Liebelei
5. box 11/2
Warum soll man „seine Jugend zum Fenster
hinauswerfen?“ sagt ja auch der alte brave
Weiring, der doch so hoch über jenen „jungen
Leuten“ steht. Und wenn man nicht einmal
Erinnerungen hat.
Und der Zorn weicht der Wehmut. Von dieser
Wehmut, wie von dem goldenen Schimmer der
Abendsonne, überflutet ist der wun##volle zweite
Akt. So lieb und gut und innig das schlichte
Mädchen, die Christin', die eins ist mit der
heimeligen, schlichten Stube, in der man sich so
geborgen fühlt, die aber auch einen schönen Aus¬
blick hat, aus dem blanken Fenster über Giebel und
Dächer in weite, verblauende Fernen, wo das
Glück wohnt. Ist es nicht wie ein Symbol, dieses
Stübchen, so anspruchslos und so hoch über der
großen Stadt mit ihrem Lärm und ihren „nichtigen
Zufällen?“
Dem Zauber dieser schlichten Stube mit dem
sonnigen Ausblick, dem Zauber des demütigen
Herzens mit dem unsagbaren Sehnen nach einem
vollen und schönen Glück kann sich auch der Be¬
ziehungsmensch Fritz nicht entziehen. Und die un¬
endliche Tragik des Lebens treibt die Relativität
so weit, daß ein Fritzi zum „Herrgott“ werden
kann für eine Christin'.
Aber genug. Ich wiederhole ja nur Bekanntes¬
über Bekanntes. Und daran hat Frau Agpes
Sorma Schuld. Ich möchte sie eine Dichterin
nennen. Denn das, was sie in die Gestalts der
Christine hineinlegte, war echte, schonste Voesie.
Eine schlichte, anspruchslose Poesie, die der blihende
Fliederbusch an der grauen Wand des vielsöckigen
Mietshauses in den Frühlingsabend hineckduftet,
des
eine Poesie, die in der altbekannten Melo
verstimmten Leierkastens klingt und es
weilen
heiß in die Augen treiben will. Die Poesie einc stillen,
zagenden Liebe, die so wenig verlanigl uud
doch,
wenn sie so unendlich wegwersen
bloße
„Liebelei“ verkannt wird, in einen einzigen
ausklingt, der ein# vernichtet... Soll
noch etwas über das Spiel Frau Sormas
so muß man zu der nicht mehr ungewöhntchen,
aber erschöpfenden Formel: eine vollendete Leistung,
seine Zuflucht nehmen. Eine fast durchweg tüchtige
Unterstützung fand diese Leistung in dem #
der übrigen Darsteller: des Herrn Oeser
Fritz, des Herrn Harprecht als Theoder,
Frl. Roland als Mizi, des Herrn Rück
in der episodischen Rolle des „Herrn“ Herr
Fender als Weiring und auch
Fr. Römer
als Fr. Binder.
Der reizende Einakter von Cavalotti „Jephtas
Bochter“ gab unserem Gaste Gelegenheit in
der Rolle der Beatrice die bezauberndste Koketterie,
untermengt mit leisen dramatischen Akzenten, zu
#ntfalten; daß sich das Ganze zu einem brillanten
Farbenspiel von graziösester Wirkung gestaltete, war
vorauszusehen. Ich wage übrigens die Bemerkung,
daß ich mich mit dieser Auffassung der Rolle des
unschuldsvollen Weibes, das sich seinen Gatten er¬
kämpft, nicht ganz befreunden kann; Fr. Sorma
gibt die Beatrice in einem so leicht dahingleitenden,
die Erregung so meisterhaft kachierenden Ton, daß
man darüber in Zweifel bleiben konnte, ob es der
jungen Frau wirklich so furchtbar ernst um ihr
Glück ist, wie der Verfasser es uns zu verstehen
geben will Übrigens ist ja, wie Dr. Sarchi sagt,
„die Naivität eines jungen Mädchens ein Buch
mit sieben Siegeln“, vor dem unser beschränkter
Männerverstand die Segel streichen muß.
Die übrigen Darsteller, Frl. Herter, Herr
Becker und Herr Harprecht entledigten sich
ihrer Aufgabe mit bestem Gelingen. Einem viel¬
fach geäußerten Wunsch entgegenkommend, sei hier
die Bitte an die Darsteller gerichtet, —
dies gilt
auf die gestrige Aufführung bezogen vor allen von
Herrn Becker — besonders zu Beginn des
Spieles, wo man sich erst hineinhören muß, deut¬
licher zu sprechen. Das Haus war auch gestern
vollbesetzt und der Beifall ein überaus warmer.
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Warum soll man „seine Jugend zum Fenster
hinauswerfen?“ sagt ja auch der alte brave
Weiring, der doch so hoch über jenen „jungen
Leuten“ steht. Und wenn man nicht einmal
Erinnerungen hat.
Und der Zorn weicht der Wehmut. Von dieser
Wehmut, wie von dem goldenen Schimmer der
Abendsonne, überflutet ist der wun##volle zweite
Akt. So lieb und gut und innig das schlichte
Mädchen, die Christin', die eins ist mit der
heimeligen, schlichten Stube, in der man sich so
geborgen fühlt, die aber auch einen schönen Aus¬
blick hat, aus dem blanken Fenster über Giebel und
Dächer in weite, verblauende Fernen, wo das
Glück wohnt. Ist es nicht wie ein Symbol, dieses
Stübchen, so anspruchslos und so hoch über der
großen Stadt mit ihrem Lärm und ihren „nichtigen
Zufällen?“
Dem Zauber dieser schlichten Stube mit dem
sonnigen Ausblick, dem Zauber des demütigen
Herzens mit dem unsagbaren Sehnen nach einem
vollen und schönen Glück kann sich auch der Be¬
ziehungsmensch Fritz nicht entziehen. Und die un¬
endliche Tragik des Lebens treibt die Relativität
so weit, daß ein Fritzi zum „Herrgott“ werden
kann für eine Christin'.
Aber genug. Ich wiederhole ja nur Bekanntes¬
über Bekanntes. Und daran hat Frau Agpes
Sorma Schuld. Ich möchte sie eine Dichterin
nennen. Denn das, was sie in die Gestalts der
Christine hineinlegte, war echte, schonste Voesie.
Eine schlichte, anspruchslose Poesie, die der blihende
Fliederbusch an der grauen Wand des vielsöckigen
Mietshauses in den Frühlingsabend hineckduftet,
des
eine Poesie, die in der altbekannten Melo
verstimmten Leierkastens klingt und es
weilen
heiß in die Augen treiben will. Die Poesie einc stillen,
zagenden Liebe, die so wenig verlanigl uud
doch,
wenn sie so unendlich wegwersen
bloße
„Liebelei“ verkannt wird, in einen einzigen
ausklingt, der ein# vernichtet... Soll
noch etwas über das Spiel Frau Sormas
so muß man zu der nicht mehr ungewöhntchen,
aber erschöpfenden Formel: eine vollendete Leistung,
seine Zuflucht nehmen. Eine fast durchweg tüchtige
Unterstützung fand diese Leistung in dem #
der übrigen Darsteller: des Herrn Oeser
Fritz, des Herrn Harprecht als Theoder,
Frl. Roland als Mizi, des Herrn Rück
in der episodischen Rolle des „Herrn“ Herr
Fender als Weiring und auch
Fr. Römer
als Fr. Binder.
Der reizende Einakter von Cavalotti „Jephtas
Bochter“ gab unserem Gaste Gelegenheit in
der Rolle der Beatrice die bezauberndste Koketterie,
untermengt mit leisen dramatischen Akzenten, zu
#ntfalten; daß sich das Ganze zu einem brillanten
Farbenspiel von graziösester Wirkung gestaltete, war
vorauszusehen. Ich wage übrigens die Bemerkung,
daß ich mich mit dieser Auffassung der Rolle des
unschuldsvollen Weibes, das sich seinen Gatten er¬
kämpft, nicht ganz befreunden kann; Fr. Sorma
gibt die Beatrice in einem so leicht dahingleitenden,
die Erregung so meisterhaft kachierenden Ton, daß
man darüber in Zweifel bleiben konnte, ob es der
jungen Frau wirklich so furchtbar ernst um ihr
Glück ist, wie der Verfasser es uns zu verstehen
geben will Übrigens ist ja, wie Dr. Sarchi sagt,
„die Naivität eines jungen Mädchens ein Buch
mit sieben Siegeln“, vor dem unser beschränkter
Männerverstand die Segel streichen muß.
Die übrigen Darsteller, Frl. Herter, Herr
Becker und Herr Harprecht entledigten sich
ihrer Aufgabe mit bestem Gelingen. Einem viel¬
fach geäußerten Wunsch entgegenkommend, sei hier
die Bitte an die Darsteller gerichtet, —
dies gilt
auf die gestrige Aufführung bezogen vor allen von
Herrn Becker — besonders zu Beginn des
Spieles, wo man sich erst hineinhören muß, deut¬
licher zu sprechen. Das Haus war auch gestern
vollbesetzt und der Beifall ein überaus warmer.