Lrebel
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e
r Morgen=Zeitung“.
27
Herr du meine Zeit, eine von Loyalität triefende, für Thron und
eden
Altar mit dem Brustion der Ueberzeugung kämpfende Zeitung nennt die
Abertkünftige Königin von Italien eine — Kastanienknabberin.
wie
Es ist um schwindlig zu werden. Steht denn nichts mehr fest?
t ist.
Wankt alles?
Ich gäbe was d'rum, Herrn Macola, den Besitzer der „Gazzetta
hnen,
inter
di Venezia“, den schneidigen Abgeordneten und Afrikakenner, den Feind
Hent¬
Meneliks und seines Gönners, des Zaren, bei der ersten Audienz, die er
Lirefnatürlich schleunigst nachsuchen wird, vor der Kastanienkauerin, Ver¬
von
zeihung, ich wollte sagen, vor der künftigen Königin von Italien zu sehen.
um
higer
Lobetheater. Sonnabend, 12. September: „Liebelei.“ Schau¬
undssviel von Arthur Schnitzler.
und
Die erste vollwichtige Novität der Spielzeit! Neulich gab man im
ollen
Lobetheater die „Renaissance". Die war in richtigen Versen „gedichtet“
hrem
und wirkte prosaisch. „Liebelei“ bedient sich der Prosa und ist eine
ge¬
Dichtung. Der Autor ist ein Wiener Kind, und wenn ich nicht irre,
der
Arzt gewesen, bevor er zur Feder griff. Es verging bereits manches
men¬
Jahr, seit die damals als Beilage zur „Presse“ erscheinende Wochenschrift
„An der schönen blauen Donau“ zuerst kleine, feine Novelletten von
däch¬
Arthur Schnitzler veröffentlichte. Schon zu jener Zeit nannten ihn seine
ihren
Freunde und die Gefährten vom Stammtische ein großes Talent.
Schnitzler hat noch geraume Weile gebraucht, um sich zu offenbaren, aber
auch
nun ist er zum Unterschiede von anderen Literaturcafé=Talenten wirksich
ionen
„Wer“ geworden. Ein Novellist, den man kauft, und ein Dramatiker,
den man aufführt.
stach
e hat
Ein großes, himmelstürmendes Genie ist Schnitzler keineswegs.
heute.
Eher dürfte man ihn eine sensitive, zarte Dichternatur nennen, die, merk¬
eipen
würdig genug, mit einem stupenden Blick für die Erscheinungen des all¬
chens
täglichen Lebens begabt ist. Schnitzler besitzt zudem die seltene Fähigkeit, diese
festen
Erscheinungen zu contrastreichen Bühnenwirkungen zu verwerthen. Der
ver
erste Act von „Liebelei“ ist davon ein starkes Beispiel. Ein Quartett
junger, verliebter, leichtsinniger Menschenkinder, zwei Lebemänner des
das
Mittelstandes und zwei Mädchen, bessere Grisetten. Beide Paare sind
her¬
Villant charakterisirt. Die fesche, kecke Schlager=Mizi mit ihrem drolligen,
nein¬
leicht oberflächlichen Schatz Theodor sind prächtige, echte Gewächse des
ethan
Wiener Bodens, auf dem Harmlosigkeit und heiterer Lebensgenuß noch
ischen
immer — wenn auch weit seltener als früher — gedeihen können. Da¬
nehen der tief angelegte, melancholisch=blasirte Frauenliebling Fritz,
Die
Sie
an dem die stille, zarte Christine in tiefer hingebender Liebe hängt.
Die vier sind in der Garconwohnung Fritzens zusammen. Sie soupiren,
ldigt
schwatzen Blödsinn, amüsiren sich. Ein ohne Sensationsmacherei gezeich¬
gen¬
Inetes Bild von prägnantester Lebensschärfe. Mitten hinein in den Tru¬
bel schrillt die Klingel, mitten in die Posse greift die Tragödie.
Leser
Den weitherzigen Fritz hat sein Liebebedürfniß nicht nur zu Mädchen
ingen
geringeren Standes, auch zu Damen der sogenannten guten Gesellschaft
riffen
geführt. Zu einer verheiratheten Frau hat er zuletzt in unerlaubten Be¬
ziehungen gestanden. Der betrogene Gatte ist es, der mitten in die
ichts
Lustigkeit des intimen Soupers hineinplatzt. Er kommt, um Rechen¬
aggio.
frei=schaft zu fordern. Eine kurze, harte, schwüle Scene. Dann geht der
seben, [Mann und die verscheuchten Mädchen kehren aus dem Nebenzimmer zu¬
Die
rück. Abe die richtige Lustigkeit ist erloschen. Es drückt auf sie Alle
wie Ahnuig kommenden Unheils. Man bricht auf und während sich
paal
jahr¬
draußen in der Nacht die lachenden Stimmen entfernen, bleibt Fritz
allein mit den Gedanken an das kommende Unheil.
am
Fürwahr ein Act, wie ihrer nicht viele geschrieben worden sind.
siten
Einfach, zwingend logisch, erschütternd. Die beiden Aufzüge, die dann
folgen, haben wunderschöne Scenen, scharf gezeichnete Charaktere, sehr viel
des Guten, aber sie reichen in ihrer poetischen wie dramatischen Wirk¬
ge=lsamkeit an ihren Vorgänger nicht heran.
Das Schicksal Fritzens und Christinens erfüllt sich. Gerade als
die
ein Fritz erkennt, daß Christine ihm mehr sein dürfte, als eine bloße „Liebelei“,
ter=ldaß sie ihm das Glück bedeuten könnte, fordert ihn die Vergeltung. Er
len,fällt im Duell von der Hand des Mannes, den er betrogen. Und die
tuchtarme Christine, die von der Katastrophe nicht eher erfährt, als bis ihr
und Liebstes schon im Grabe ruht, wird nicht länger leben. „Sie kommt
irtenicht wieder“, ruft die bange Ahnung aus Christinens Vater.
Dieses Stück, das mit seinem tnappen, alltäglichen Dialog, mit
un¬
seinen einfachen, gar nicht complicirten Menschen ebensoweit entfernt steht
tenlvon den blendenden Theaterpraktiken Sudermanns, wie von den seelischen
Grübeleien Hauptmanns, zeigt seinen Schöpfer als eine scharfumrissene
zer¬
dichterische Persönlichkeit. Nicht daß Alles, was Schnitzler zeigt, neu
igst
inerswäre. Im Gegentheil, die Handlung von „Liebelei“ ist ebenso oft da¬
gewesen, wie etwa das Duell als dramatisches Motiv. Aber Schnitzler
ener
durchdringt den trivialen Stoff mit der Kraft seines eigenen, besonderen
dem
Empfindens und erringt so, als wenn sie ihm von selber zuflögen, ganz
sich
erstaunliche, theatralische Wirkungen. Daß Beide: die Literatur und das
das
Theater, Vortheil haben von Schnitzlers Erstlingsschaffen, das ist das
besonders Erfreuliche an diesem dichterischen Debut.
irt“,
„Liebelei“ gehört zu den Stücken, die sich nicht von selber spielen,
Mans die einer starken schauspielerischen Interpreiation bedürfen. Das Werk ist
um eine Saison zu spät nach Breslau gekommen. Das Witte=Wild'sche
der
Ensemble, so musterhaft besonders im modernen Fache, hätte auch der
„Liebelei“ sicher einen durchschlagenden Erfolg verschafft. Bei der gegen¬
wärtigen Darstellung mußte man mit einem von der Regie (A. Hofmann)
weisel sorglich bereiteten Zusammenspiele, viel gutem Willen und einigen hübschen
Einzelleistungen vorlieb nehmen. Darum wollte sich der rechte Enthusiasmus
stern
im Publikum nicht einstellen. Ja, der vortreffliche erste##t begegnete
reich
einer fast kühl zu nennenden Aufnahme.
ischen
Es fehlt der für die vereinigten Theater geworbenen Truppe nicht an
in der
infeld.lpassablen Schauspielern, wohl aber an k ünstlerisch bedeutsamen Indivi¬
ungen dualitäten. Am raschesten dürfte sich zu einer solchen Frl. Jurberg
hrigesauswachsen, ein hübsches, munteres Persönchen, das mit kecker
eine Grazie und überwiegend trefflichem Gelingen die Schlager=Mizi
ungen verkörperte. Das war echtes Wiener Blut. Nur selten gewahrte man,
diel daß Frl. Jurberg an schauspielerischer Routine noch gewinnen darf.
5.— box 11/1
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r Morgen=Zeitung“.
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Herr du meine Zeit, eine von Loyalität triefende, für Thron und
eden
Altar mit dem Brustion der Ueberzeugung kämpfende Zeitung nennt die
Abertkünftige Königin von Italien eine — Kastanienknabberin.
wie
Es ist um schwindlig zu werden. Steht denn nichts mehr fest?
t ist.
Wankt alles?
Ich gäbe was d'rum, Herrn Macola, den Besitzer der „Gazzetta
hnen,
inter
di Venezia“, den schneidigen Abgeordneten und Afrikakenner, den Feind
Hent¬
Meneliks und seines Gönners, des Zaren, bei der ersten Audienz, die er
Lirefnatürlich schleunigst nachsuchen wird, vor der Kastanienkauerin, Ver¬
von
zeihung, ich wollte sagen, vor der künftigen Königin von Italien zu sehen.
um
higer
Lobetheater. Sonnabend, 12. September: „Liebelei.“ Schau¬
undssviel von Arthur Schnitzler.
und
Die erste vollwichtige Novität der Spielzeit! Neulich gab man im
ollen
Lobetheater die „Renaissance". Die war in richtigen Versen „gedichtet“
hrem
und wirkte prosaisch. „Liebelei“ bedient sich der Prosa und ist eine
ge¬
Dichtung. Der Autor ist ein Wiener Kind, und wenn ich nicht irre,
der
Arzt gewesen, bevor er zur Feder griff. Es verging bereits manches
men¬
Jahr, seit die damals als Beilage zur „Presse“ erscheinende Wochenschrift
„An der schönen blauen Donau“ zuerst kleine, feine Novelletten von
däch¬
Arthur Schnitzler veröffentlichte. Schon zu jener Zeit nannten ihn seine
ihren
Freunde und die Gefährten vom Stammtische ein großes Talent.
Schnitzler hat noch geraume Weile gebraucht, um sich zu offenbaren, aber
auch
nun ist er zum Unterschiede von anderen Literaturcafé=Talenten wirksich
ionen
„Wer“ geworden. Ein Novellist, den man kauft, und ein Dramatiker,
den man aufführt.
stach
e hat
Ein großes, himmelstürmendes Genie ist Schnitzler keineswegs.
heute.
Eher dürfte man ihn eine sensitive, zarte Dichternatur nennen, die, merk¬
eipen
würdig genug, mit einem stupenden Blick für die Erscheinungen des all¬
chens
täglichen Lebens begabt ist. Schnitzler besitzt zudem die seltene Fähigkeit, diese
festen
Erscheinungen zu contrastreichen Bühnenwirkungen zu verwerthen. Der
ver
erste Act von „Liebelei“ ist davon ein starkes Beispiel. Ein Quartett
junger, verliebter, leichtsinniger Menschenkinder, zwei Lebemänner des
das
Mittelstandes und zwei Mädchen, bessere Grisetten. Beide Paare sind
her¬
Villant charakterisirt. Die fesche, kecke Schlager=Mizi mit ihrem drolligen,
nein¬
leicht oberflächlichen Schatz Theodor sind prächtige, echte Gewächse des
ethan
Wiener Bodens, auf dem Harmlosigkeit und heiterer Lebensgenuß noch
ischen
immer — wenn auch weit seltener als früher — gedeihen können. Da¬
nehen der tief angelegte, melancholisch=blasirte Frauenliebling Fritz,
Die
Sie
an dem die stille, zarte Christine in tiefer hingebender Liebe hängt.
Die vier sind in der Garconwohnung Fritzens zusammen. Sie soupiren,
ldigt
schwatzen Blödsinn, amüsiren sich. Ein ohne Sensationsmacherei gezeich¬
gen¬
Inetes Bild von prägnantester Lebensschärfe. Mitten hinein in den Tru¬
bel schrillt die Klingel, mitten in die Posse greift die Tragödie.
Leser
Den weitherzigen Fritz hat sein Liebebedürfniß nicht nur zu Mädchen
ingen
geringeren Standes, auch zu Damen der sogenannten guten Gesellschaft
riffen
geführt. Zu einer verheiratheten Frau hat er zuletzt in unerlaubten Be¬
ziehungen gestanden. Der betrogene Gatte ist es, der mitten in die
ichts
Lustigkeit des intimen Soupers hineinplatzt. Er kommt, um Rechen¬
aggio.
frei=schaft zu fordern. Eine kurze, harte, schwüle Scene. Dann geht der
seben, [Mann und die verscheuchten Mädchen kehren aus dem Nebenzimmer zu¬
Die
rück. Abe die richtige Lustigkeit ist erloschen. Es drückt auf sie Alle
wie Ahnuig kommenden Unheils. Man bricht auf und während sich
paal
jahr¬
draußen in der Nacht die lachenden Stimmen entfernen, bleibt Fritz
allein mit den Gedanken an das kommende Unheil.
am
Fürwahr ein Act, wie ihrer nicht viele geschrieben worden sind.
siten
Einfach, zwingend logisch, erschütternd. Die beiden Aufzüge, die dann
folgen, haben wunderschöne Scenen, scharf gezeichnete Charaktere, sehr viel
des Guten, aber sie reichen in ihrer poetischen wie dramatischen Wirk¬
ge=lsamkeit an ihren Vorgänger nicht heran.
Das Schicksal Fritzens und Christinens erfüllt sich. Gerade als
die
ein Fritz erkennt, daß Christine ihm mehr sein dürfte, als eine bloße „Liebelei“,
ter=ldaß sie ihm das Glück bedeuten könnte, fordert ihn die Vergeltung. Er
len,fällt im Duell von der Hand des Mannes, den er betrogen. Und die
tuchtarme Christine, die von der Katastrophe nicht eher erfährt, als bis ihr
und Liebstes schon im Grabe ruht, wird nicht länger leben. „Sie kommt
irtenicht wieder“, ruft die bange Ahnung aus Christinens Vater.
Dieses Stück, das mit seinem tnappen, alltäglichen Dialog, mit
un¬
seinen einfachen, gar nicht complicirten Menschen ebensoweit entfernt steht
tenlvon den blendenden Theaterpraktiken Sudermanns, wie von den seelischen
Grübeleien Hauptmanns, zeigt seinen Schöpfer als eine scharfumrissene
zer¬
dichterische Persönlichkeit. Nicht daß Alles, was Schnitzler zeigt, neu
igst
inerswäre. Im Gegentheil, die Handlung von „Liebelei“ ist ebenso oft da¬
gewesen, wie etwa das Duell als dramatisches Motiv. Aber Schnitzler
ener
durchdringt den trivialen Stoff mit der Kraft seines eigenen, besonderen
dem
Empfindens und erringt so, als wenn sie ihm von selber zuflögen, ganz
sich
erstaunliche, theatralische Wirkungen. Daß Beide: die Literatur und das
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Theater, Vortheil haben von Schnitzlers Erstlingsschaffen, das ist das
besonders Erfreuliche an diesem dichterischen Debut.
irt“,
„Liebelei“ gehört zu den Stücken, die sich nicht von selber spielen,
Mans die einer starken schauspielerischen Interpreiation bedürfen. Das Werk ist
um eine Saison zu spät nach Breslau gekommen. Das Witte=Wild'sche
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„Liebelei“ sicher einen durchschlagenden Erfolg verschafft. Bei der gegen¬
wärtigen Darstellung mußte man mit einem von der Regie (A. Hofmann)
weisel sorglich bereiteten Zusammenspiele, viel gutem Willen und einigen hübschen
Einzelleistungen vorlieb nehmen. Darum wollte sich der rechte Enthusiasmus
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im Publikum nicht einstellen. Ja, der vortreffliche erste##t begegnete
reich
einer fast kühl zu nennenden Aufnahme.
ischen
Es fehlt der für die vereinigten Theater geworbenen Truppe nicht an
in der
infeld.lpassablen Schauspielern, wohl aber an k ünstlerisch bedeutsamen Indivi¬
ungen dualitäten. Am raschesten dürfte sich zu einer solchen Frl. Jurberg
hrigesauswachsen, ein hübsches, munteres Persönchen, das mit kecker
eine Grazie und überwiegend trefflichem Gelingen die Schlager=Mizi
ungen verkörperte. Das war echtes Wiener Blut. Nur selten gewahrte man,
diel daß Frl. Jurberg an schauspielerischer Routine noch gewinnen darf.