II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 642

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5. „1 box 11/1
Ausschnitt aus
Das Deutsche Blatt, Berlin
31.10.03
all. Das Schiller=Theater N. hatte gestern einen
Schnitzler=Abend. Beide Stücke, die ernste „Lie elei“
und die fröhliche „Literatur“ sind schon früher in Berlin
geseden worden. Die erneute Bekanntschaft war aber eine an¬
genehme; denn Schnitzler zählt zu den besten der modernen
Theaterschriftsteller. Ein guter Beobachter der Gegensätze im
äußeren und im Seelenleven ist er und weiß diese Kontrafte vor¬
züglich durch Sprache und Milieu wiederzugeben. In der
„Liebelei“ stehen so der Theodor und die Mizi, die beide das
Leben von der heiteren Seite nehmen und nicht durch Nachdenken
und Träumen in die dunkle Zukunft sich den Genuß verkümmern
lassen, dem Fritz und der Christine gegenüber, denen banges
Ahnen das Glück des Augenblicks und die Seligkeit der Liebe zer¬
setzt. Wie wirkungsvoll ist dieser Theodor gezeichnet, der sich der
Christine nur genähert hat, um durch diese Liebelei sich allmählich
aus dem peinigenden Verhältnis zu einer verheirateten Frau zu
lösen, und neben diesem zwiespältigen Menschen die Christine, die
se einheitlich und fest in ihrer jugendlichen Leidenschaft steht, und
schließlich ihr Vater, der arme Fiedeler, der das Recht der Jugend
auf Glück anerkennt und in unendlicher Vaterliebe auch der irren¬
den Jugend ein verzeihender Tröster ist. Diese letzte Rolle wurde
von Pategg erschütternd und erbauend dargestellt. Else Wasa
fand Töne stiller inniger Liebe und wilder Leidenschaftlichkeit,
nur versagte ihr bei letzterer häufig der Wiener Dialekt. Bern¬
hard Herrman als Theodor, Georg Paeschke als Fritz und Elisa¬
heth Gußmann als Mizi führten ihre Rollen zu
lebendiger
Wirkung. „Literatur“ stellt in lustigem, auch vor sehr Gewagtem
nicht zurückschreckenden Plauderton die Welt des Aristokraten, der
nur den Pferde= aber nicht den geistigen Sport für wohlanständig
hält, der Welt des Bohème gegenüber, die sich über die Gesetze
der Sitte hinwegsetzt und nur der „Individualität“ lebt. Da¬
zwischen ist ergötzlich die Eifersucht der Schaffenden auf anderer
Erfolge gemengt. Das fröhliche Stückchen wurde von Elisabeth
Gußmann in einem wunderbar plastischen roten Reformkleid,
von Bernhard Herrmann und Erich Ziegel mit flottem Humor
heruntergespielt. Beide Stücke landen sehr lebhaften, wohlver¬
dienten Beifall.
——
eisene Korrespondenten.
Teiephon: Ill. 3051

Berlin N. 24.

Ausschnitt aus
neue Preuseische Krou-Zeitung. Borin
21.10.03
Theater und M. sik.
Schiller=Theater N.
Im Schillertheater erlebt man zuweilen ieberraschungen ange¬
nehmster Art. Vor mehreren Jahren sah ich dort die beste Nora:
Gertrud Eysolt; am Donnerstag sah ich in der ersten Aufführung
nitzlers „Libelei“ die beste Christine: E.se
von Arthur S.
Wasa. Ich überschage rem#eg# ###Fahgkeit, die Christine gut
darzustellen. Schnitzlers Figuren sind alle mit richtigem Blick für
theatralische Wirksamkeit erfunden, und da die Charakterisierungskunst
des Verfassers niemals allzu tief gräbt, so ist die Verkörperung seiner
Menschen eine dankbare und auch Schauspielern von mittlerer Begabung
leicht lösbare Aufgabe; diesmal aber wurde die Teilnahme des Zu¬
schauers in besonders hohem Grade erregt dadurch, daß er sich einem
jener seltenen Fälle gegenübersah, wo die denkbar beste Leistung zu
stande kam durch die völlige Kongruenz der Persönlichkeit der Schau¬
spielerin mit der Persönlichkeit der Darzustellenden. Die Virtnosinnen
der Schauspielkunst, die Sorma, die Sandrock u. a., sie alle bringen
in den Charakter der Christine einen Tropfen fremden Blutes
schlichte Gemütsart des Mädchens aus dem¬
hinein;
wenig kompliziert;
zu
ist ihnen augenscheinlich
Volke
ihr technisches Geschick verlangt nach schwierigeren Auf¬
gaben, als sie die Darstellung einfachster Weiblichkeit in ihrem
ureigenen Triebe, in der bedingungslosen Hingabe an den geliebten
Mann, bietet. Else Wasa überließ sich ganz nuiv den Eingebungen
ihrer persönlichen und künstlerischen Eigenart, die in der Darstellung
jener Weiblichkeit stets Gutes geboten hat, und sie erreichte diesmal,
ihr die Rolle fasi mit jedem Worte entgegenkam,
100
sie weder von dieser Rolle noch
Wirkungen, wie ich
von dem ganzen Stücke für möglich gehalten habe. Aus de# vom
Verfasser bescheiden „Schauspiel“ betitelten Werke wurde im letzten
Akte eine Tragödie, deren erschütterndem Ausgange man mit langem.
von Minute zu Minute, von Wort zu Wort sich steigerndem Mitgefühl
entgegensah. Die Christine des letzten Aktes rechtfertigte auch die der
ersten beiden Akte, die manchem vielleicht allzu weich erschienen sein
mag. Nur bei einem Geschöpf, das unter Ausschaltung jeder Ver¬
standestätigkeit allein ihrer Gefühlsschwärmerei sich überläßt,
ist der tragische #us ing, den der Verfasser will, eine Notwendigkeit.
Den Geliebten Christinens gab Herr Päschke. Was bei seiner
Partnerin durchaus begründet war, das Uebermaß von Gefühl, ließ
sich für seine Rolle nicht rechtfertigen; er erschien gar zu sehr als
halt= und farbloser Träumer. Vortrefflich wurde das leichtsinnige
Liebespärchen von Herrn Herrmau und Fräulein Gußnann
gespielt, und eine außerordentlich feine Charakterstudie bot wie
gewöhnlich Herr Pategg als der warmherzige, vielleicht „allzu
menschliche“ Vater Christinens.
Auf „Liebelei“ folgte noch Schniglers kleine Planderei
„Literatur“, deren Cynismen in der sehr gewandten Darstellung
der Herren Herrmann und Ziegel und des Frl. Gußmann
zu charakteristischem Ausdruck kamen, bei der Mehrzahl des Publikums
L. C.
jedoch kein Verständnis fanden.