II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 586

Liebe
5.1 box 11/1
Zeitungsausschnitte und Verlag
der Wissenschaftlichen Revue.
BERLIN N., Augustetr. 87 part.
Telephon Amt III. No.-3051.

Ausschnitt
Telegramm Adresse:
GOLDSCHMIO T. Auguststr. 37.
aus
00
11. 1. 02
L. G. Staditheater. Agnes Sorma begann
gestern ihr auf vier Abende berechnetes hiesiges Gast¬
spiel, und zwar in einer kleinen Rolle eines Einakters
italienischen Ursprungs und als Christine in dem auch
hier schon bekannten
ice
H
„Liebelei“. In dem Einauer „## Tochter“
Tustspier vo-Capolotti, nach einer Uebersetzung frei
bearbeitet von Alfr. Halm) hatte Agnes Sorma eine
junge Frau (Beatrice) darzustellen, die von ihrer Um¬
gebung sowohl wie selbst von ihrem Gatten als die
Personifikation von Kindlichkeit
und Naivetät
aber schließlich durch ihre
angesehen wird, die
Klugheit und die
Feinheit ihrer ehelichen
Strategie, um ihren Gatten, der sie nur auf Geheiß
seines Onkels geheiratet hat, an sich zu ziehen und
zu
fesseln, sowie von einem früheren Verhältniß
dauernd zu befreien und zugleich an ihrer Rivalin
Rache zu nehmen, geradezu verblüfft. Der Einakter
ist nicht viel mehr als eine geistvolle und anmuthige
Causerie, die aber der Darstellung reichliche Gelegen¬
heit bietet zur Entfaltung dramatischer Kleinkunst.
So geistreich die Rolle der Beatrice vom Dichter
konzivirt ist, so anmuthsvoll wußte sie die Künstlerin
zu behandeln und durchzuführen. Ihre Beatrice
plaudert wie ein naives Kind, aber durch die Naivität
schimmert gerade genug Schelmerei durch, daß
man den Schalk erräth, der hier sein Spiel
treibt, und daß man sich schon im voraus über
den schließlichen Ausgang belustigt. Ebenso wirkungs¬
voll wie das naiveschalkhafte Geplauder war das
Gegenbild davon, das gemachte Pathos und die komische
Grandezza, mit der sich die Beatrice im weiteren Ver¬
laufe ihrer „Entwickelung“ auszustaffiren hat. Alles
in allem eine anmuthsvolle Gabe des geschätzten Gastes,
die sich um so eindrucksvoller gab, als ihr die Folie
zur Verfügung stand in der sehr ansprechenden Mit¬
wirkung der heimischen Künstler, der Herren Birkholz
und Bühler und des Fräulen Enrici. Im Charakter
von der Rolle der Beatrice grundverschieden ist die
der Christine, die Frau Sorma in der „Liebelei“
zu geben hatte. Man kann nicht gerade sagen,
daß das Schnitzlersche Schauspiel in seinem Gesammt¬
eindruck sonderlich angenehme Empfindungen auslöst;
man verläßt das Theater mit dem Gefühl seelischer
Depression, die auch durch die verstandesmäßige Fest¬
stellung, daß man es mit einem Stück von Lebens¬
realität zu thun hat, keine wirksame Korrektur erfährt.
Aber man kann nicht leugnen, daß das Stück gerade
darum, weil es grelle Schlaglichter auf gewisse soziale
Zustände wirft, bühnenwirksam ist. Man kann über
des Stückes denken, wie
die Tendenz
man
will, aber sicher
Ge¬
daß man den
stalten desselben mit Interesse folgen muß.
Im Mittelpunkte der Handlung steht Christine, das
Mädchen aus dem Volke, ein sogenanntes Rasseweib,
das mit allen Fasern ihres feurigen Herzens an dem
Glücke hängt, das ihr der Zufall in den Schoß ge¬
worfen und das der Zufall wieder zerbricht. Die
Rolle, die eine ganze Skala von Empfindungen der
widerstreitendsten Art auslöst, ist einer Künstlerin von
dem Range einer Sorma würdig, und es war ein
hoher künstlerischer Genuß, den uns die Künstlerin
hier bot, die in der Zeit, da wir sie nicht gesehen,
von dem reichen Schatz ihrer dramatischen Ausdrucks¬
mittel, von der Feinheit ihrer Charakterisirungskunst
und der Kraft ihrer tragischen Akzente nichts eingebüßt
hat. Auch hier fand die Künstlerin die trefflichste
Unterstützung seitens unserer heimischen Künstler, die
durchweg Ausgezeichnetes boten; das gilt von den
Herren Baumeister (Fritz), Bühler (Theodor), Rolan
(Weiring) und Zadeck, obgleich der letztere nur eine
ganz kurze Episode zu machen hatte, wie von Fräulein
Wüst (Mizi', die gestern ihren besonders guten Tag
hatte. Das vollbesetzte Haus spendete der braven
Künstlerschaar lebhaften Beifall, namentlich aber, wie
elbstverständlich, dem geschätzten Gast.
4##