihre Athur Schnitlers Schauspiel „Liebelei“, trotzdem wenn die Künstlerin nicht von allem Anfang an in
es als Schauspiel manche der an ein solches zu stellenden
Moll, sondern mit etwas mehr Fröhlichkeit eingesetzt
Kraft sich rückläusig bewegen müsse, daß die Rollen
Bedingungen unerfüllt läßt und mehr als psycholo¬
hätte. Lebemänner vom Schlage des Fritz Lobmeier
Prei und Vier sich unmöglich mit den Rollen Eins
und Zwei auf einer gleichen künstlerischen Höhe erhelten nische Studie denn als Bühnenwerk hervorragt. Durch
lieben die allzu reichlich gespendeten Thränen nicht.
Punen. Und wer Frau Franck=Witt gesehen, der und durch ein Product der Wiener Luft, aus localen
Fräulein Göhrs war als Mizi Schla#= lustig, wenn
Wiener Verhältnissen herausgeboren und von einem
Salonkleide
auch nicht ganz frei von Zwang. Die
hit erst recht erfahren, wie sehr diese Empfindung
Wiener Schriftsteller mit jenen kleinen Jutimitäten
stets schätzenswerthe Frau Horva## war als
lch mit dem Thatsächlichen deckt. Mit Ausschluß
durchsetzt, die nur bei dem autochthonen Bewohner
klatschsüchtige Strumpfwirkersfrau nicht ganz
ger auch schon früher an dieser Stelle
der Phäakenstadt an der Donau auf ein entgegen¬
an ihrem Platze. Für den Fritz Lobheimer
gewürdigten „Cyprienne“ habe
ich
Frau
kommendes Verständniß rechnen dürfen, geht ein
bringt Herr Stockhausen manches, für den Theodor
Franck-Witt in den drei übrigen, im Eingang er¬
wähnten Rollen gesehen. Sie war entzückend als wesentlicher Theil der Wirkung des Stückes in der
Kaiser Herr Bozenhard jedoch nur dort das Erfor¬
Fremde verloren. Die „Liebelei“ hat mit der Ethik
derliche mit, wo es ihm gegönnt ist, sich lustig aus¬
ppriciöse, zum Schluß über beide Ohren verliebte
der Liebe nichts zu schaffen. Sie liegt vielmehr
zugeben. In Situationen, in denen die Seele im
Heine Frau in dem Fulda'schen Stück: etwas einrönig,
ich immer noch fesseind, in der Rolle der armen weitab von der Wegespur dessen, was wir im Sinne
tiefsten Leid erschauert, wirkt seine Anwesenheit wie
Musikerstochter Christine, die das flüssige Goldseiner feelischen Höchstspannung Liebe nennen. Es ist
ein nicht zur Sache gehörender Zufall. Herr Nhil
ihrer Liebesleidenschaft gegen das falsch legirte ein Zustand des Sündigens ohne Vorhandensein
endlich hatte die sehr kleine, doch wichtige Rolle des
Metall eines Dutzendmannes in die Wagschalej des Sündheitsgefühles, eine Inanspruchnahme des
„Herrn“ zu spielen, der von Fritz Ledheimer den
ohne Serupel über
Rechtes auf Genuß,
Schleier einfordert, den seine Frau in bessen Woh¬
wirft; müde und conventionell in der Rolle
die Ungesetzmäßigkeit dieser Inanspruchnahme
nung vergessen hat. Dieser „Herr“ geht wie ein Schatten
der auf einen überlegenen Salonton zugespitzten
Frau von Pöchlarn. Es ist dies ein ganz natür= und dieses Rechtes. Inhalt und Ideengang des durch das Stück — das lebendige Verhängniß. Diese
licher Vorgang, an dem nur das Eine befremdet, daß Stückes sind in der leiden chaftlichen Aussprache zu¬
Rolle muß darum auch durchaus einfoch u. g. so ge¬
sammengedrängt, in der eines der beiden „liebelnden“ spielt werden, wie sie Herr Nhil thätsächlich gespielt
er
nicht schon früher und nicht noch
Mädchen aus dem Volke ihren Geliebten apostrophirt:
— bis zu jeuem Augenblicke, in dem er auf den
eclatanter in die Erscheinung getreten ist. Denn
„Du bist ja frei, kannst mich verlassen, wie Du willst! schwachen Versuch des Lobheimer, den Besuch der
Frau Franck=Witt ist nicht nur als Gast in so
Tu hast mir nichts versprochen und ich hab' vo. Dir Frau in seiner Wohnung zu leugnen, aufbrausend
rascher Aufeinanderfolge in Hamburg thätig, sie ist
nichts verlangt. Was dann aus mir wird, es ist erwidert: „Sie hat ihn (den Schleier) hier ver¬
auch als actives Mitglied dem Stadttheater in
Leipzig verpflichtet und wenn wir auch ihre Leipziger ganz einerlei, ich bin doch einmal glücklich gewesen, gessen!“ An dieser Stelle gerieth Herr Nhil in ein
Thätigkeit nicht kennen, so ist doch wohl kaum auen= mehr will ich ja vom Leben nicht. Ich möchte nur, theatralisches Pathos — was bei zehn anderen Dar¬
nehmen, daß Director Staegemann diese eminente daß Du das weißt und mir glaubst, daß ich Keinen
stellern wahrscheinlich kaum bemerkt worden wäre, bei
Kraft unbeschäftigt spazieren gehen lassen wird. lieb gehabt vor Dir und daß ich Keinen lieb haben
diesem vornehmen Künstler aber gerade um seiner
werde, wenn Du mich nimmer willst...“
Daß aber eine solche Inauspruchnahme nur auf
sonstigen, ihn auszeichnenden Eigenschaften willen,
Kosten der Frische und Feinheit der Ausführung Schiller hat einem analogen Ideengang Aus¬
empfindlich auffiel.
zu erreichen ist, liegt auf der Hand und erklärt auch das bruck gegeben in den, dem Infanten Carlos —
Zu den mancherlei anderen Unbegreiflichkeiten, von
Ungleichartige in den von der Künstlerin hier erzielten hier also dem Manne — in den Mund gelegten
denen unser Theaterpublicum nicht lassen will —
Wirkungen. Mit aller Entschiedenheit aber müßte Worten: „Ein Augenblick gelebt im Paradiese, ist
dem Zuspätkommen und geräuschvollen Sicheindrän¬
nicht zu theuer mit dem Tod erkauft!“ — was wir
Frau Frank=Witt sich gegen die Zumuthung eines
gen in die Sitzreihen, dem lauten, trompetenartigen
zweimaligen Austretens an einem und demselben übrigens nur als einen Beweis anführen, dafür, wie Schneuzen selbst in Augenblicken, die durchaus auf
Tage in Rollen, wir sie sie gestern gespielt, wehren. sehr dieses lechzende Sehnen nach einem einmaligen, Stimmung berechnet sind 2c. — gehört auch das
Lachen an hiezu ungeeignetsten Stellen, was sich nur
aus der Unachtsamkeit erklärt, mit der die betressenden
Personen den Vorgängen auf der Bühne folgen.
So wurde auch eine Stelle belacht, in der der, vor
einem tödtlichen Zeikampf stehende Fritz Lobheimer,
mit einem letzten Blick der Sehnsucht und der Rene
auf sein verlorenes Leben, den Frieden umsaßt, der
das unter dem Dache gelegene Heim seiner betregenen
Geliebten erfüllt. Wenn diese Lacher nur wüßten,
wie erkältend ein solcher unzen näßer Heiterkeits¬
ausbruch auf das Empfinden des Torstellers einwirkt
und wie offen sie damit ihr eigenes Manco an
Gefühl und Urtheilsfähigkeit einbekennen...
I. E. w.