II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 747

Liebelei
box 11/2
5. LS
mochte. Immerhin bleibt es erstaunlich, wie er geringere
Kräfte seinem Willen dienstbar zu machen versteht.
2 X Ju, Feuilleton.
Das Deutsche Thenter sucht weiter Glück bei
den Klassikern und bewies mit seiner Vorstellung des
Berliner Theater.

„Prinzen von Homburg“ aufs neue, daß es
Von Dr. Max Meyerfeld.
die individuelle Melodie jedes Werkes zu erlauschen
weiß. In den Kammerspielen fehlen vorläufig
Das sollte einmal mit allem Nachdruck ausgespro¬
geeignete Novitäten; man greift daher auf bewährte
chen werden. Und nun zur Sache. Es ist nichts von
ältere Stücke zurück. So sah man Strindbergs immer
Belang mitzuteilen. Die Winterkampagne ist zwar
wieder den Verstand beschäftigendes Rechenexempel
schon seit einem Monat eröffnet, aber bisher hat taum
„Fräulein Julie“ und Schnitzlers immer wieder
ein Vorpostengesecht stattgesunden. Die Theaterleiter
zu Herzen gehende „Liebelei“ mit Fräulein Höflich
scheinen dieses Jahr besonders ängstlich, ihre Neuer¬
als Christige. Diese unvergängliche Gestalt ist noch von
werbungen ins Zeuer zu schicken; sie begnügen sich einst¬
jeder Darstellerin mit eigenem Leben erfüllt worden, aber
weilen damit, Neueinstudierungen zu bieten. So fährt
jede Darstellerin hatte noch mit dem Schatten Agnes
das Lessing=Theater in seinem Ibsen¬
Sormas, der ersten Christine, zu kämpfen. In hundert
Zyklus fort. Mit den „Stützen der Gesellschaft“
Jahren wird man dieses schlichte Mädchen aus dem
holte es sich am Schluß der vorigen Spielzeit einen
Volke, das in gemessenem Abstand hinter Goethes Gret¬
Triumph; kaum geringeren Erfolg hatte es jetzt, dank
chen genannt zu werden verdient, gewiß mit dem Nim¬
seinem wundervolken Ensemble, mit dem „Bund der
bus der Klassizität schmücken.
Jugend“, obwohl das bisweilen ins Schwankartige
Die andern Bühnen irrlichtelieren unverzagt weiter.
abschwenkende Lustspiel reichlich antiquiert anmutet,
Warum das Neue Theater just Georg Engels
und menschlich gar keinen Gewinn abwirft. Wenn das
schon bei seinem Erscheinen lan begrüßtes Schauspiel
Lessing=Theater später den ganzen Zyklus chronologisch
„Ueber den Wassern“ wieder hervorholte, wird
vorführt vom „Bund der Jugend“ bis zu dem Epilog,
ewig Direktor Schmiedens Geheimnis bleiben; diese
wird man das imposanteste dramatische Lebenswerk un¬
Wasser sind nicht wärmer und nicht tiefer geworden.
serer Zeit und das imposanteste dramatische Ensemble
Auch nicht Seribes „Glas Wasser“ obwohl Max
bewundern können. Zwischendurch erinnert sich Direktor
Erube den Spirituskocher seiner Verse darunter stellte.
Brahm an ältere Werke Gerhart Hauptmanns, ohne
Wie man sich von Seribescher Prosa zu einer Reim¬
daß es ihm freilich gelungen wäre, mit der jetzigen
bearbeitung inspirieren lassen kann, wird auch dem
Aufführung des „Collegen Crampton“ die
gesunden Menschenverstand stets unergründlich bleiben.
Höhe der früheren zu erreichen. So manchen wackeren
Es sollte mich gar nicht wundern, wenn nächstens
Künstler mußte er im Laufe der Jahre scheiden sehen,
für den er nur mangelhaften Ersatz zu beschaffen ver= jemand eine Searlattische Klavieretude instrumentierte.
Es muß auch solche Käuze in dieser schnurrigen We
geben. Sollte es etwa den Verskünsteler gelüstet haber.
als er am Neuen Schauspielhaus selbst den
Lord Bolingbroke agierte, seinem verehrten Friedrich
Haase den Lorbeer von der Stirn zu reißen?
Auch die Peripherietheater mit neuem Namen und
neuem Regime hielten sich vorsichtig an das Alte. Das
schicksalreiche Haus im Norden kehrte zu seiner frühern
Bezeichnung „Friedrich Wilhelmstädtisches
Theater“ zurück und war ehrgeizig genug, mit
Hebbels „Nibelungen“ zu beginnen. Der neue Herr
verspricht einen gut bürgerlichen Abendtisch. An das
Bürgertum des Ostens wendet sich das aus dem
Deutsch=Amerikanischen Theater glücklich umgetaufte
„Theater an der Spree“ Schon der Name
läßt erraten, daß hier sortan lokale Traditionen ge¬
pflegt werden sollen. Die altberliner Posse soll hier
eine Stätte finden. Also sing man mit Kalischs
„Aktienbudiker“ an. Zwei Fragen: womit wird
man aufhören? Wann wird man aufhören? Der Ber¬
liner trotz seinem unleugbaren Parvenutum ist im
allgemeinen nicht pietätlos und findet noch Gefailen
an den harmlosen Späßen, über die seine Großväter
herzlich gelacht haben. Aber eine Gattung wie die Posse,
die in den Anspielungen auf Tagesereignisse wurzelt, läßt
sich unmöglich einer späteren Generation auf die Dauer
mundgerecht machen. Das Berlin von David Kalisch
und das Berlin von Julius Freund sind durch Aeonen
geschieden. Welches von beiden das sympathischere ist,
das steht allerdings auf einem anderen Blatte. Nur
scheint der Gedanke, im Zeitalter Julius Freunds
David Kalisch zu neuem Leben verhelfen zu wollen,
eines mitleidigen Lächelns wert. Das alte Berlin ist
tot, mausetot; es lebe das neue!
S
lt
Zwei wirkliche Premieren hat es schon gegeben;
jetzt, da ich über sie berichten soll, sind sie längst ins
Grab gesunken. Wer möchte ihren ewigen Schlummer
stören wollen? Friede ihrer Asche!