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Julius Bab: Theater.
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einandersetzung, alles, was die Dinge vorher
weg will, wo es sich bewußt gegen den Bourgeois
zum höheren Problem erheben kann, müßte ver¬
und seine Art, die Liebe zu genießen, stellt, da
mieden werden. Sonst springt plötzlich und mit
offenbart sich nur um so stärker, daß es aus der
unangenehmer Aufdringlichkeit aus dieser feinen
Psychologie und Lebenslogik seiner eigenen Klasse
Wiener Milieukomödie das französische Sitten¬
nicht heraus kann. Christinens Tod, der ja ein
stück heraus, zu dessen hochbegabter Deszendenz
Vorwurf gegen den bürgerlichen Liebhaber sein
sie gehört. Und begabte Deszendenz bedeutet
soll, ist von einem Begriff der Liebe diktiert, der
Ueberwindung, nicht Rückfall. Darum war es
nur in bürgerlich=literarischen Kreisen götzenhaft
mir in der Aufführung der Kammerspiele höchst
gilt. Weiter unten wechseln die Begriffe; und
peinlich, daß Fräulein Höflich im letzten Akt so
auf die Frage: Was war ich ihm? kann es da
angestrengt schreien, so erbittert predigen zu
kaum eine totliche Antwort geben. Man hat da,
hören. Diese Worte fielen mit einer so durch¬
wie verliebt man auch sei, noch immer ganz andere
bohrenden Schärfe, mit einem so niederschmet¬
an einen Leichnam
Sorgen, als solche, die
ternden Gewicht aus ihrem Munde, als zöge da
gerichtet! — eigentlich ins Gebiet der verspäteten
irgend eine ernsthaft heroische Natur das letzte
Psychologie gehören.
Fazit aus ihrem verlorenen Leben. So über¬
Soviel ungefähr ist gegen das Stück zu sagen.
bestimmt und prinzipiell sprachen, wenn es
Wie sehr das alles zugleich für Schnitzler spricht,
tragisch wurde, die großen Damen und die be¬
hat sich seither gezeigt. Seine Bestimmung war,
frackten Helden aus dem Salonstück der vorvor¬
der Dichter der eleganten, künstlerisch erhobeneren,
letzten Generation. Dieses unzeitgemäße Los¬
bewußt empfindsamen Bourgeoisie von 1900 zu
brechen wurde nur um so schmerzlicher, weil vor¬
sein. Und sein Instinkt befahl ihm, lieber nach
her die Gestalt in ihrer rechten blonden Süße
seiner Natur zu irren, als aus seiner Natur zu
erschienen war. Der Typus war dort, wo er
fallen. So kommt es, daß dieses rührend naive
noch nicht tragisch wird, ganz wunderschön ge¬
Herz nach zwei Akten kleinbürgerlich anschmieg¬
troffen. Figur und Gebärde, Ton und Blick und
samer Liebe im dritten plötzlich die große psycho¬
Haarfarbe — das fund sich zu einer sehr natür¬
logische Weisheit eines bourgeoisen jungen Herrn
lichen, in aller charakteristischen Bedeutung doch
von 1900 kundtut. Immerhin, zwei Akte lang
unauffälligen Einheit zusammen. Und die
steht sie für sich selbst da, nach ihrer eigenen Art
traurige Melodie der zweifelnden Fragen, das
geformt, in Uebereinstimmung mit ihrer Seele und
stille Beben der Angst in der zwitschernden
mit ihrer Klasse. Es ist ein wunderschönes Bild,
Stimme, der leicht hinschwebende melancholische
ein Bild von hohem künstlerischen Wert und von
Unterton der Rede, das war nun zum Entzücken
dokumentarischer Dauer. Der Typus ist mit dem
gar. Schade, daß dieses echte und feine schau¬
ganzen Reiz seiner psychologischen und sozialen
spielerische Kunstwerk zum Schlusse sich selbst
Zwiespältigkeit gegeben: in seiner gesund prole¬
zerstört.
tarischen Schlichtheit und wieder mit der kleinen
Sonst läßt sich von dieser Aufführung wenig
süß schmerzlichen Nostalgie nach gut bürgerlichem
sagen. Sie ist gut. Die Szene selbst hat immer
Wesen, von dem er seine Begriffe von Ehre und
den bewußt verfeinernden, leicht gezierten Stil,
Treue, von Reinheit und Einheit in der Liebe
der vom Dichter herkommt; ein wenig oberhalb
hat. Daß dieser Zwiespalt schließlich so grell ins
der baren Natürlichkeit. Die Figuren sind leicht
Bewußtsein tritt und so heftige Worte findet, ist
und sauber angefaßt, keine zur Charge verzogen,
fehlerhaft und gegen die Natur. Aber daß der
keine unnütz zum Problem vertieft. Man findet
Zug zur höheren Klasse so fein gesehen und so
sich rasch und angenehm in dieser netten kleinen
still gestaltet ist, wie im ersten und zweiten Akt,
Welt zurecht. Daß ihre Gebilde nirgends zu
dazu brauchte es das Auge und die Hand dieses
bedeutenderen Dimensionen aufwachsen, ist heute,
von Grund aus bourgeoisen Dichters. Es ist
da wir dieses Stück eigentlich schon mehr historisch
ein Werk seiner persönlichsten Kunst und rühm¬
als menschlich auf uns wirken lassen müssen, kein
licher Dauer würdig.
sehr bedauerlicher Mangel mehr.
Für Kammerspiele ist dieses Drama sehr ge¬
Willi Handl.
eignet. Es sieht sich mit seinen liebenswürdigen
Reizen und mit seinen unschuldigen Irrtümern
Der Bund der Jugend. Als erstes Stück
in nächster Nähe noch recht gefallig an. Eine
für seinen Ibsenzyklus hat Otto Brahm jetzt den
kluge Regie wird sich an die stilisierte Schilderung
Bund der Jugend“ einstudiert. Er hat recht,
der Milieus und der Typen halten und der
sein Ibsen beginnt mit diesem Stück. Der
Tragödie, soweit es angehen will, Schweigen
meine nicht, und der Ibsen, dessen lebendige
auferlegen. Der Schluß des Stückes müßte in
Kunsttat diese Generationen überleben wird —
einem undeutlichen, etwas melancholischen Dämmer
so denke ich — auch nicht. Der hatte, als er im
bleiben, als eine Möglichkeit der Stimmung,
Jahre 1869 den „Bund der Jugend“ schrieb,
nicht als Notwendigkeit des Schicksals wirken.
Alles Programmatische in dieser letzten Aus= seiner innersten Lebensweise schon zwei zeitlos
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Julius Bab: Theater.
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einandersetzung, alles, was die Dinge vorher
weg will, wo es sich bewußt gegen den Bourgeois
zum höheren Problem erheben kann, müßte ver¬
und seine Art, die Liebe zu genießen, stellt, da
mieden werden. Sonst springt plötzlich und mit
offenbart sich nur um so stärker, daß es aus der
unangenehmer Aufdringlichkeit aus dieser feinen
Psychologie und Lebenslogik seiner eigenen Klasse
Wiener Milieukomödie das französische Sitten¬
nicht heraus kann. Christinens Tod, der ja ein
stück heraus, zu dessen hochbegabter Deszendenz
Vorwurf gegen den bürgerlichen Liebhaber sein
sie gehört. Und begabte Deszendenz bedeutet
soll, ist von einem Begriff der Liebe diktiert, der
Ueberwindung, nicht Rückfall. Darum war es
nur in bürgerlich=literarischen Kreisen götzenhaft
mir in der Aufführung der Kammerspiele höchst
gilt. Weiter unten wechseln die Begriffe; und
peinlich, daß Fräulein Höflich im letzten Akt so
auf die Frage: Was war ich ihm? kann es da
angestrengt schreien, so erbittert predigen zu
kaum eine totliche Antwort geben. Man hat da,
hören. Diese Worte fielen mit einer so durch¬
wie verliebt man auch sei, noch immer ganz andere
bohrenden Schärfe, mit einem so niederschmet¬
an einen Leichnam
Sorgen, als solche, die
ternden Gewicht aus ihrem Munde, als zöge da
gerichtet! — eigentlich ins Gebiet der verspäteten
irgend eine ernsthaft heroische Natur das letzte
Psychologie gehören.
Fazit aus ihrem verlorenen Leben. So über¬
Soviel ungefähr ist gegen das Stück zu sagen.
bestimmt und prinzipiell sprachen, wenn es
Wie sehr das alles zugleich für Schnitzler spricht,
tragisch wurde, die großen Damen und die be¬
hat sich seither gezeigt. Seine Bestimmung war,
frackten Helden aus dem Salonstück der vorvor¬
der Dichter der eleganten, künstlerisch erhobeneren,
letzten Generation. Dieses unzeitgemäße Los¬
bewußt empfindsamen Bourgeoisie von 1900 zu
brechen wurde nur um so schmerzlicher, weil vor¬
sein. Und sein Instinkt befahl ihm, lieber nach
her die Gestalt in ihrer rechten blonden Süße
seiner Natur zu irren, als aus seiner Natur zu
erschienen war. Der Typus war dort, wo er
fallen. So kommt es, daß dieses rührend naive
noch nicht tragisch wird, ganz wunderschön ge¬
Herz nach zwei Akten kleinbürgerlich anschmieg¬
troffen. Figur und Gebärde, Ton und Blick und
samer Liebe im dritten plötzlich die große psycho¬
Haarfarbe — das fund sich zu einer sehr natür¬
logische Weisheit eines bourgeoisen jungen Herrn
lichen, in aller charakteristischen Bedeutung doch
von 1900 kundtut. Immerhin, zwei Akte lang
unauffälligen Einheit zusammen. Und die
steht sie für sich selbst da, nach ihrer eigenen Art
traurige Melodie der zweifelnden Fragen, das
geformt, in Uebereinstimmung mit ihrer Seele und
stille Beben der Angst in der zwitschernden
mit ihrer Klasse. Es ist ein wunderschönes Bild,
Stimme, der leicht hinschwebende melancholische
ein Bild von hohem künstlerischen Wert und von
Unterton der Rede, das war nun zum Entzücken
dokumentarischer Dauer. Der Typus ist mit dem
gar. Schade, daß dieses echte und feine schau¬
ganzen Reiz seiner psychologischen und sozialen
spielerische Kunstwerk zum Schlusse sich selbst
Zwiespältigkeit gegeben: in seiner gesund prole¬
zerstört.
tarischen Schlichtheit und wieder mit der kleinen
Sonst läßt sich von dieser Aufführung wenig
süß schmerzlichen Nostalgie nach gut bürgerlichem
sagen. Sie ist gut. Die Szene selbst hat immer
Wesen, von dem er seine Begriffe von Ehre und
den bewußt verfeinernden, leicht gezierten Stil,
Treue, von Reinheit und Einheit in der Liebe
der vom Dichter herkommt; ein wenig oberhalb
hat. Daß dieser Zwiespalt schließlich so grell ins
der baren Natürlichkeit. Die Figuren sind leicht
Bewußtsein tritt und so heftige Worte findet, ist
und sauber angefaßt, keine zur Charge verzogen,
fehlerhaft und gegen die Natur. Aber daß der
keine unnütz zum Problem vertieft. Man findet
Zug zur höheren Klasse so fein gesehen und so
sich rasch und angenehm in dieser netten kleinen
still gestaltet ist, wie im ersten und zweiten Akt,
Welt zurecht. Daß ihre Gebilde nirgends zu
dazu brauchte es das Auge und die Hand dieses
bedeutenderen Dimensionen aufwachsen, ist heute,
von Grund aus bourgeoisen Dichters. Es ist
da wir dieses Stück eigentlich schon mehr historisch
ein Werk seiner persönlichsten Kunst und rühm¬
als menschlich auf uns wirken lassen müssen, kein
licher Dauer würdig.
sehr bedauerlicher Mangel mehr.
Für Kammerspiele ist dieses Drama sehr ge¬
Willi Handl.
eignet. Es sieht sich mit seinen liebenswürdigen
Reizen und mit seinen unschuldigen Irrtümern
Der Bund der Jugend. Als erstes Stück
in nächster Nähe noch recht gefallig an. Eine
für seinen Ibsenzyklus hat Otto Brahm jetzt den
kluge Regie wird sich an die stilisierte Schilderung
Bund der Jugend“ einstudiert. Er hat recht,
der Milieus und der Typen halten und der
sein Ibsen beginnt mit diesem Stück. Der
Tragödie, soweit es angehen will, Schweigen
meine nicht, und der Ibsen, dessen lebendige
auferlegen. Der Schluß des Stückes müßte in
Kunsttat diese Generationen überleben wird —
einem undeutlichen, etwas melancholischen Dämmer
so denke ich — auch nicht. Der hatte, als er im
bleiben, als eine Möglichkeit der Stimmung,
Jahre 1869 den „Bund der Jugend“ schrieb,
nicht als Notwendigkeit des Schicksals wirken.
Alles Programmatische in dieser letzten Aus= seiner innersten Lebensweise schon zwei zeitlos