II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 741

Liebelei
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Willi Handl: Theater
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heute schon mit kühlem Gleichmut auf die guten
Und je mehr Papiere es uns in Friedenszeiten
Dinger sehen, die uns einst soviel zärtlichen
gelungen sein wird in Paris unterzubringen,
Spaß bereitet haben. Das wäre ja doch nur
um so mehr werden beim Ausbruch einer Krisis
eine perspektivische Vollendung und Bestätigung
zurückströmen, und um so mehr deutsches Kapital
jener Tragik. Die Jüngeren, die noch mitten
wir“ just im bedenklichsten Moment dem Feinde
drin in solchem Erleben sind, könnten auf uns
ausgeliefert werden. Daß man angesichts der
weisen und sagen: „Seht nur, wie recht er hatte.
klaren Erkenntnis dieser Tatsache dahin wirkt,
Ihr habt Seelen verschluckt und seid um nichts
die Abhängigkei! Dentschlands von den westlichen
reicher geworden. Alles ist durch Euch hindurch,
Nachbarn noch zu verstärken, würde auf die
an Euch vorbei gegangen. Es war eine höchst
Lachmuskeln wirken, wenn die Sache nicht gar
beklagenswerte Opferung!“
Alfred Lansburgh.
so ernst wäre.
Daß es keine war, das wissen wir eben jetzt.
Und die Jüngeren wissen es mit uns und lächeln
dem Typus, den sie eben erlernen, beruhigt zu,
Theater.
und lächeln über das dramatische Phantom
seines Schicksals ungläubig hinweg. Das Stück
Kammerspiele: Liebelei. Wie sehr haben
gilt nur mehr, soweit es schildert. Darin bleibt
wir dereinst dieses Stück geliebt! Es schien uns
es dokumentarisches Denkmal. Wo es aber die
etwas ganz Wichtiges aus unseremn eigenen Leben
Kräfte seines Lebens in großartige Bewegung
greifbar und in ernster Bedeutung vorzustellen.
setzen, die Gewissen anrühren und läuternde Er¬
Eine Tragik, durch die wir alle müssen, ein
schütterung erzeugen will, sind wir ihm taub.
Konflikt, der jedem von uns das Gewissen auf¬
Seine Stimme, das wissen wir nun, ist nicht die
stört, wenn er ihm schon nicht zum Schicksal
und nur diese
der ehernen Notwendigkeit —
wird. Da war die Verliebtheit des jungen
wird im Drama ergriffen angehört, — sondern
Mannes, die ihn aus der Ordnung des bürger¬
die unserer eigenen eitlen Sentimentalität. Eswar
lichen Hauses für Stunden oder für Wochen zu
unsere eigene, höchst subjektir Empfindung, die
den Töchtern der Niedrigeren treibt, als fort¬
diesen Mädchen die tragische immung zuwies,
gesetzter Mord an menschlichen Seelen entlarvt.
sich für uns in Seligkeit zu wrnichten; es war
Da war das Los der armen Mädchen tragisch
nicht das Leben selbst. Denn das Leben hat
beklagt, die uns ein Zeitvertreib, denen wir ein
allemal Zwecke, die über unsere Person ein wenig
Schicksal sind. Ein großes, schreiendes Unrecht
hinausgehen. Und das ist es schließlich, was
war enthüllt, das in den Gesetzen der Welt und
wir seither gelernt haben — wir Aelteren und
in unserem eigenen Wesen begründet zu sein
die Jüngeren hoffentlich mit uns: daß wir, so
schien. Und uns Wienern war vor allem gesagt,
lieb wir uns haben und so bedeutend wir uns
welche Schätze von Anmut, Treue und Güte wir
erscheinen, doch nicht der Mittelpunkt des West¬
achtlos verschwenden, wie wir das Süßeste, was
geschehens sein können — und sei diese Welt
unser Herz erreichen kann, unwissend übermütig
auch so klein wie eine Wiener Vorstadtwohnung.
mißbrauchen, das wahrste, innigste Gefühl eines
Auch da geschieht, selbst wenn wir mit dem
ganzen Lebens achtlos nehmen und nichts dafür
ganzen Gewicht unserer Persönlichkeit gegen¬
geben, als ein hochmütig uninteressiertes Lächeln.
wärtig sind, noch so manches neben uns, über
Uns jungen Wienern wurde gezeigt, wie diese
uns, ohne uns, und das Leben ist imstande,
sind, deren Seelen uns zum Opfer fallen. Unser
ruhig weiter zu gehen, auch in dem Momente,
süßes Mädel als tragische Person! Entzückt
da wir uns für immer daraus fortmachen. So
und gerührt erkannten wir sie, freuten uns
ist das Leben. Es hat andere Zwecke. Aus
melancholisch dieses Wiederfindens und genossen
dieser Christel, die schon ein edlerer Tropfen
die schöne Traurigkeit ihrer dramarischen Existenz
Blutes vor der naiven Gemeinheit — Typus
in gemessener Freude. Wie sehr haben wir
Schlager hizzi — bewahrt hat, macht es gewiß
dieses Stück geliebt!
eine äußerst wackere Mutter von Kindern, von
Sein Schicksal hat sich ziemlich rusch erfüllt.
denen eins etwa den Auftrieb in höhere Schichten
Wenig über ein Jahrzehnt ist es her, daß uns
erbt, sich durchsetzt und junge Herren zeugt, die
diese Tragik, neu, wie sie damals war, mit der
selber wieder nach den süßen Mädeln greifen.
Kraft einer großen Wahrheit erfaßte. Was ist
Und was wir für ein Problem erotischer Tragik
uns heute von jener Ergriffenheit geblieben?
gehalten haben, war etwa nur ein liebenswürdig
Nur ein matt lächelndes Interesse an der eigenen
verschleierter Prozeß der sozialen Entwickelung,
Vergangenheit und die sanfte Erinnerung an
eine geschlechtliche Form des Klassenkampfes.
einen Frauentypus, den uns auch der unerträg¬
Das ist es, was wir heute an diesem Stück
liche Mißbrauch jenes kosenden Namens, den
so unmöglich finden: daß es im Sozialen so
Schnitzter ihm gefunden hatte, nicht zu sehr ent¬
sehr kurzsichtig ist, ganz im Gesichtskreis des
stellen kann. Das tragische Gefühl aber ist ganz
verweht. Nicht etwa darum, weil wir Aelteren Bourgeois verschlossen. Und gerade wo es davon